Johannes Hahn behält also seinen Doktorgrad (den vielzitierten “Doktortitel” gibt und gab es in Österreich nie). Hahn hat nämlich, so die Verlautbarung der Österreichischen Agentur für Wissenschaftliche Integrität (ÖAWI), auf die sich die Uni Wien beruft, kein Plagiat verfasst. Da es nun amtlich ist, dass Hahn kein Plagiat verfasst hat, nenne ich den Text, den er 1987 als Dissertation eingereicht hat, ein “Blagiat”, was so eine Art weiche Form des Plagiats ist.

Ich versuche einmal, es positiv zu formulieren: Hahn hat fast 83% seiner Dissertation selbst verfasst. Den Rest hat er blagiiert, indem er auf drei verschiedene Weisen fremde Ideen als seine eigenen ausgegeben hat. Das kann man in Stefan Webers Gutachten (Teil 1, Teil 2) nachlesen, welches der ÖAWI auch vorlag. Und dazu muss man Stefan Weber nicht einmal blind vertrauen. Denn in dessen Gutachten sind die entsprechenden Stellen einander fein säuberlich gegenübergestellt, und was man dort sieht, lässt an der Abschreiberei keinen Zweifel aufkommen.


Nun mag es eine juristische und/oder definitorische Frage sein, ob sowas
ein Plagiat im engeren Sinne ausmacht oder nicht. Heute, so die ÖAWI,
würde es nicht mehr guter wissenschaftlicher Praxis entsprechen. Aber,
das hat die ÖAWI zurecht erkannt, dabei muss man jedenfalls die 1987
geltenden Regelungen der Uni Wien zugrunde legen. Das aber, so meint die
ÖAWI, sei leider, leider nicht möglich.

Jedoch ist es nach Ablauf von etwa 25 Jahren nicht mehr zu verifizieren,
ob die Arbeit zum Zeitpunkt der Approbation den damals an der
Universität Wien geltenende Standards entsprochen hat.

Denn
1987 ist ja beinahe 25 Jahre her, und es gibt, wie wir alle wissen,
bedauerlicherweise weder überlebende Zeitzeugen aus dieser Epoche, noch
reichen die Archive der Uni Wien in jene graue Vorzeit zurück.

Im
Ernst: dieses Argument der ÖAWI ist peinlich, und man gewinnt den Eindruck, dass die
Agentur kein gesteigertes
Bedürfnis hatte, der Sache tatsächlich auf den Grund zu gehen. Die drei
externen Gutachten, die die ÖAWI eingeholt hat, bleiben ebenfalls unter
Verschluss. Das ist Intransparenz, wie sie im Buche steht.

Es ist
dies auch nicht das erste Mal, dass die ÖAWI ein Urteil produziert, das nach
“typisch österreichischer Lösung” aussieht. Nachdem dank der
Nachforschungen von Prof. Alexander Lerchl der Fälschungsskandal um die Wiener REFLEX-Studien aufflog, kam der ÖAWI die Aufgabe zu, den Verdacht auf Datenfälschung zu prüfen. Die ÖAWI tagte monatelang, um schließlich festzustellen:

Die Kommission konnte auf dieser Grundlage den von Herrn Lerchl erhobenen Fälschungsvorwurf weder bestätigen noch entkräften.

Dabei war es schon damals für jeden zweitsemestrigen Statistikstudenten
sonnenklar, dass die von Frau Kratochwil produzierten und
veröffentlichten Daten nie und nimmer auf natürlichem Wege
zustandegekommen sein können. Dies war übrigens sinngemäß auch der
Inhalt des Gutachtens sowie einer Stellungnahme des damaligen Leiters des Instituts für Medizinische Statistik, Prof. Bauer. Nur hatte die ÖAWI dieses Gutachten in ihrer Entscheidungsfindung nicht berücksichtigt.
Es sei ihr leider, leider nicht extra vorgelegt worden. Auf die Idee,
dieses so zentrale Gutachten, dessen Existenz ihr nicht entgangen sein
konnte, selbst anzufordern, war die ÖAWI offenbar nicht gekommen.

Die noch sehr junge ÖAWI, das muss leider konstatiert werden, macht
bisher ein bisschen den Eindruck einer Beschwichtigungsagentur, die nur
dann genau hinschaut, wenn es gar nicht anders geht. Sie sollte ihre
Aufgabe ernster nehmen.

Kommentare (12)

  1. #1 michael
    6. November 2011

    Ist die Kommission nicht fest in ausländischer (deutscher) Hand? Denen kann man ja nun nicht zumuten, nach Wien zu fahren und sich in irgendwelchen dunklen Kellergewölben Doktorarbeiten aus dem letzten Jahrhundert anzuschauen.

  2. #2 Joseph Kuhn
    6. November 2011

    Der “Freispruch” bei der REFLEX-Studie hat u.a. dazu geführt, dass Prof. Adlkofer, einer der Studienverantwortlichen, von manchen Leuten jetzt als aufrechter Kämpfer gegen die Gefahren des Mobilfunks und als Opfer von Machenschaften der Mobilfunkindustrie dargestellt wird. Ausgerechnet er, der so viele Jahre über den “Forschungsrat Rauchen und Gesundheit” und dessen Nachfolgeorganisation, der Stiftung VERUM, der Tabakindustrie treue Dienste geleistet hat. Die Identifikaton “konkurrierender Risiken” zu den Gefahren des Tabakrauchs war dabei immer eines der Forschungsziele. Da hat sich die ÖAWI in der Tat nicht mit Ruhm bekleckert.

