Kürzlich stellten Geologen bei der Internationalen Kommission für Stratigraphie den Antrag auf ein neues Erdzeitalter: das Anthropozän, die Ära des Menschen. Schließlich gebe es mit Erderwärmung, Landschaftsversiegelung, Staudämmen, Flussbegradigungen keinen Flecken auf der Erde mehr, der nicht die Spuren des menschlichen Einflusses trägt. So weit so wahr. Und trotzdem sollte das Anthropozän vielleicht erst mit dem 21. Jahrhundert beginnen: mit der Neuerfindung der Natur.
Bisher hat der Mensch seine Umwelt im Großen und Ganzen nur benutzt. Im neuen Jahrtausend aber fängt er an, sie neu zu erschaffen. Gentechniker verändern das Erbgut von Arten und schaffen so Organismen, die die Natur selbst nie hervorgebracht hätte. Genforscher Craig Venter arbeitet am ersten komplett künstlichen Lebewesen. An der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Lausanne macht sich das Blue Brain Project daran, Gehirne als Computer nachzubauen – inklusive Bewusstsein. Im Labor entsteht eine völlig neue Welt.
Natürlich ist noch unklar, wie viel Erfolg insbesondere das Blue Brain Project und Venter haben werden. Aber schon die Versuche zeigen deutlich, dass es höchste Zeit ist für ein paar Fragen.
Spielen wir Gott? Ich glaube nicht. Müssen wir uns Sorgen um unsere Zukunft machen? Ich glaube schon. Unser Bild davon, was Leben ist, wird sich in den kommenden Jahrzehnten von Grund auf ändern – und damit auch unser Bild von uns selbst. Nie zuvor haben Wissenschaftler unsere Identität derart fundamental in Frage gestellt wie derzeit. Das heisst nicht, diese Frage zu verbieten und die Forschung zu untersagen, die sie stellt. Wir sollten uns aber schon jetzt dafür wappnen, dass wir am Ende des Jahrhunderts in den Spiegel schauen und nicht mehr das Gleiche sehen wie zu seinem Beginn. Wir werden eine neue Antwort auf die Frage finden: Was sind wir?
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