Was ist der Mensch,
Wenn seiner Zeit Gewinn, sein höchstes Gut
Nur Schlaf und Essen ist? Ein Vieh, nichts weiter.
Gewiß, der uns mit solcher Denkkraft schuf,
Voraus zu schaun und rückwärts, gab uns nicht
Die Fähigkeit und göttliche Vernunft,
Um ungebraucht in uns zu schimmeln. (W. Shakespeare, Hamlet IV:iv )


Der Experimentator versucht dem verdutzten Schimpansen einen Tipp zu geben, wo unter einem Plastikbehälter etwas Schmackhaftes versteckt ist. Er zeigt mit ausgestreckter Hand oder mit theatralischer Kopfbewegung durch die Blickrichtung an, wo sich die Leckereien versteckt halten, ja er klopft sogar auf die richtige Stelle. Der Affe hat in Vorversuchen gelernt, dass hier irgendwo Futter versteckt würde. Das gleiche Experiment wird mit Hunden und auch mit Wölfen durchgeführt – beide Spezies natürlich wohlerzogen unter Menschen aufgewachsen. Verstehen die Tiere die Intentionen des Experimentators?

Die Aufgabe bewältigen können nur Hunde. Zielsicher folgen sie den Gesten der Menschen und gehen wohl genährt aus der Übung heraus. Hingegen versagen unsere nächsten Verwandten – die Schimpansen, mit denen wir 99% unseres gerade so populären Erbgutes teilen. Und auch die Wölfe, die nächsten Verwandten des Hundes, schaffen es nicht, die menschlichen Gesten zuverlässig richtig zu deuten. Noch überraschender ist, dass dies nicht an der Erziehung der Tiere durch Menschen liegt, denn auch nur wenige Wochen alte Hunde, die nicht von Menschen erzogen wurden, verstehen die Aufgabe sofort und beweisen damit ihre hohe soziale Intelligenz. Natürlich können Affen konditioniert werden, einen ausgestreckten Arm mit dem richtigen Futtertopf zu assoziieren, doch sie können diesen ausgestreckten Arm nicht gedanklich verlängern, um in der angezeigten Richtung einen genau definierten Punkt im Raum aufzufinden – ganz im Unterschied zu Hunden.

Hunde können unsere Intentionen erkennen, während in der Erfahrungswelt eines Schimpansen intentionale Zustände keinen Platz haben. Dass bereits junge, menschenunerfahrene Hunde diese hohe soziale Kunst beherrschen, während Wölfe sich als minderbegabt erweisen, deutet darauf hin, dass im Laufe der Domestikation des Hundes durch den Menschen über die letzten zehntausend Jahre diese Fähigkeit selektioniert wurde. Intentionen werden also möglicherweise von einer speziellen, genetisch vorprogrammierten Gehirnfakultät erkannt, repräsentiert und verhaltensrelevant genutzt – beim Hund genau wie bei Menschen.
Literatur.
MICHAEL TOMASELLO, Die kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2002, 285 Seiten, ISBN 3-518-58357-3
B.HARE et al., The domestication of social cognition in dogs, in: Science 298/5598 (2002) 1634-1636.