Berechtigte Information oder mediale Inszenierung? Risikokommunikation im Spannungsfeld der Interessen – das ist das Thema der SciCom10, der “internationalen Fachtagung für
Wissenschaftskommunikation in Österreich”. Ein interessantes Thema, und tatsächlich enthält das Programm der diese Woche an der TU Wien stattfindenden Tagung einige renommierte Vortragende – und damit meine ich nicht nur bekannte Skeptiker wie den Kriminalbiologen Mark Benecke und den Quantenphysiker Florian Aigner.
Freilich gibt es, sobald es um Risikokommunikation geht, auch einige
kontroverse Reizthemen, die schon aus Aktualitätsgründen nicht ausgespart
werden sollten. So ist es offenbar zu erklären, dass der
Philosophiestudent und Sprecher des LHC-Kritiker-Vereins Markus
Goritschnig die Gelegenheit dazu bekommt, zu beklagen, dass diverse
Gerichte und Behörden seine Angst vor LHC-induzierten und die Erde
verschlingenden Schwarzen Löchern nicht teilen.
Ebenso könnte man
sich darüber wundern, dass ausgerechnet Jane Bürgermeister zu einer
Diskussionsrunde Zur Präsentation ethisch sensibler Forschung in den
Medien eingeladen wurde. Bürgermeister war zwar immerhin früher einmal tatsächlich Journalistin. Doch nachdem sie erkannt zu haben glaubte, dass diverse
finstere Mächte die Menschheit mittels absichtlich verseuchter
Impfstoffe ausrotten wollen, übersiedelte sie in eine Art geistiges
Taka-Tuka-Land und trieb die Kunst der Verschwörungstheorie dort derart auf
die Spitze, dass sogar ihre eigenen Verschwörungskollegen sie für eine
feindliche Agentin hielten, die die Glaubwürdigkeit der Spinner
unterminieren sollte.
Was aber wirklich übel ist, ist die Tatsache, dass die Tagungsveranstalter von der Agentur science2public nicht einmal davor zurückschreckten, Christl Meyer ein Podium zu bieten. Die ehemalige Biologielehrerin ist eine AIDS-Leugnerin der Superlative und hat mit Wissenschaftskommunikation so viel zu tun wie Dieter Bohlen mit der Philharmonie. HIV, so erklärt sie auf ihren Vorträgen, sei niemals nachgewiesen worden, AIDS sei die Folge einer Allergie gegen Sperma und ähnlichen Schwachsinn. So könnte sie für Wissenschaftsjournalisten allenfalls als obskures Studienobjekt dienen, doch auf der SciCom10 darf sie als Referentin ihre Weisheiten vom Podium aus verbreiten. Dort liest sich ihr gepimpter Lebenslauf dann so:
Christl Meyer ist freie Wissenschafterin, Wissenschaftsreferentin, Forscherin und Pädagogin. Da die Referentin seit über 20 Jahren in diesem Feld [HIV/AIDS] forscht, wird ihre
Analyse auch persönliche Erfahrungen […]
beinhalten. […] Die Referentin wird zu Beginn ihrer Präsentation die neuesten Erkenntnisse aus der AIDS-Forschung präsentieren.
Von wegen “neueste Erkenntnisse”. Die “freie Wissenschaftlerin” ist in diesem Fall wohl völlig “frei von Wissenschaft”. Denn laut Google Scholar existiert von Meyer keine einzige wissenschaftliche Arbeit zum Thema. Stattdessen findet man ein auf der Crank-Seite wahrheiten.org online gestelltes pdf, das aus einer Ansammlung pseudowissenschaftlichen Schrotts besteht.
Aber auch Fragen nach Ethik und Verantwortung spielen für Meyer in diesem Kontext eine zentrale Bedeutung.
Das ist schön. Vielleicht kann Christl Meyer ja erklären, was daran ethisch sein soll, sich für eine Bewegung von Spinnern ins Zeug zu legen, deren Argumente seit Jahren dutzendfach widerlegt sind und die für über 300.000 AIDS-Tote die Mitverantwortung trägt?
Christl Meyer selbst wird wohl nicht mehr zur Einsicht kommen. Das wäre auch nicht weiter schlimm, würde sie nicht seit Jahren jede Gelegenheit nutzen, ihre primitiven Thesen unters Volk zu bringen. Einer bekennenden AIDS-Leugnerin auf einer Fachtagung über Wissenschaftskommunikation ein Podium zu bieten, dazu gehört entweder viel Dummheit oder viel Frechheit.
[Update vom 8.11.2010: Frau Schwinghammer vom Veranstalter science2public hat rasch und richtig reagiert: Frau Meyer wurde soeben wieder ausgeladen. Details dazu hier.]
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