Kathrin Zinkants Reaktion in der Süddeutschen Zeitung auf das Münsteraner Memorandum hat bei unserem Stamm-Gastautor Dr. Hans-Werner Bertelsen einige Verärgerung hervorgerufen. Hier ist seine Replik zu Zinkants Artikel „Homöopathie – Patienten müssen wählen dürfen“ in der SZ vom 9.3.2018.
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Zinkants Märchenstunde
von Hans-Werner Bertelsen
Kathrin Zinkant, bekannt für kritische Berichterstattung im Bereich sogenannter Alternativmedizin, ist mit ihrem neuen Artikel zur Homöopathie über den Zaun geklettert und hat damit den Bereich der Seriösität verlassen. Als Reaktion auf diesen gruseligen Artikel der Autorin gleich Verwirrtheit zu attestieren, wie es ein Kommentator im GWUP-Blog tut, so weit würde ich nun doch nicht gehen.
Aber ich mache mir große Sorgen, dass aufgrund der Relativierung und Verharmlosung, die die Autorin hier für eine scheintherapeutische Behandlungsweise ausspricht, wieder Todesfälle durch Falschbehandlung oder durch Unterlassen einer indizierten Therapie auftreten werden. Den Patienten müsse man doch, so Frau Zinkant, die „Wahlfreiheit“ lassen. Ich frage mich, ob die Autorin wirklich bereit ist, Verantwortung zu übernehmen, wenn sich aufgrund solcher Plattitüden aus dem Bereich der Pippi-Langstrumpf-Romantik erneut tragische Todesfälle ereignen.
Was mir gänzlich unklar ist: welche Wahlfreiheit meint die Autorin? Wählen die Patienten, die einer gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) angehören, wirklich nur zwischen Scheintherapie und medizinisch indizierter Therapie? Ich behaupte: Nein. Die gesetzlich versicherten Patienten wählen zuallererst, ob ein Arzt für ein Gespräch 4,89 Euro erhält, oder ob er eine Vergütung aus dem homöopathischen Honorar-Honigtopf erhält. Ist die ärztliche Kommunikation mit Zuckerkugeln verknüpft, dann ist ein solches Gespräch plötzlich das 25-fache wert: 120,- Euro.
Eine „Menge Holz“, bedenkt man, dass es für das Betreiben einer Homöopathiepraxis nur der „3 Ks“ bedarf: Klemmbrett – Kugelschreiber – Kneifer.
Keine teuren Medizingeräte und vor allem: kein hochqualifiziertes Personal, welches die Jahresbilanz zu Lasten des hohen sechsstelligen Homöopathen-Einkommens unnötig verdünnen könnte. Eine Raumpflegefachkraft, die notfalls auch mal die Post zum Briefkasten bringt – und schon steht das Geschäftsmodell Zuckerkugel.
Was mir ebenfalls unklar ist: Was wäre passiert, wenn die Autorin sich positiv zu der vom Münsteraner Kreis geforderten Abschaffung der Zusatzbezeichnung „Homöopathie“ im Bereich ärztlicher Fortbildungsmärchen geäußert hätte? Hätte sie Ärger bekommen? Etwa mit dem Leiter der Münchner Kinderklinik, Professor Christoph Klein, der sich mir gegenüber persönlich am 7.11.2016 etwas verschämt mit der aus der Psychologie als „Co-Abhängigkeit“ bezeichneten Argumentsfalle für den Zuckerkugelwahn rechtfertigte: Wenn im Haunerschen Kinderspital in Einzelfällen homöopathische Medikamente zum Einsatz kämen, so geschähe dies auf Wunsch der Eltern immer nur als “add on” zu etablierten Therapieverfahren.
Im Klartext: Wenn’s hilft, weiß niemand, was geholfen hat.
Ich nenne eine solche, in der Kinderklinik propagierte Form der Therapie „DTP-Technik“ (Dilletantische therapeutische Polypragmasie).
Es drängen sich noch mehr Fragen auf: Was wäre passiert, wenn die Autorin sich positiv zu der vom Münsteraner Kreis geforderten Abschaffung der Zusatzbezeichnung „Homöopathie“ ausgesprochen hätte? Wären die Auflagezahlen der SZ in Bayern wirklich erneut eingebrochen? Scharlatanerie gehört mittlerweile in bayrischen Praxen zur Grundausstattung – dementsprechend dürfte die geneigte Klientel unpässlich auf eine Reduzierung des gewohnten Angebots reagieren – vornehmlich im Bereich hoher Einkommens- und Doppelnamendichte. In Bayern gilt es angesichts der hohen Lebenshaltungskosten als wirtschaftlich kamikazaesk eine Kassenpraxis gänzlich ohne „ganzheitliches Profil“ zu eröffnen, weil die von der reinen Kassenmedizin generierten Umsätze zum Überleben des Inhabers und seiner hochqualifierten Mitarbeiterinnen nicht ausreichen. Das ist den Ärztekammern hinlänglich bekannt. Aber die Vorstände ignorieren offensichtlich schon seit über 30 Jahren den von Prof. Dr. Irmgard Oepen (Institut für Rechtsmedizin der Philipps-Universität Marburg) eindringlich geäußerten Appell:
Somit ist es dringend erforderlich, dass Kammern und Fachgesellschaften Stellungnahmen zu solchen Heilmethoden abgeben, deren Risiko gegenüber dem Nutzen unangemessen hoch ist, oder deren Nutzen überhaupt nicht belegt ist. Es kann nicht länger verantwortet werden, dass diese Verfahren mit dem Etikett „Natur- oder Erfahrungsheilkunde“ versehen und als Naturheilverfahren im Sinne der Weiterbildungsordnung eingestuft werden. Dementsprechend sollten diese Verfahren auch nicht mehr durch ärztliche Fortbildungsveranstaltungen empfehlend vermittelt werden. Schließlich müsste auch der eingangs erwähnten irreführenden Darstellung entschieden entgegengetreten werden, in der behauptet wird, dass sich die Universitäten nicht oder nicht genügend um schonende und natürliche Heilmethoden bemühen.
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