  3. #3 Wolf
    6. November 2011

    Musste mir den Link von Michael mal genauer anschauen. Musste feststellen, das ich nicht nachvollziehen kann, wieso deutsche Wissenschaftler, die noch nicht einmal in A tätig sind in der ÖAWI mitarbeiten. Wenn sie wenigstens an einer Uni in A tätig wären, aber so?

  4. #4 Ulrich Berger
    6. November 2011

    @ Wolf:

    Das ist an sich schon sinnvoll, Stichwort Unabhängigkeit. Wenn da Österreicher drinsitzen würden, wäre Hopfen und Malz vollends verloren. In Ös oberen Wissenschaftskreisen kennt ja jeder jeden. Aus demselben Grund bestellt z.B. der FWF nur ausländische Gutachter zur Evaluierung von Forschungsprojektanträgen.

  5. #5 Wolf
    6. November 2011

    @Ulrich Berger: Stimmt natürlich.

    Hilft aber nicht immer 😉

    Der letzte Satz in der Stellungnahme vom ÖAWI hört sich für mich so an, als wollten sie die offensichtliche Fälschung der Daten (so würde ich das jetzt mal nennen) damit “entschuldigen” das die Forschung in diesem Bereich noch am Anfang steht.

    Seltsam.

  6. #6 MJ
    6. November 2011

    @ Ulrich Berger

    Ist das nur ein Eindruck, oder bloggen Sie seit der angekündigten Blog-Pause hier zumindest so viel wie vorher – wenn nicht mehr?

    Hier ein bisschen billiges Hahn-Bashing: der Roboter, der den damaligen Wissenschafts- und Forschungsminister (!) Hahn 2009 ersetzt hat (aber manchmal hängt das Band, scheint’s) spricht über Dinge wie “intaneschionell risöatsch faunding strätschädie” und Europa als “nätwöak of echselenz”:

  7. #7 Ulrich Berger
    6. November 2011

    @ MJ:

    Ist das nur ein Eindruck, oder bloggen Sie seit der angekündigten Blog-Pause hier zumindest so viel wie vorher – wenn nicht mehr?

    Die Blogpause war ja als Sommerpause angekündigt und lief eigentlich von 16. Juli bis 27. August. Die Beiträge in dieser Zeit waren ja nur schnelle copy-paste-Sachen, das zählt nicht. GEO kam mir in die Quere, da musste ich einfach. SIWOTI-Syndrom halt… 😉

  8. #8 MJ
    6. November 2011

    @ Ulrich Berger

    Ach was, Sie haben das auch? Das scheint ja eine richtige Pandemie zu sein!

    Bei der Gelegenheit übrigens einen sehr verspäteten Glückwunsch zum Nachwuchs, ich habe das damals irgendwie verpasst!

  9. #9 Wolfgang
    7. November 2011

    Alos ich hab mir grad noch mal meine Diss aus 1984 angeschaut. dIE 97 Literaturzitate – werden heute in gleicher Form zitiert- da hat sich nichts geändert.

    Auch wenn die Literaturzitate fast alle der englischsprachigen Literatur entnommen sind, so ist es doch nicht so schwer folgendes zu schreiben

    “XY hat in (30) nachgewiesen dass….. jedoch konnte YZ in (31) diese Ergebnisse nicht bestätigen”.

    Damit ist bereits eine Anforderung einer Dissertation erbracht, nämlich dass erkennbar ist, dass man die aktuelle Literatur zum Thema überblickt und beurteilen kann.

    Ist ja wirklich nicht so schwer.

  10. #10 Marius
    7. November 2011

    “den vielzitierten “Doktortitel” gibt und gab es in Österreich nie”

    Aber klar doch gibt’s den: das ist jener sagenumwobene Dr., der zwingend “Teil des Namens” wird 😉

  11. #11 Martin
    8. November 2011

    Auf welcher Grundlage hat das ÖAWI nun bewertet?
    Wenn es die Grundlagen von 1987 angeblich nicht mehr nachvollziehbar gibt, dann müssten es eben die heutigen gewesen sein. Nach diesen würde seine Dissertation heute jedoch keiner guten wissenschaftlichen Praxis entsprechen. Zugleich wird der Doktorgrad belassen.
    Konkret bedeutet das doch nichts anderes als: Die heutige wissenschaftliche Praxis erlaubt so schlechte Arbeiten, wie die von Hahn und es kann nicht mehr bestätigt werden, dass es früher einmal um soviel besser war (obwohl dies schon vermutet wird, wie immer war früher alles besser?) wie es eigentlich wünschenswert wäre.

    Sind wir wiklich so schlecht?

  12. #12 Martin
    8. November 2011

    Könnte es also sein, dass sich die externen Gutachter, die alle nicht aus Österreich kommen, auf diese Weise über die österreichischen Universitäten lustig machen?