Der Kepler Salon in Linz ist an sich eine unterstützenswerte Einrichtung, die sich der verständlichen Vermittlung von Wissenschaft und Kultur verschrieben hat.
Hochschulen, Bildungseinrichtungen, Krankenhäuser gestalten hier
Wissensvermittlung, machen Forschung im Dialog mit ExpertInnen
zugänglich und verständlich.
Trotzdem: der für heute Abend angekündigte Vortrag mit dem Titel Die Relativitätstheorie: Wo irrte Einstein? ist in dieser Hinsicht ein bisschen ein Griff ins Klo.
Der Vortragende ist der 75jährige ehemals an der Uni Linz tätige Univ.Prof. für Mikroelektronik Hartwig Thim. Der Mikrowellen-Experte hatte anno 2003 pünktlich zu seiner Emeritierung den Artikel “Absence of Transverse Doppler Shift at Microwave Frequencies” in der Fachzeitschrift IEEE Transactions on Instrumentation and Measurement publiziert, in dem er eine angebliche experimentelle Widerlegung der speziellen Relativitätstheorie (SRT) schilderte.
Einigen Scienceblogs-Lesern ist Herr Thim vielleicht noch aus dem
Vorjahr bekannt, wo er fleißig dazu beitrug, den Mathlog-Artikel
Einstein und die Cranks sowie dessen Fortsetzung mit einer Mischung aus
Penetranz und Arroganz zu einem Kommentarmarathon mit insgesamt 2.856
(!) Kommentaren auszubauen.
Die IEEE Transactions sind Fachzeitschriften des weltweiten
Ingenieur-Berufsverbands und es ist sicher kein großes Drama, wenn dort
einmal ein Möchtegern-Einstein-Widerleger durch die Maschen des
peer-review schlüpft. Man kann schließlich nicht erwarten, dass die
referees dort alle Experten auf dem Gebiet der SRT sind.
Doch Hartwig Thim betrachtet die Tatsache, dass sein Artikel dort
publiziert wurde, als Beweis dafür, dass seine Einstein-Widerlegung
quasi wissenschaftlich anerkannt sei. Seit einigen Jahren klappert er
nun bereits diverse Tagungen und Konferenzen mit laxem bis fehlendem
peer-review-Verfahren ab und präsentiert dort diverse Varianten seines
Irrtums.
Thims Irrtum ist recht banal: Sein Mikrowellen-Experiment wurde offenbar
sauber durchgeführt und es zeigt tatsächlich keine transversale
Dopplerverschiebung. Das Problem dabei ist lediglich, dass die SRT, so
sie richtig angewandt wird, eine solche Dopplerverschiebung für das
gegenständliche Experiment auch gar nicht vorhersagt. Es gibt also
keinen Widerspruch zur SRT und damit auch keine Widerlegung derselben.
Der Artikel von Thim wurde in der scientific community sieben Jahre lang
höflich ignoriert. Google Scholar findet keine einzige Zitierung in
einer wissenschaftlichen Zeitschrift. Erst 2010 rechnete Adrian Sfarti
in den IEEE Transactions vor, dass die SRT ein Nullresultat
prognostiziert. Thim freilich war damit nicht einverstanden und tat dies
auch umgehend in einer Replik kund. Leider befinden sich beide Papiere
hinter einer paywall.
Der Physiker Tom Roberts vom Illinois Institute of Technology ist
Experte für die experimentelle Überprüfung der SRT. Auf seiner
umfangreichen Webseite zu diesem Thema geht er auch in einem Absatz auf
Herrn Thims angebliche Widerlegung ein:
This experiment uses antennas mounted on a rotating disk inside a
pair of metal enclosures to attempt to measure the transverse Doppler
effect.
Unfortunately the author fails to realize that he has merely
constructed two closed RF cavities with a rotating coupler between
them.
That is, the “antennas” he mounted on the rotating disk are not free,
and reflections from the surrounding walls completely dominate
the RF pattern inside his apparatus, setting up wave patterns in what
amounts to a coupled pair of untuned RF cavities.
As the input and output of the enclosure have no relative motion, no
frequency shift is predicted, in agreement with his measurement.
This experiment does not actually test transverse Doppler at all, and
it is fully consistent with SR.
Leider, so wage ich zu prognostizieren, wird heute Abend im Kepler Salon
in Linz weder Adrian Sfarti noch Tom Roberts anwesend sein. Was das
Publikum mit nach Hause nehmen wird, ist, dass ein hemdsärmeliger
Professor aus Linz den Theoretiker Albert Einstein widerlegt hat. Das
ist ein Irrtum, und wäre sicher nicht im Sinne von Johannes Kepler.
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