Placeboeffekte lassen sich ja auf unterschiedlichste Art und Weise kategorisieren. Hans-Werner Bertelsen, ein kritischer Zahnmediziner mit Insidererfahrung im Placebobusiness, schlägt eine neue vor. Ein Gastbeitrag von Hans-Werner Bertelsen.
=============================
Über die Motive, wirkungslose Verfahren chronisch kranken Menschen als sogenannte Alternativmedizin zu verkaufen, gibt es plausible Erklärungsmodelle. Ich habe die Motivlage der Anbieterseite beschrieben [1] und die Anbieter in verblendete Selbsttäuscher und Geschäftstüchtige eingeteilt [2]. Beide Gruppen teilen sich die Vorliebe für ein gewünschtes Ziel, haben ein gemeinsames Anliegen – sie gieren nach dem „Ich werde gefallen!“, nach dem Placebo-Effekt. An einem Strang ziehen beide, sowohl der verblendete Selbsttäuscher, als auch der Geschäftstüchtige; geht es nach dem Drang nach dem gewünschten Effekt, sind sie also beide Effekthascher im originären Sinne. Die Arbeit, die von beiden Anbietergruppen verrichtet wird, nenne ich daher Placebo-Arbeit. Doch eine Differenzierung der Anbieter, eine Aufteilung nach Selbsttäuscher und Geschäftemacher, macht auch eine Differenzierung des von beiden Gruppen induzierten Placebo-Effektes notwendig. Sowohl die Motivation als auch die Folgeerscheinungen sind unterschiedlich. So ist der Placebo-Effekt, der von einem verblendeten Selbsttäuscher induziert wird, völlig anders zu bewerten, als die von dem Geschäftstüchtigen induzierte Variante.
Der benigne Placebo-Effekt – mit Suggestion unterwegs
Betrachten wir zunächst die gutartige Form, ich nenne ihn den benignen Placebo. Die treibende Kraft, die einen benignen Placebo zum Ziel hat, ist die Suggestion. Die Gruppe der verblendeten Selbsttäuscher verwendet die Suggestion als Werkzeug, um zum Ziel zu gelangen. Dies gelingt gut, solange die treibende Kraft auf ein gehöriges Maß an Suggestibilität trifft. Patienten, die kein ausreichendes Maß an Suggestibilität besitzen, kann hingegen auch der naivste Selbsttäuscher nicht erreichen. Beim Versagen der Therapie sind die Folgen harmlos. Die Formulierung: „Wir haben es wenigstens versucht“ versucht, die Gefühlslage beim Versagen einer Therapie zu beschreiben. Es werden keine Schamgefühle beim Versagen einer Therapie induziert. Der Patient kann sich ohne Übermaß an eigener Enttäuschung und ohne Gesichtsverlust auf ein neues Verfahren konzentrieren.
Der maligne Placebo-Effekt – mit Manipulation unterwegs
Die weniger erfreuliche Form des Placebo-Effektes nenne ich den malignen Placebo. Die treibende Kraft ist hier nicht die Suggestion, sondern in erster Linie die Manipulation. Die Gruppe der Geschäftstüchtigen bedient sich der Manipulation als Werkzeug. Ängste werden beispielsweise benutzt, um ein Verfahren besser anzudienen. Hoffnungen werden missbraucht, um zu verkaufen. Ein durch Manipulationstechniken induzierter Placebo-Effekt ist aus meiner Sicht daher völlig anders zu bewerten, weil sowohl die Motivlage des Anbieters, als auch die durch die Manipulation beim Patienten hervorgerufenen Folgeerscheinungen völlig andere sind. Das Maß einer Manipulationsbereitschaft ist stark vom Grad der Verzweiflung abhängig. Tumorkranke zeigen ebenso wie depressive Patienten häufig ein großes Maß an Verzweiflung und demzufolge ein hohes Maß an Manipulationsbereitschaft. Der „letzte Strohhalm“ soll Halt bieten. Die entstehenden Folgen, die bei Versagen der Therapie, etwa durch Aufdeckung der Motive des Geschäftstüchtigen, auftreten, unterscheiden sich grundlegend von den Folgen im Bereich des benignen Placebos. Es können negative Gefühle erzeugt werden. Gefühle des eigenen Versagens, die bei Tumorpatienten ohnehin schon häufig zu beobachten sind, können verstärkt werden. Es können massive Schamgefühle erzeugt werden, wenn Patienten erkennen, dass sie dem Typus des Geschäftstüchtigen auf den Leim gegangen sind. Gefühle des Verrats und der Ohnmacht dominieren hierbei. Beides stark negativ aufgeladene Gefühle, die den Anforderungen an eine positiv besetzte Gefühlslage für die Heilung von einer Krankheit diametral entgegenstehen.
Literatur:
[1] H.-W. Bertelsen: “Die Attraktivität ‘ganzheitlicher’ Zahnmedizin. Teil 2: Bohren ohne Reue”; Skeptiker 3/2013, S. 114-117.
[2] H.-W. Bertelsen: “Selbsttäuscher und Geschäftemacher”; profil-wissen, 19.03.2014. Hier eine (leider stark gekürzte) online-Version
Kommentare (54)