Trotz der vielen schönen Computer, die hier überall herumstehen, gibt es hier etwas, dass einen ständig daran erinnert, dass Stift und Papier noch lange nicht den Löffel abgeben. Auch wenn man in manchen Sitzecken junge Wissenschaftler mit ihren Laptops sitzen sieht, immer wieder tragen auch welche eine gebundene Kladde mit sich herum. Es ist eines der wichtigsten Utensilien eines Wissenschaftlers: Das Laborbuch oder auch Laborjournal.
Das Laborbuch ist eine Art Protokoll oder eine Dokumentation der wissenschaftlichen Arbeit eines Forschers. Die Wikipedia erklärt das ganz gut. Das Schöne ist, irgendwie: Sie sind handgeschrieben, zumindest hier im Labor. Dadurch bekommt jedes eine ganz persönliche Note.
Im Laborbuch protokollieren Wissenschaftler ihre Experimente, sie versehen sie mit Kommentaren, Ideen, Gedanken und notieren die Ergebnisse. Viele Experimente und Berechnung werden aber inzwischen am und mit Computer durchgeführt und gespeichert. Dann werden sie eben ausgedruckt und ins Journal geklebt. Filme werden teils in Einzelbildsequenzen gesammelt.
Jeder hat seinen eigenen Stil
Das heißt jetzt nicht, dass jeder ein absolut perfektes Laborbuch führt. “Da hat jeder seinen eigenen Stil”, sagt Davide. Das sei ein bisschen vergleichbar mit der unterschiedlichen Art, wie Studenten ihr Studium bestreiten und z.B. Vorlesungen protokollieren. Die einen notieren jede Silbe des Profs und setzen sich zu Hause hin und bringen alles in Reinschrift. Die anderen fassen eine Vorlesung in einem Satz zu sammen. So oder ähnlich muss man sich das vielleicht auch für Laborbücher vorstellen.
Natürlich möchte ich Euch gerne einen kleinen Einblick in diese Bücher geben. Doch bei meinem ersten Versuch, ein Foto eines aktuellen Laborbuch-Eintrags zu machen, gab mir einer der Doktoranden erstmal einen Korb. “Nein, dass möchte ich eigentlich nicht.” Zack.
Die einfache Erklärung: Aus laufenden Forschungsprojekten sollte vorab nichts an die Öffentlichkeit gelangen. Denn einerseits könnten Konkurrenten ihre Schlüsse aus dem Material schließen. Andererseits könnten vorab veröffentlichte Daten eben als veröffentlicht gelten, und damit wertlos für einen wissenschaftlichen Artikel werden. Das wäre fatal, denn wissenschaftliche Artikel (Paper) sind die entscheidende Währung in der Forschung.
Nichts veröffentlichen vor der Veröffentlichung
Die Wahrscheinlichkeit ist zwar ziemlich gering, dass tatsächlich ein Konkurrenzlabor ausgerechnet die entscheidenden Hinweise in einem Blog wie diesem hier findet oder dass ein Fachmagazin sich darauf beruft, das Material wäre damit ja schon veröffentlicht.
Aber, man kann ja nie wissen. Also gibt’s hier natürlich keine Fotos aus aktuellen Laborbüchern. Stattdessen gibt’s Seiten aus älteren Journalen. Die Hauptsache ist, man bekommt einen kleinen Einblick, wie so etwas aussieht.
Und damit sei der Reigen eröffnet:
Hier im Labor kursieren zwei Versionen. Eine Kladde in DIN A 4-Format, fester Einband, anthrazitfarbenes Leinen (Foto links) und ein Büchlein in DIN A 5-Format, mit einfachem roten Pappdeckel, der deutlich flexibler ist. Grund der Vielfalt: Die Marke wurde kürzlich gewechselt.
Man beachte die Seitennummern links und rechts oben in der Ecke. Auch der Hinweis in Rot, den der Autor sich selbst gegeben hat, ist interessant: “Did not work, because pH was not adjusted to …! Übersetzt etwa: “Funktioniert nicht, weil der pH-Wert nicht angepasst war an …?”
