Sie erinnern sich vielleicht: Vor zwei Wochen hatte ich auf unsere Anmerkungen zur Esoterik hingewiesen, die von der Arbeiterkammer (AK) Wien veröffentlicht wurden und auf die auch in der Ö1-Sendung “help” hingewiesen wurde. Das erste Kapitel dieses Arbeitspapiers befasst sich mit der Homöopathie und stammt aus meiner Feder.
Selbstverständlich war die heimische Homöopathielobby in Form der Österreichischen Gesellschaft für Homöopathische Medizin (ÖGHM) nicht erfreut darüber. Deren Chefin, Frau Gloria Kozel, verfasste einen an die AK Wien, die help-Redaktion und die GWUP adressierten Beschwerdebrief, der mit einer dümmlichen ad-hominem Attacke auf Krista Federspiel beginnt.
Auf diesen Brief habe ich bereits letzte Woche geantwortet. Da der Beschwerdebrief auf der ÖGHM-Webseite online gestellt wurde, veröffentliche ich hier für alle Interessierten auch meine Replik:
Wien, 18.10.2010
Re:
AK Wien und Ö1-Help-Redaktion als Plattformen gegen Komplementärmedizin?
Sehr
geehrte Frau Dr. Kozel,
Zu
Ihrer Beschwerde an die ORF Help Redaktion, die AK Wien und die GWUP nehme ich
gerne wie folgt Stellung:
Sie
beginnen Ihren Brief mit einer Darstellung von Frau Dr. Federspiel als „unwissenschaftliche
Journalistin“, die „im Internet heftig kritisiert” werde. Dazu
verweisen Sie im Anhang auf die anonymen Webeinträge („gwup-skeptiker”) eines
paranoiden GWUP-Hassers, die Sie offenbar für zitierfähig halten. Eine dermaßen
unverschämte ad-hominem Attacke gegen eine renommierte und unbescholtene
Medizinjournalistin richtet sich von selbst, wirft allerdings kein gutes Licht
auf die Diskursfähigkeit Ihres Homöopathen-Vereines.
Im
inhaltlichen Teil Ihrer Beschwerde behaupten Sie, ich sei „auf Grundlage
eines einzigen populärwissenschaftlichen Buches” zu der Ansicht gelangt,
dass die Homöopathie eine Placebotherapie sei. Dieser Vorwurf ist ganz
offensichtlich unhaltbar. Das Buch von Ernst und Singh [1], von dem das New
England Journal of Medicine schrieb, jeder Arzt sollte es seinen Patienten
empfehlen [2], ist am Ende meines Artikels ausdrücklich unter „Weitere
Information” angeführt und nicht als Literaturgrundlage meiner Ausführungen.
Wenn
Sie weiters behaupten, „63 randomisierte klinische Studien haben die
Wirksamkeit der Homöopathie über Placeboniveau nachgewiesen“, so darf ich
darauf hinweisen, dass eine Bewertung der Wirksamkeit der Homöopathie nicht
durch bloßes Abzählen von handverlesenen positiven Studien ohne
Berücksichtigung deren methodischer Qualität geschehen kann. Stattdessen
bedient man sich dazu üblicherweise systematischer Reviews sowie Metaanalysen.
Ihre Behauptung, „6 von 7 Metaanalysen (1991-1999)” würden die
Wirksamkeit der Homöopathie nachweisen, ist eine Übung in selektivem Zitieren,
die eine weit größere Zahl von negativen Metaanalysen verschweigt, insbesondere
sämtliche des aktuellen Jahrhunderts. Dazu gehört auch die im allgemeinen als
besonders hochwertig angesehene Metaanalyse von Matthias Egger [3], die zu
einem für die Homöopathie negativen Ergebnis kommt.
