Kiweno hält fest, dass für die Allergologen-Leitlinie, die die Bestimmung von IgG4-Antikörpern zum Nachweis einer Nahrungsmittelunverträglichkeit als irrelevant erachtet, nicht sämtliche zur Verfügung stehenden Daten berücksichtigt wurden, und führt zwei Studien auf seiner Website an. Dass die Studie von Atkinson et al. (2004) mit Reizdarmpatienten unerwähnt bleibt, stimmt nicht. Sie wird in der Allergologen-Leitlinie angesprochen, jedoch werden die Schlussfolgerungen aufgrund von methodischen Mängeln in Frage gestellt. Laut Kiweno attestiert eine Studie von Bernardi et al. (2008) dem IgG4-Test eine gute diagnostische Genauigkeit und klinische Relevanz. Genau das wird von den Studienautoren selbst jedoch verneint! Die Angabe von Sensitivität und Spezifität alleine reicht nicht. Berücksichtigt man die niedrige Prävalenz von Nahrungsmittelunverträglichkeiten, ergibt sich nur ein geringer positiver Vorhersagewert. Das heißt, dass der Test viele falsch-positive Ergebnisse liefern wird. Auch wenn der Test positiv ausfällt, hat man die angezeigte Unverträglichkeit mit großer Wahrscheinlichkeit gar nicht. Bernardi et al. (2008) kommen zum Schluss, dass der Test zur Bestätigung einer Unverträglichkeit oder gar für ein Screening der Allgemeinbevölkerung nicht angewendet werden sollte.
Gegen den Forschungsstand
Unterdessen kämpft Kiweno weiterhin gegen den Forschungsstand an und argumentiert ganz in Alternativmediziner-Manier: „Was heute als nicht wissenschaftlich gilt, kann morgen schon der Goldstandard sein.“ Wissenschaftliche Erkenntnisse seien „im Fluss“. (Mit dem Fließenden scheint man sich bei Kiweno auszukennen: Das „Ki“ in Kiweno steht für den japanischen Begriff der Lebensenergie.) Auch die Akupunktur sei früher „ausgegrenzt und verteufelt“ worden, heute sei sie aber anerkannt. Kiweno meint, im medizinischen Bereich sei man eben „nicht so innovationsoffen wie anderswo“. Die Ablehnung der Allergologen rühre auch daher, dass Kiweno in ein bereits besetztes Geschäftsfeld „reingehen“ würde. Kiweno entwickle die Tests für jene Menschen, die dem „Gott im weißen Kittel“ nicht mehr vertrauen und der „Allmacht der Pharmariesen und Ärztevereinigungen“ entkommen wollen. Seltsam: Kiweno „erhebt nicht den Anspruch, im klinischen Sinne zu heilen“ und empfiehlt zur Abklärung von Beschwerden dann doch, einen Facharzt aufzusuchen.
Positive Rückmeldungen
Auch wenn die Tests „umstritten“ seien, gelinge es Kiweno, die Menschen dazu zu motivieren, sich mit Ernährung und Gesundheit auseinanderzusetzen. Mitgründerin Bianca Gfrei verweist auf zahlreiche positive Rückmeldungen und überzeugende Resultate. „Warum sollten wir also einen Test, der in der Praxis zum Wohlbefinden vieler Menschen beiträgt, nicht anbieten?“ Dass sich eine Ernährungsumstellung positiv auswirken kann, steht außer Frage. Dennoch gibt es ethische Bedenken: Kiweno verdient an der Verunsicherung der Anwender. Den Kunden werden Unverträglichkeiten eingeredet, auch wenn sie gar nicht betroffen sind. Es wird keine zuverlässige Austestung verkauft, sondern eine „Modekrankheit“. Viele Menschen sehen in einer Liste zu meidender Lebensmittel eine vermeintliche Lösung für allerlei gesundheitliche Beschwerden. Eine auf beliebigen Ergebnissen aufbauende Diät schränkt die Lebensqualität der Betroffenen allerdings unnötig ein. Ein enttäuschter Anwender bezeichnet das Marketing als „extrem dreist und unehrlich“ und findet die irreführenden Informationen auf der Website „vollkommen daneben“.
Dubiose Allergietests
Mit dubiosen Allergietests verdienen Ärzte, Heilpraktiker und Labore in Deutschland etwa 10-20 Millionen Euro pro Jahr. Solche Tests erfreuen sich besonders im alternativmedizinischen Bereich großer Beliebtheit, wo sie mitunter mit wissenschaftlich klingenden Erklärungen angepriesen werden. Es wird beispielsweise behauptet, man teste auf verzögerte Reaktionen, sogenannte Typ-3-Allergien. Der Allergologe Jörg Kleine-Tebbe stellt klar: „Allergien vom Typ III gegen Nahrungsmittel gibt es praktisch nicht. Das ist eine reine Erfindung.“
In genau diese Kerbe schlägt auch Kiweno und möchte mit seinem „einzigartigen Testverfahren“ angebliche Typ-3-Allergien aufspüren. Zur Verteidigung des IgG4-Tests verweist man auf das laut Selbstbeschreibung führende Labor im Bereich der „wissenschaftlich basierten Komplementärmedizin [sic]“ (GANZIMMUN), auf ein Labor für „komplementärmedizinische Diagnostik“ (Labor Dr. Bayer) und auf ein Labor mit einem Schwerpunkt im Bereich der „naturheilkundlichen Labordiagnostik“ (Biovis), das als Partnerlabor von Kiweno auch die Auswertung der Blutproben vornimmt.
Das angebliche Leaky-Gut-Syndrom
Kiweno erklärt, dass Nahrungsmittelunverträglichkeiten auf feine Risse in der Darmschleimhaut zurückzuführen seien. Der moderne Lebenswandel mit einseitiger Ernährung und Antibiotika würden die Darmschleimhaut schädigen und durchlässig machen. Dadurch würden Nahrungspartikel, Toxine und Schwermetalle in die Blutbahn gelangen und eine chronische Entzündung verursachen, die zu diffusen Beschwerdebildern führen soll. Kiweno spricht vom sogenannten „Leaky-Gut-Syndrom“ und bietet auch dafür einen Bluttest an, der die Durchlässigkeit des Darms bestimmt. Dieser Bluttest sei eine „sehr gute Methode, um ein Leaky Gut Syndrom festzustellen“, behauptet Kiweno.
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