Vor sechs Monaten fand ein guter Freund aus London heraus, dass er einen aggressiven Krebs hat, der bereits drei Metastasen in seinem Hals gebildet hatte. Die lebensbedrohliche Diagnose war für ihn ein Schock. Durch großes Glück geriet er jedoch an eine Spezialklinik, das Royal Marsden Hospital (www.royalmarsden.nhs.uk) im Londoner Staddtteil Fulham, die ihn nicht nur medizinisch, sondern auch erstklassig psychologisch betreute. Ein neue US-Untersuchung zeigt, dass dies eher die Ausnahme ist.
Der Londoner Freund musste sich zwei großen Operationen unterziehen, brauchte mehrere Wochen Chemo- und Radio-Chemotherapie. Wenn sich das interdispiplinäre Ärtzeteam zum Besprechen seines Falls mit ihm traf, zeigten sie viel Verständnis für die Sorgen des 43jährigen Mannes, nahmen sich Zeit, sprachen über die Angst der Patienten vor dem Tumor und der Therapie (!) und sorgten dafür, dass der Freund gut motiviert durch den Horror der Radio-Chemotherapie kam.
“Es ist die ureigene Aufgabe eines Onkologen, emotionale Unterstützung zu geben”, sagt der Krebsspezialisten James Tulsky, Direktor des Zentrums für Palliativmedizin am Duke Medical Center in den USA. Seine neueste Untersuchung, die vergangenen Monat im “Journal of Clinical Oncology” veröffentlicht wurde, zeigt jedoch, das dies nicht geschieht.
Die Wissenschaflter zeichneten 398 Gespräche zwischen 51 Ärzten und 270 Patienten mit fortgeschrittenem Krebs auf und werteten sie aus. Sie suchten speziell nach Passagen, bei denen Patienten negativen Gefühle wie Angst, Trauer oder Wut äußerten, und achteten dann auf die entsprechende Reaktion der Ärzte.
Nur 22 Prozent der Mediziner zeigten eine empathische Reaktion (“Ich kann mir vorstellen, dass dies schwer für Sie sein muss”), die den Betroffenen dazu brachten, mehr zu erzählen, wie es ihnen geht. Männer waren insgesamt weniger einfühlsam als Frauen: 48 Prozent der Männer zeigten nie eine Reaktion, die den Patienten dazu ermunterte, weiter über ihren emotionalen Stress zu sprechen, im Gegensatz zu 20 Prozent der Frauen.
Überraschenderweise sprachen überhaupt nur 37 Prozent der Patienten über ihre Gefühle. “Das ist unglaublich, denn diese Menschen haben ja Krebs in einem fortgeschritttenen Stadium”, wundert sich James Tulsky. Warum nur so wenig Menschen ihre Sorgen zur Sprache bringen, weiß der Forscher nicht. Womöglich erwarten sie nicht von den Ärzten, dass sie ihnen emotional zur Seite stehen.
Eine häufige Reaktion der Ärzte auf Gefühlsäußerungen (“Ich habe Angst”) war das Ausweichen auf eine medizinisch-wissenschaftliche Ebene, auf der sie die Krankheit dann neutral besprechen konnten. “Das haben wir häufig beobachtet”, sagt Tulsky. Eine lebensbedrohliche Krebserkrankung bei Patienten erinnert nach Ansicht von Experten jeden Arzt daran, dass auch sein Leben endlich ist. Das halten nur wenige aus und umgehen das Thema.
Dabei möchten einige Patienten wissen, wie gut – oder schlecht – ihre Chancen sind. Vor allem brauchen sie Unterstützung, um die Chancen, die sie haben, optimal zu nutzen.
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