Ihre
Behauptung, diese „Egger-Studie” habe „aufgrund schwerer statistischer
Fehler korrigiert werden” müssen, entbehrt jeder Grundlage. Diese krasse
Fehlinformation wird auch dadurch nicht wahrer, dass Sie als Beleg eine Meldung
auf Ihrer eigenen Webseite zitieren, in der Dr. Dellmour einen irreführenden
PR-Text des Elsevier-Verlags unkritisch wiedergibt. Tatsächlich hat die
Re-Analyse der Egger-Daten durch Lüdtke und Rutten [4], auf die sich dieser
irreführende PR-Text bezieht, zutage gefördert, dass sich für die lediglich 6
hochqualitativen Studien zur klassischen Homöopathie ein p-Wert von 0,36
ergibt, was für deren Wirksamkeit ein klar negatives Resultat bedeutet.
Auch
Ihr Hinweis auf den Schweizer HTA-Bericht [5] geht vollkommen ins Leere. Sie
wissen nämlich vermutlich ganz genau, dass dieser Bericht neben der subjektiven
Einschätzung der Studienlage durch die Autoren auch einen objektiven,
quantitativen Teil beinhaltete, und zwar genau die soeben erwähnte „Egger-Studie”
mit ihrem für die Homöopathie negativen Ergebnis.
Sie
zitieren weiters die Studie von Witt et al. [6], unterschlagen dabei aber deren
wesentliche Feststellung „No positive result was stable enough to be
reproduced by all investigators“, die deutlich auf das Dilemma der
fehlenden stabilen Reproduzierbarkeit all dieser in-vitro Untersuchungen
hinweist.
Dass,
wie Sie schreiben, die Österreichische Ärztekammer ein Diplom für Homöopathie
verleiht, trifft zu. Leider war es mir aufgrund von Platzmangel nicht möglich,
in meinem Text auf diesen skandalösen Umstand näher einzugehen. Als Argument
gegen die wissenschaftliche Auffassung der Homöopathie als Placebotherapie
taugt es aber wohl kaum.
Wenn
Sie abschließend auf die Webseiten diverser Homöopathie-Lobbygruppen hinweisen,
um „die Evidenz und Wissenschaftlichkeit der Homöopathie” zu
untermauern, so muss ich Ihnen entgegnen, dass ich mich als Verfasser eines
Textes, der dem Konsumentenschutz dienen soll, selbstverständlich auf die
allgemein anerkannten Konzepte und Begriffe von Wissenschaftlichkeit stützen
muss, und nicht auf jenes Zerrbild davon, das viele Homöopathen gerne als ihre
eigene Vorstellung von „Wissenschaft” präsentieren. Insofern ist es hoffentlich
auch verständlich, dass meine Darstellung zur Evidenz der Homöopathie nicht der
Innensicht der ÖGHM entspricht, sondern der Außensicht, wie sie etwa durch die
Fachleute des IQWiG, der Cochrane Collaboration oder von forschenden
Naturwissenschaftlern allgemein vertreten wird.
Mit
freundlichen Grüßen, Ulrich Berger
[1] Ernst E, Singh S, 2009:
Gesund ohne Pillen. Was kann die Alternativmedizin. Hanser Verlag, München.
[2] Marcus D, 2008: Book review:
Trick or Treatment: The Undeniable Facts about Alternative Medi-cine. New
England Journal of Medicine 359: 2076-2077.
[3] Shang A, Huwiler-Müntener
K, Nartey L, Jüni P, Dörig S, Sterne JA, Pewsner D, Egger M, 2005: Are the
clinical effects of homoeopathy placebo effects? Comparative study of
placebo-controlled trials of homoeopathy and allopathy. The Lancet 366:
726-732.
[4] Lüdtke R, Rutten ALB, 2008:
The conclusions on the effectiveness of homeopathy highly depend on the set of
analyzed trials. Journal of Clinical Epidemiology 61: 1197-1204.
[5] Bornhöft G, Matthiessen PF
(Hrsg.), 2006: Homöopathie in der Krankenversorgung. Wirksamkeit, Nutzen,
Sicherheit und Wirtschaftlichkeit. VAS-Verlag.
[6] Witt CM, Bluth M, Albrecht
H, Weisshuhn TE, Baumgartner S, Willich SN, 2007: The in vitro evi-dence for an
effect of high homeopathic potencies – a systematic review of the literature.
Complementary Therapies in Medicine 15: 128-138.
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