Florian Aigner hat kürzlich einen Text auf seiner Webseite veröffentlicht, in dem er erklärt, warum er im Jänner 2024 aus der GWUP ausgetreten ist. Auf diesen Text habe ich bereits auf der Mailingliste der GkD geantwortet, möchte dies aber ebenfalls öffentlich tun. Deshalb hier nocheinmal in Form eines offenen Briefs:
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Lieber Florian,
ich habe den von dir verlinkten öffentlichen Text „Die GWUP: Zwischen Wissenschaft und Ideologie“ aufmerksam gelesen und möchte dazu ebenso öffentlich Stellung beziehen.
Ich stimme dir in vielen Punkten zu. Die ersten drei Absätze beschreiben sogar wörtlich meine eigene Erfahrung (wenn man das „Vize“ streicht) – bis auf den letzten Halbsatz natürlich. In anderen Punkten würde ich dir aber klar widersprechen.
Critical Studies
Z.B. sehe ich nicht, wo es in der GWUP „die Forderung, den gesamten Bereich der ‚Critical Studies‘ … als Pseudowissenschaft zu deklarieren“ gab. Es gibt ein Video von Sinan und Nikil, die auf lockere Art über „Probleme“ der Critical Studies (CS) sprechen. Das Wort Pseudowissenschaft kommt dort im ganzen Video nicht vor. Und es gibt einen Artikel von Martin Mahner, in dem dieser sehr ausführlich argumentiert, „dass der Verdacht ihrer Pseudowissenschaftlichkeit begründet ist und an welchen zentralen Punkten eine eingehendere wissenschaftsphilosophischen bzw. skeptische Analyse ansetzen könnte“. Zu argumentieren, dass bei den CS ein begründeter Verdacht auf Pseudowissenschaftlichkeit vorliegt, ist nicht dasselbe, wie CS als Pseudowissenschaft zu deklarieren. Es ist auch kein „Versuch, ‚Critical Studies‘ … von vornherein pauschal als pseudowissenschaftlich hinzustellen“, wie du behauptest. Und wenn du die von Mahner aufgezeigten gemeinsamen Grundlagen der CS als „naive Übervereinfachung“ bezeichnest, ohne das irgendwie zu konkretisieren oder (zumindest anderswo) genauer auszuführen, dann machst du es dir zu einfach. So steht das lediglich als deine unbegründete Meinung im Raum, was es umso merkwürdiger klingen lässt, wenn du der anderen Seite „intellektuelle Faulheit“ attestiert.
Du schreibst, „Ich bin sicher, dass sich auf dem Gebiet der „Critical Studies“ schlechte Wissenschaft findet, dass man dort auf unhaltbare Thesen stößt, auf ideologisch eingefärbte Forschung, die den Kriterien der Wissenschaftlichkeit nicht genügt. Ich bin sofort dabei, wenn es darum geht, solche Fehler ehrlich zu analysieren und aufzudecken.“ Aber wie soll das funktionieren, diese Fehler auf dem Gebiet der CS zu analysieren und aufzudecken, wenn die CS doch kein GWUP-Thema sein sollen? Das erscheint mir reichlich widersprüchlich.
Naturwissenschaftliche Methoden
Es geht „in der Skeptikerbewegung … um Fragen, die man mit naturwissenschaftlichen Methoden klar beantworten kann“, behauptest du. Nein, es ging niemals nur um solche Fragen. Das wäre eine radikale, willkürliche und unnötige Einschränkung. Vor 15 Jahren schon gab es z.B. im Skeptiker eine Diskussion darüber, ob die Volkswirtschaftslehre eine Pseudowissenschaft sei, und vor drei Jahren hat Jesus Crespo Cuaresma im Skeptics in the Pub über dasselbe Thema referiert. Eine Menge von Verschwörungserzählungen beziehen sich auf die Vergangenheit und sind von skeptischen Historikern überzeugend widerlegt worden, ganz ohne naturwissenschaftliche Methoden. Sollen das alles etwa skeptische Fehltritte gewesen sein, weil außerhalb der Naturwissenschaften angesiedelt? Ich glaube, Skeptiker sollten auf wissenschaftlicher Basis argumentieren, nicht nur auf naturwissenschaftlicher. Und das Thema der Analyse sollte dabei doch wirklich egal sein. Wenn Kryptozoologie, UFOs, Alternativmedizin und Volkswirtschaftslehre Skeptiker-Themen waren und sind, warum sollte man dann ausgerechnet vor den CS eine rote Linie ziehen?
