Ein Gastbeitrag von Kommentator noch’n Flo
WSC 2012 – Tag 1: Kreationismus, Erziehung und ein paar stolze Preisträger
Zu Beginn des ersten Kongresstages gab es erst einmal die Möglichkeit, sich beim Kaffee untereinander, aber vor allem auch die bekannten Persönlichkeiten der Skeptiker-Bewegung kennenzulernen. Diesmal klappte es auch ganz gut, mit dem vereinbarten Erkennungszeichen „Krawumm” andere SB-Leser zu finden und ins Gespräch zu kommen, so dass sich am Eingang zum Vorraum des Konferenzsaales schnell eine kleine Gruppe zusammengefunden hatte, die über aktuelle Themen auf den Blogs angeregt diskutierte.
Das erste Thema am 1. Tag war der Kreationismus. Zunächst gab Eugenie Scott einen Überblick über den Kreationismus innerhalb und ausserhalb der USA. In den Staaten ist es ein grosses Problem, dass es mehr als 15.000 Schulbezirke gibt, von denen letztlich jeder selbst entscheidet, was auf den Lehrplan kommt und was nicht. Hier können Kreationismus-Verbände gut manipulativ ansetzen und Eltern dazu bringen, auf Versammlungen der Schulgremien für eine gleichberechtigte Lehre des Kreationismus und Intelligent Design als Alternative zur Evolutionstheorie zu stimmen.
Seit Jahren wird schon versucht, in den USA einheitliche Lehrpläne einzuführen, dies ist in Fächern wie Englisch und Musik schon recht weit fortgeschritten, aber für die Naturwissenschaften haben erst 26 Staaten eine einheitliche Linie verabschiedet.
Kreationismus ist aber schon lange kein amerikanisches Phänomen mehr. Evangelikale Missionare tragen ihn mittlerweile eifrig in die dritte Welt. In Brasilien wurde 2008 der Religionsunterricht an staatlichen Schulen eingeführt – einschliesslich der Lehre des ID.
Aber auch in Europa nimmt sein Einfluss zu. So wurde 2004 in Italien die Evolutionstheorie aus den Lehrplänen der Mittelstufe gestrichen; im gleichen Jahr flog sie in Serbien sogar ganz aus dem Lehrplan. In Russland werden seit 2009 Evolutionstheorie und Kreationismus/ID in den Schulen gleichberechtigt nebeneinander gelehrt. Auch in Grossbritannien nimmt der Einfluss der Kreationisten seit einiger Zeit zu.
Der zweite Vortrag von Dittmar Graf berichtete von einer Studie, die mit Lehramtsstudenten im ersten Semester an der TU Dortmund und an einer Universität in Ankara gemacht wurde. Obgleich in der Türkei die Zustimmung zur Wissenschaft und ihren Segnungen hoch ist, wussten die türkischen Studenten weniger über das Funktionieren von Wissenschaften und massiv weniger über Evolution (wobei bei letzterem allerdings auch die deutschen Studenten recht enttäuschend abschnitten). Wenig überraschend, dass die Studie eine höhere Religiosität bei den türkischen Studenten zeigte. Die deutschen Studenten wiesen schliesslich eine wesentlich höhere Akzeptanz der Evolutionstheorie auf.
Dittmar Graf und sein Team konnten schliesslich zeigen, dass die Akzeptanz der Evolutionstheorie stark abhängig ist von der Haltung gegenüber Wissenschaft und stark negativ mit Religiosität korreliert. Das eigentliche Verständnis der Evolutionstheorie hat dagegen einen eher geringen Einfluss auf ihre Akzeptanz.
Vortrag Nummer 3 wurde von Johan Braeckman gehalten und beleuchtete noch etwas deutlicher den Kreationismus in Europa, speziell in Belgien und den Niederlanden. Da war dann die Geschichte eines Holländers, der demnächst bei den Olympischen Spielen in London auf der Themse mit einer Arche in Originalgrösse auftauchen will – eine Aktion, die der kreationistischen Bewegung eine Menge Publicity bringen würde. Aber auch dass gewisse Organisationen in den Niederlanden Broschüren in Millionenauflage an die Bevölkerung verteilen, ist ein wenig erschreckend, vor allem wenn man erfährt, dass in einer Umfrage kurz nach der Verteilaktion 42% der Befragten eine gleichberechtigte Behandlung des Kreationismus neben der Evolutionstheorie an den staatlichen Schulen forderte. In Holland und Belgien unterstützen mittlerweile auch einige muslimische Organisationen den Kreationismus, in den Niederlanden findet er unter muslimischen Jugendlichen mittlerweile eine Zustimmung von 94%(!).
