Ein Bedürfnis nach zwischenmenschlicher Zuwendung
„Wir neigen zur Fehlinterpretation von Koinzidenz als Kausalität. Daher legen nicht nur Patienten, sondern auch Ärzte häufig größeren Wert auf ihre subjektiven Erfahrungen als auf harte Daten“ erklärt Professor Mayer. Hinzu komme, dass im Unterschied zu „den komplexen und oft noch immer ungenügend verstandenen Wirkungsmechanismen von Pharmaka“, die Konzepte, welche der Homöopathie zugrunde liegen, sehr simpel und damit auch für Laien leicht verständlich seien. Zu einem verbreiteten Misstrauen gegen die moderne Medizin und ihre oft schwer allgemeinverständlichen Hintergründe geselle sich auch die Tatsache, dass manche Krankheiten trotz großen Aufwands und massiver Nebenwirkungen der Behandlung nicht geheilt werden könnten. Dies sei ein Grund für den Wunsch vieler Patienten nach „sanften und natürlichen Heilmitteln“.
Und doch lassen sich zuweilen gewisse therapeutische Erfolge nicht abstreiten. Lässt man die behaupteten Wirkmechanismen der Homöopathie – mangels einer validen, wissenschaftlichen Basis – als Erklärungsmodell außen vor, liegen vielen dieser Erfolge wohl zum einen der Placebo-Effekt und zum anderen die ausgeprägte zwischenmenschliche Komponente bei der Behandlung durch einen Homöopathen zu Grunde. Es liegt in der Natur der homöopathischen Lehren, vom Arzt eine eingehende Beschäftigung mit den Patienten zu fordern; eine wichtige Komponente im Behandlungsprozess, die auf Grund der unserem Gesundheitssystem inhärenten finanziellen und zeitlichen Beschränkungen leider oft zu kurz kommt. Lassen sich homöopathische Therapien so rechtfertigen? Für Professor Berger ist dies „eine nicht triviale ethische Frage“. Professor Mayer meint: „Die fehlende Zuwendung von Ärzten zu den Patienten ist kein Argument für die Homöopathie, sondern Kritik an unserem Gesundheitssystem.“ Professor Smolle ist der Ansicht, dass Ärzte ihren Patienten sowohl objektive Wirksamkeit, als auch Empathie schulden. „Somit lehne ich sowohl die AlternativmedizinerInnen, die sich vor der objektiven Wirklichkeit davon stehlen, wie wissenschaftliche MedizinerInnen, wenn sie die psychosoziale Seite ignorieren, ab.“ Auf die Frage nach einer Lösung empfiehlt Professor Freissmuth jedem, über sich selbst nachzudenken. „Wir wissen vieles nicht und stoßen als Mediziner oft an unsere Grenzen.“ Ärztliche Zuwendung sei aber wichtig. „Die Medizin sollte sich auf ihre ureigensten Aufgaben bescheiden. Das gesprochene Wort und Zuwendung können auch heilen – und das oft gezielter als ein Glas Wasser oder ein Pharmakon.“
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