Zwei Beiträge an dieser Stelle von Ende Oktober haben deutlich gemacht, dass auch die Wiener Skeptiker sich nicht immer darüber einig sind, was sinnbefreite Pseudowissenschaft ist und was nicht. Auch innerhalb der GWUP gibt es gewisse Themen, die regelmäßig heftige Diskussionen auf der internen Mailingliste hervorrufen. Das ist auch gut so. Aber was ist mit jenen Fällen, wo über die “skeptische Position” zu einer bestimmten Frage im Grunde Einigkeit besteht, und später aufgrund neuer Forschungsresultate diese Position klar widerlegt scheint? In der Statistik bezeichnet man den Fehler, den man begeht, wenn man die Nullhypothese zu Unrecht verwirft, als Alpha-Fehler. Behält man die Nullhypothese dagegen zu Unrecht bei, begeht man einen Beta-Fehler. Skeptiker fordern bekanntlich sehr strenge Evidenz, bevor sie bereit sind, eine Nullhypothese (z.B. “Zuckerkügelchen ohne Wirkstoff wirken nicht”) zu verwerfen. D.h. sie legen sehr viel Wert darauf, einen Alpha-Fehler zu vermeiden. Leider ist damit unweigerlich verknüpft, dass man die Chance erhöht, einen Beta-Fehler zu begehen.
Der Psychotherapeut und Skeptiker Robert Mestel, der auch auf der diesjährigen SkepKon vorgetragen hat, meinte kürzlich, die GWUP vernachlässige den Beta-Fehler mitunter bei der Beurteilung vermeintlich parawissenschaftlicher Themen. Als Beispiel nennt er den Streit um die Schädlichkeit von Amalgam. Skeptiker haben bei der Frage nach der Gefährlichkeit von Amalgam in den letzten Jahren regelmäßig Entwarnung gegeben. Ist das nun ein Fall von Beta-Fehler?
Der Zahnmediziner, Skeptiker und Kritisch gedacht-Stammgastautor Hans-Werner Bertelsen ist sich mit Robert Mestel einig und meint: Ja! Hier ist seine Einschätzung.
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Amalgam ist nicht gefährlich.
Dieser Satz ist beruhigend. Beruhigend für über 90% aller erwachsenen Patienten, die auf meinem Behandlungsstuhl Platz nehmen, weil fast jeder erwachsene Patient eine oder mehrere Amalgamfüllungen sein eigen nennt. Der Satz hat nur einen kleinen Fehler. Der Punkt ist an der falschen Stelle. Es fehlt ein Nebensatz, der sich vor den zu früh gesetzten Punkt drängeln muss. Genauer gesagt ein Konditionalsatz. Richtig ergänzt lautet der Satz: Amalgam ist nicht gefährlich, wenn der ganze Körper aus Zähnen besteht. Weil aber dieser Nebensatz Fragen nach sich zöge und in weiten Bevölkerungsschichten für Verwirrung, ja sogar Panik sorgen würde, ist es nur allzu verständlich, dass der kürzeren, zugegeben auch prägnanteren Form der Vorzug gegeben wird. Sogar das regierungstreue Robert-Koch-Institut findet kein uneingeschränktes Vergnügen mehr an Amalgam, verzichtet aber in seiner Bewertung auf diesen scheinbar nicht so wichtigen Konditionalsatz.
Ein kurzer historischer Abriss sei gestattet. Ein Füllmaterial für faule Zähne wird benötigt. Eines, welches von allen Patienten bezahlt werden kann und haltbar ist. Eines, welches von jedem Zahnarzt verarbeitet werden kann und keine Nacharbeiten erforderlich macht. Also nicht mehr und nicht weniger als die allseits bekannte löcherschließende Zahnmilchsau. Wenn, ja wenn da nicht das teuflische Quecksilber enthalten wäre, ja dann wäre alles einfacher. Wenn das teuflische Quecksilber nicht enthalten wäre, dann gäbe es keine üble Nachrede wegen fieser neurotoxischer Wirkungen. Es gäbe keine üble Nachrede wegen Anreicherungsphänomenen im Fettgewebe. Es gäbe keine Bedenken von Seiten des wissenschaftlichen Beratungsausschusses der Europäischen Kommission, das Amalgam unbedenklich weiterzuempfehlen.
Es gäbe keine Bedenken, weil das Amalgam sich nicht mit dem UN-Quecksilberabkommen von Minamata beißen würde. Wenn, ja wenn der ganze Körper doch nur aus Zähnen bestehen würde. Weil der Körper aber noch andere Organe besitzt, die zur Aufnahme und Lagerung von Quecksilber sehr gut geeignet sind, man denke nur mal an Lunge und Hirn, macht es sich so eine Kommission nicht leicht. Im Gegenteil: eine verantwortungsvolle Abwägung der Risiken ist angesagt. Das Amalgam ist, wie zahlreiche Studien belegen, völlig harmlos, wenn, ja wenn es still in der Zahnkavität, das ist der medizinische Terminus für das vulgär anmutende Loch im Zahn, verbracht und auch endgelagert wird. Sobald das Amalgam allerdings die vornehme Kavität verlassen muss, wird es spannend. Es gibt zwei Wege, das Amalgam aus seiner wohligen und behaglichen Oralumgebung zu vertreiben.
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