Die Problematik der hohen Akzeptanz des Kreationismus in der islamischen Welt war denn auch das Thema des vierten Vortrags, gehalten von Anila Asghar. Viele Muslime, auch Wissenschaftler, empfinden die Evolutionstheorie als Kritik am Islam, weil sie mit seinen Lehren unvereinbar ist. In der islamischen Welt findet oft keine echte Trennung zwischen Religion und Wissenschaft statt, beide sind eng miteinander verwoben. Auch wenn das Alter von Universum und Erde in der islamischen Welt weitgehend akzeptiert sind, wird strikt ein Schöpferprinzip propagiert.
In vielen islamischen Ländern gilt die Wissenschaft auch eher als Vehikel, damit Schüler und Studenten durch Beobachtung der Natur die Grösse und Allmacht Allahs erkennen können, und damit stärker im Glauben werden.
Anila Ashgar stellte uns dann noch eine Studie vor, bei der die Meinungen zu bestimmten Fragen zur Evolution in der Türkei, im Libanon, in Ägypten, Indonesien und Pakistan untersucht worden war. Überraschenderweise war die Zustimmung zu der Aussage, die Evolutionstheorie sei nicht wissenschaftlich abgesichert, in der Türkei mit Abstand am grössten (in den anderen Ländern (ausser Indonesien) jedoch auch recht hoch). Ausser in Ägypten stimmten in jedem Land deutlich mehr als 50% der Befragten zu, dass die Evolution mit dem Koran nicht vereinbar sei. In allen untersuchten Staaten gab es eine sehr hohe Zustimmung, dass man Wissenschaft und Religion nicht voneinander trennen kann.
Der zweite Schwerpunkt des Tages befasste sich mit Pseudowissenschaften in der Erziehung. Dazu hielt zunächst Gita Sahgal einen Vortrag, in dem sie sich mit den Schöpfungs- und Frühgeschichtsmythen in Indien und Pakistan beschäftigte, wobei mir (und auch einigen anderen SB-Lesern) nicht so ganz klar war, worauf sie hinauswollte. Wir vermuten, dass sie eigentlich aufzeigen wollte, dass gewisse nationalistische Bewegungen im 19. und 20. Jahrhundert dazu geführt haben, dass diese Diskussion massiv ideologisch gefärbt wurde und dies anscheinend in den Schulen beider Länder bis heute fortwirkt – den Bogen zu dieser Schlussfolgerung hat die Referentin jedoch nicht wirklich nachvollziehbar schliessen können.
Dann gab es noch einen Vortrag von Kylie Sturgess, der sich mit pseudowissenschaftlichen Methoden in der Schulerziehung auseinandersetze. Hier ist es ein grosses Problem, dass viele Lehrer eher persönlicher Erfahrung oder der von Kollegen vertrauen, als wissenschaftlichen Veröffentlichungen. So bekommen immer wieder pseudowissenschaftliche Techniken den Fuss in die Schultür.
Ein Beispiel ist das sog. “Brain Gym”, welches Ulrich vor einiger Zeit schon einmal behandelt hat. Ein anderes Beispiel wäre die “Facilitated Communication”, die schon seit einiger Zeit mit eher zweifelhaftem Erfolg, aber gutem Marketing, bei autistischen Kindern zum Einsatz kommt.
Kylie Sturgess kam schliesslich zu dem Schluss, dass die Unterwanderung der Schulen durch Pseudowissenschaften in der Zukunft eher noch zunehmen wird. Einzig kritische Eltern können dem durch ihren Einsatz entgegenwirken.
Den letzten Vortrag des Tages hielt Samantha Stein – aber darüber hat Florian nebenan bereits sehr schön und ausführlich berichtet, so dass ich mir das an dieser Stelle spare.
Nach einem kleinen Stehimbiss am Abend folgte schliesslich noch die Verleihung von Preisen der Welt- und der Europäischen Skeptiker-Vereinigung. Erstere gingen an Simon Singh und Edzard Ernst, die Letztgenannten an Luigi Garlaschelli und Wim Betz.
Insgesamt ein langer Tag, mit interessanten Themen, aber auch leider einigen Längen infolge Wiederholungen. Morgen geht es dann schwerpunktmässig um Pseudomedizin.
Kommentare (414)