In Bezug auf „soziale Streitthemen“ meinst du, dass „wissenschaftliche Argumente für die Diskussion wichtig und wertvoll“ seien, aber „eine nicht-wissenschaftliche Streiterei kann man nicht mit Wissenschaft schlichten“. Warum genügt Ersteres nicht für Skeptiker? Warum sollte das Schlichten-können notwendiges Kriterium sein? Aus meiner Sicht ist das wiederum eine willkürliche und unnötige Einschränkung skeptischer Argumentation. Dein Vorwurf, „man argumentiert unsauber und stellt Schlussfolgerungen als wissenschaftlich dar, die sich aus den gelieferten Fakten einfach logisch nicht ergeben“ trifft in dieser Allgemeinheit auf viele Menschen zu, aber gegen wen richtet er sich im Kontext deines Artikels? Da du darin deinen Austritt aus der GWUP begründest, ergibt sich zumindest implizit, dass sich dieser Vorwurf gegen GWUP-Mitglieder richtet. Aber dann wüsste ich gerne konkret, wer genau das wo genau getan hat; also ob man dies tatsächlich einer nicht vernachlässigbaren Anzahl von „Leuten in der GWUP“ zurechnen kann.
Anti-Wokeness
Wirklich sauer stößt es mir auf, wie du in deinem Text den Anti-Wokeness-Vorwurf einsetzt. Ich zitiere dazu aus deinem 5. bis 9. Absatz:
(i) „Ein Teil der GWUP konzentrierte sich immer stärker auf die Auseinandersetzung zwischen den gesellschaftspolitischen Strömungen ‚woke‘ und ‚anti-woke‘.“
(ii) „Mit der sogenannten ‚Skeptischen Gesellschaft‘ wurde eine Art ‚Verein im Verein‘ gegründet, der speziell darauf fokussiert, sich gegen ‚Wokeness‘ einzusetzen.“
(iii) „Und so wird das Wort ‚woke‘ heute hauptsächlich als abwertender Kampfbegriff benutzt, um Leute zu beschreiben, denen man unterstellt, mit ihrem demonstrativ zur Schau gestellten Einsatz für soziale Gerechtigkeit nicht der Gerechtigkeit zu dienen, sondern bloß der Selbstinszenierung als überlegene moralische Instanz. Dieser Vorwurf ist manchmal sicherlich berechtigt.“
(iv) „Auf der anderen Seite gibt es aber eine ‚anti-woke‘ Fraktion, die fragwürdige Übertreibungen von ‚Wokeness‘ instrumentalisieren, um jeden Einsatz für gesellschaftliche Fairness schlechtzureden. Man kennt das von Demagogen wie Donald Trump, Vladimir Putin oder Victor Orban: Feminismus, Antirassismus oder Einsatz für die Rechte sexueller Minderheiten werden als Gefahr dargestellt … .“
Zusammengefasst ergeben (i)-(iv) aus meiner Sicht – und, wie ich meine, auch aus Sicht vieler Leser deines Artikels – folgende Botschaft:
- Die Mitglieder und Sympathisanten der Skeptischen Gesellschaft bilden die „anti-woke“ Fraktion in der GWUP. Sie treten gegen gesellschaftliche Fairness auf und sind am ehesten vergleichbar mit Typen wie Trump, Putin oder Orban.
Ich weiß nicht, ob es wirklich das ist, was du sagen willst, ob es dir nur egal ist, dass man das so lesen wird, oder ob es dir vielleicht überhaupt nicht bewusst ist. Wie auch immer – es ist jedenfalls die Kernbotschaft der Absätze 5 bis 9 deines Artikels. Sie fügt sich auch nahtlos an deine im Vorjahr auf X in diesem Zusammenhang geäußerte Befürchtung, „die GWUP könnte in eine merkwürdige Alt-Right-Richtung abdriften“. Und da dieser Vorwurf, der gleichzeitig eine Beleidigung darstellt, wie auch die ersten beiden oben angeführten Vorwürfe ohne Belege, Verweise oder nähere Begründung daherkommt, verwundert es mich nicht, dass die Veröffentlichung deines Artikels auf der Gegenseite zu einigen recht emotionalen Reaktionen geführt hat.
Ich selbst habe ebenfalls öffentlich Vorwürfe an manche GWUP-Mitglieder gerichtet, insbesondere an den neuen Vorsitzenden Holm Hümmler. Aber meine Vorwürfe sind, zumindest m.E., wohlüberlegt, konkret und – spätestens auf Nachfrage – begründet, wie z.B. kürzlich hier auf X. Dasselbe würde ich mir von der anderen Seite wünschen, sowohl von Personen in- als auch von solchen außerhalb der GWUP.
vG, Ulrich
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