Ein Gastbeitrag von Daniel Kürner, Student der Medizinischen Informatik an der Technischen Universität Wien, mit fachlicher Unterstützung von Corinna Kainrad, Studentin der Diätologie an der Fachhochschule St. Pölten
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Nach einem 7 Millionen Euro schweren Mediainvestment bei der Puls-4-Show „2 Minuten 2 Millionen“ wurde das Jungunternehmen Kiweno, das Tests zur Bestimmung von Nahrungsmittelunverträglichkeiten anbietet, als Rekord-Start-up gefeiert. Kiweno ist angetreten, die „individuelle Gesundheitsvorsorge zu revolutionieren“, doch nun melden sich immer mehr kritische Stimmen aus der Wissenschaft zu Wort und weisen darauf hin, dass derartige Tests nutzlos sind.
Hintergrund: Was sind Nahrungsmittelunverträglichkeiten?
Menschen mit Nahrungsmittelunverträglichkeiten reagieren empfindlich auf bestimmte Nahrungsbestandteile. Man unterscheidet hierbei immunologische und nicht-immunologische Reaktionen. Bei einer Nahrungsmittelallergie lösen allergene Inhaltsstoffe eine Immunreaktion aus und der Körper bildet IgE-Antikörper, die sich mit einer Blutabnahme nachweisen lassen. Ein Beispiel hierfür ist die Erdnussallergie, bei der es zu einem schweren anaphylaktischen Schock kommen kann. Zöliakie ist ebenfalls eine immunologische, jedoch nicht-IgE-vermittelte Reaktion. Dabei kommt es zu einer lokalen Entzündung der Dünndarmschleimhaut und zu einer Schädigung der Darmzotten. Im Gegensatz dazu haben Nahrungsmittelintoleranzen keinen immunologischen Hintergrund. Bei einer Fructosemalabsorption kann der Dünndarm den zugeführten Fruchtzucker nicht aufnehmen, sodass dieser in den Dickdarm gelangt und dort zu Problemen führt. Bei einer Laktoseintoleranz kann Milchzucker aufgrund eines Enzymmangels nicht verdaut werden.
Bluttest auf Basis von IgG4
Mit all dem hat der Kiweno-Bluttest nichts zu tun. Auch wenn Kiweno angibt, auf über 70 Nahrungsmittelbestandteile zu testen, kann der Nutreos-Test keine dieser Nahrungsmittelunverträglichkeiten feststellen, denn er arbeitet auf Basis von IgG4-Antikörpern. Diese Methode ist seit langem bekannt, das Innovative an Kiweno ist also nicht ein neu entwickeltes Testverfahren, sondern die Online-Plattform, auf der die Laborergebnisse aufbereitet werden. Dementsprechend besteht auch das Team von Kiweno hauptsächlich aus Marketing-Leuten und Softwareentwicklern.
Das Problem an Tests auf Basis von IgG bzw. IgG4 ist, dass diese nichts über vermeintliche Unverträglichkeiten aussagen und zu unnötigen Einschränkungen führen, wie die Diätologin Johanna Lhotta im Profil aufklärt. Wissenschaftler und Allergologenverbände sind sich einig, dass diese Antikörper zur Abklärung von Nahrungsmittelunverträglichkeiten untauglich sind – genauso wie Austestungen mittels Kinesiologie, Bioresonanz oder Elektroakupunktur, die bestenfalls Zufallstreffer erzielen.
Wenig aussagekräftige Testergebnisse
Bevor ein medizinischer Test zur Diagnose von Erkrankungen eingesetzt wird, sollte er zeigen, dass er zuverlässig reproduzierbare Ergebnisse liefert und auch tatsächlich das misst, was er vorgibt zu messen. Er sollte vorhandene Erkrankungen nicht übersehen (Sensitivität), aber auch nicht überreagieren, wenn die Erkrankung gar nicht vorliegt (Spezifität). Für Tests auf Basis von IgG bzw. IgG4 wurde gezeigt, dass dies nicht geleistet werden kann. Aufgrund der fehlenden Aussagekraft werden diese Tests in der evidenzbasierten Medizin mit gutem Grund nicht angewendet. Wie wenig aussagekräftig die Testergebnisse von Kiweno sind, offenbart ein Versuch in der Futurezone. Ein Proband schickte je eine Blutprobe von seiner linken und seiner rechten Hand ein, mit dem verblüffenden Ergebnis, dass die linke Hand auf 9 Nahrungsmittelbestandteile reagiert, während die rechte Hand 38 Unverträglichkeiten aufweist – für Kiweno ein bedauerlicher Einzelfall.
Kiweno gibt zu, dass der Test „umstritten“ sei und in Diskussion stehe. Mit der Aussage, dass er wissenschaftlich „noch nicht bewiesen“ sei, verkennt man aber den Stand der Forschung. Es ist nicht so, dass die Evidenz für den IgG4-Test einfach nur noch fehlen würde, sondern es ist ganz im Gegenteil belegt, dass derartige Tests keinen diagnostischen Nutzen bieten. In der Wissenschaft herrscht Konsens darüber, dass IgG4-Tests als Indikator für Nahrungsmittelunverträglichkeiten untauglich sind, da hohe IgG4-Werte nicht mit klinischen Symptomen korrespondieren. IgG4-Antikörper weisen meist nicht auf einen Krankheitsprozess hin, sondern sind eine natürliche immunologische Antwort auf den Kontakt mit Nahrungsmittelbestandteilen. Man könnte sagen: Der Test zeigt, was man gegessen hat. Paradoxerweise kommen einige wissenschaftliche Studien mit Allergikern sogar zum Ergebnis, dass IgG-Antikörper als Marker dafür dienen können, dass man ein Lebensmittel verträgt – also zum Gegenteil dessen, was Kiweno behauptet. In diesen Studien stiegen mit zunehmender Toleranz auch die IgG-Werte an.
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