Im folgenden Beispiel fehlen die Seitenzahlen, dafür gibt’s das Datum. Hier sieht man auch sehr schön das so ein Protokoll im Grunde wie ein Kochrezept funktioniert. Man gibt genau an, wie viel man wann wo von wo hinzugibt. Anders als beim Kochen sollte man sich hier möglichst genau an die Zahlen halten. Sonst wird s schwer für den Fall, das etwas nicht klappt. Wie soll man sonst heraus bekommen, woran es gelegen hat.
Hier ein Beispiel, in dem ein Kurvenverlauf eingeklebt wurde. Tatsächlich ist die Kurve viel länger, deshalb wurde das Stück Papier fein säuberlich gefaltet, damit man es ausklappen kann.
So könnte man jetzt noch seitenweise weiter machen. Aber für den ersten Eindruck reicht das erstmal. Das hier sind Beispiele sehr ordentlich gefüllter Seiten. Manchmal steht auf einer Seite aber auch nur ein Satz.
Je mehr Daten auf dem Computer landen, desto häufiger kommt es vor, dass die Laborbücher lückenhaft sind. Und natürlich werden in manchen Laboren inzwischen auch digitale Laborbücher geführt (sogar online-Versionen gibt es).
Irgendwie hat diese alte Methode mit Stift und Papier aber einen Vorteil (neben all dem Charme): Man kann die Kladden leicht überall mit hinnehmen und sie auch mal etwas ruppiger behandeln. Aber, so vermute ich mal, sind die Tage des papiernen Laborbuchs gezählt. Digitale Kladden werden sie irgendwann komplett ablösen. (Obwohl auch die Nachteile haben.)
Und wer weiß, vielleicht ist einer der Wissenschaftler hier eines Tages ein berühmter Forscher oder Wissenschaftshistoriker interessieren sich für ihn oder sie. Dann werden die alten Laborbücher aus den Kisten gekramt, digitalisiert und der Öffentlichkeit verfügbar gemacht. So wie etwa im Fall des Doppelnobelpreisträgers Linus Pauling, von dem 46 Laborbücher online Seite für Seite abrufbar sind. Damit ist seine Forschung von 1922 bis 1972 transparent gemacht (wenn man es denn lesen kann).
Hier sein erster Eintrag und sein letzter Eintrag.
Auch Einsteins LaborNotizbücher sind längst digitalisiert.
Wer etwas über die Geschichte der Laborbücher erfahren will: Bei Amazon habe ich ein Buch entdeckt, dass sich der Geschichte der wissenschaftlichen Notizen widmet. Leider sehr teuer, aber vielleicht der Ausgangspunkt für eine Recherche nach wissenschaftlichen Papern zum Thema.
Hier noch ein informative Frage und Antwort-Seite zum Thema (auf Englisch).
Der Name dieses Blogs ist natürlich kein Zufall. Da es sich hier um eine Art Protokoll oder Tagebuch über den Laboralltag handelt, liegt der Name ziemlich nahe: Eine Mischung aus den Begriffen Laborbuch und Tagebuch in Form eines Blogs, also eines elektronischen Tagebuchs (nur, dass wir das mal geklärt haben).
Was mich natürlich interessiert: Welche der Wissenschaftler, die hier mitlesen, führen selbst ein Laborbuch. Analog oder digital? Sauber oder schlampig? Gibt’s die eigentlich nur in Fächern mit Experimenten? Bin gespannt.
Nachtrag:
Der Vergleich mit dem Kochbuch ist gar nicht so verkehrt. Denn eine Funktion des Laborbuches kann auch sein, dass Nachfolger im Labor ein Experiment oder eine bestimmte Prozedur, die sich bewährt hat, nutzen wollen, sie sozusagen “nachkochen”. Da ist ein sauberer, präziser Eintrag von Vorteil (falls es nicht an anderer Stelle notiert ist). Denn letztlich ist nur so eine Bestätigung eines Ergebnisses möglich, und darauf kommt’s am Ende in der Wissenschaft an.
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