Ein Gastbeitrag von Hans-Werner Bertelsen
Wir müssen uns darauf vorbereiten. Auf den Tag nach der Globukalypse. Was wird passieren, wenn Patienten keine kassenfinanzierte Homöopathie mehr erhalten? Was wird aus den vielen Patienten, die jetzt noch von der entspannten Zuwendung und vom geduldigen Zuhören so sehr profitieren, dass sie sogar die Unbewiesenheit und die mit der Methode verbundenen Zweifel billigend in Kauf nehmen, weil ihnen der menschliche Kontakt und der damit verbundene Zugewinn wichtiger ist? Kein Patient wird zugeben wollen, dass zwischenmenschliche Wärme ein für ihn notwendiger Faktor zur Genesung ist. Kein Homöopath wird zugeben wollen, dass er die Homöopathie anwendet, weil es die einzige Möglichkeit ist, Sprechende Medizin gut bezahlt zu bekommen. Dass er mit seinem Tun lediglich Surrogate verteilt, die als Ersatz für die verloren gegangenen Hoffnungen dienen sollen – auch das wird der Homöopath für sich behalten.
Also wo sollen Sie hin, die vielen, nach Hoffnung und Gehör Suchenden? Werden sie die mitunter hohen Kosten dann selber tragen? Ihre Hausärzte arbeiten ausnahmslos an der Belastungsgrenze. Selbst wenn sie es wollten, würden die Hausärzte diese wertvolle Arbeit nicht übernehmen können, bürdete man ihnen diese zusätzlich auf. Strukturelle Defizite im System der Abrechnung – allesamt hausgemacht – sorgen schon jetzt für einen hohen Belastungsgrad. So weist Fabry [1] zurecht auf die Auswirkungen der hohen Dauerbelastung unter den Medizinern hin: Burnout-Syndrom, Beeinträchtigungen der Lebensqualität, depressive Störungen, Suizidalität und Suchterkrankungen. Wer erbringt dann die so wichtige Arbeit? Psychologen und Psychotherapeuten haben schon heute gefährlich lange, mitunter suizidbegünstigende Wartezeiten. Bleiben als Ausweg die Kirchen. Ein möglicher Ausweg wäre es, sie “mit ins Boot” zu holen, damit diese zumindest in den stark gelichteten Reihen ihrer Anhängerschaft für Zuwendung und Zuhören sorgen.
Darüberhinaus sollten die Gelder der Psycho-Onkologie drastisch aufgestockt werden. Tumorpatienten brauchen qualifizierte und professionelle Beratung, damit sie nicht auf Scharlatane angewiesen sind, die ihnen nachweislich sowohl den Kontostand als auch die Lebenszeit kürzen. Die ärztliche Gebührenordnung sollte ebenfalls nicht als steingemeißelt gelten. Es ist ein Unsinn, wenn die längst überfällig gewordene Besserbewertung der Sprechenden Medizin zu Abwertungen in anderen diagnostischen oder therapeutischen Gebührenziffern führt. Eine sich selbst kannibalisierende Gebührenordnung kann den Bedürfnissen und Anforderungen einer ethisch orientierten Medizin nicht gerecht werden. Ein möglicher Ausweg hier: Die von mir seit Jahren geforderte “Intensivberatung” für Tumorpatienten, depressive und polymorbide Patienten. Diese Gelder müssen budgetneutral zur Verfügung gestellt werden. Als lohnenswerte Quelle der Finanzierung können sich die nach der Globukalypse freiwerdenden Gelder erweisen. Ein hoher sechsstelliger Millionenbetrag, der spürbar zur Entlastung der Misere in der Sprechenden Medizin beitragen würde.
Surrogate für verlorene Hoffnung gibt es in nahezu allen Kulturen. Manchmal stellen sie lediglich eine olfaktorische Belastung dar (getrocknete Fledermäuse), manchmal wird durch die Nachfrage auch eine Spezies ausgerottet (Nashörner). Manchmal allerdings rottet sich der Patient mit einem Surrogat selber aus. Zum Beispiel dann, wenn durch die Anwendung eines Zuckerkugel-Surrogats das therapeutische Zeitfenster für eine rechtzeitige und indikationsgerechte Therapie verpasst wird.
[1] Fabry G: Rolle und Sozialisation des Arztes, berufliche Belastungen. In: Koch U, Bengel J (Hrsg): Anwendungen der Medizinischen Psychologie. Hogrefe, 2017; 81-111: https://doi.org/10.1026/00578-000
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