Bei der aktuellen Diskussion um dem Zusammenhang von Kernkraftwerken und Leukämiefällen wird eine wichtige Frage zu wenig diskutiert: Angenommen, es ließe sich tatsächlich ein kausaler Zusammenhang finden, wäre damit die Frage entschieden und wir schalten die Anlagen ab? Darüber muss man streiten.
Auf den ersten Blick ist es eine unerträgliche Vorstellung, dass ausgerechnet Kinder zu unschuldigen Opfern einer Großtechnologie werden, die wir zu benötigen glauben. Unheimlich vor allem deshalb, weil die Gefahr diffus ist, ihr niemand bewusst entweichen kann. Andererseits lohnt es sich, die realen Risiken zu vergleichen: Die ursprüngliche Bfs-Studie besagt, dass es im 5-Kilometer-Unkreis der Kraftwerke pro Jahr zu 1,2 zusätzlichen Krebserkrankungen kommt (nicht: Todesfällen, denn Kinderleukämie ist relativ gut heilbar). Zugleich sterben zum Beispiel jedes Jahr über 5000 Menschen im Verkehr, darunter gut 150 Kinder – Schwerverletzte nicht eingerechnet – ohne dass irgendein Politiker ernsthaft die Autos verbieten möchte. Unvergleichbar? Warum?
Es ist kein Zynismus, wenn man feststellt, dass wir in Staat und Gesellschaft ständig Entscheidungen treffen, die Todesfälle zur Folge haben. Wer etwa festlegt, in wie viel Minuten im Durchschnitt ein Rettungswagen an einer Unfallstelle sein muss, der entscheidet zuerst abstrakt, aber in letzter Konsequenz auch sehr real über Leben und Tod von Menschen. Gesundheitsökonomen haben ausgerechnet, dass sich deshalb die Überlebenschancen im Unglücksfall in den deutschen Bundesländern zum Teil dramatisch unterscheiden. Und dennoch kommt man um solche Entscheidungen nicht herum, denn bei begrenzten Ressourcen müssen Prioritäten gesetzt werden.
Es gibt andere Argumente über das Für und Wider von Kernkraft. Aber ich glaube nicht, dass allein ein minimal erhöhtes Gesundheits- oder Sterberisiko darüber entscheiden darf, ob wir eine Großtechnologie behalten oder abschaffen wollen, Nicht alle ethischen Probleme in modernen Gesellschaften lassen sich intuitiv lösen.
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