Ich bin hier nicht in einer Bank oder im Büro einer Verwaltung. Verbrächte ich dort meine Zeit, könnte man sich recht gut vorstellen wie der Tagesablauf, die Dynamik innerhalb des Büros aussieht. Das ist wahrscheinlich recht vorhersehbar. Hier im Labor sieht das alles etwas anders aus.
In der Verwaltung oder der Bank ist die Abteilung spätestens um 9:00 Uhr komplett, wahrscheinlich schon um 8:00 Uhr. Die meiste Zeit sitzen alle an ihren Schreibtischen, treffen sich ab und zu zu einer Dienstbesprechung. Frühstückspause. Mittagspause in der Kantine, zwischendurch noch kurz einen Kaffee oder eine Zigarettenpause und dann pünktlich oder nach ‘ner Überstunde nach Hause.
Klassischer ‚Nine to five’-Job, ein geregelter Arbeitstag eben (gibt’s da eigentlich einen ähnlich schönen deutschen Begriff für?)
Das ist überschaubar (was in keinster Weise bedeutet, das da schlechter oder weniger gearbeitet wird).
Hier im Labor sieht das alles ein bisschen anders aus.
So richtig feste Anfangszeiten gibt es hier nicht (ob das überall so ist? An meiner alten Uni gab es eine Arbeitsgruppe, da wollte der Prof., dass alle um 9:00 Uhr anwesend sind). Hier gibt es keine Stechuhr, keine Zeitkonten, auf denen man ein Plus oder Minus sammelt. Die Leute kommen und gehen, wann sie wollen. D.h. manche kommen zwischen 8:00 und 9:00 Uhr, andere erst um 12:00. Manche kommen jeden Tag früh, andere mal früher, mal später. Die, die früher kommen, gehen meist auch früher, also etwa um 17:00 oder 18:00 Uhr. Die, die später kommen, gehen meist auch später, das kann dann schon mal 12:00 Uhr nachts werden oder noch später. Manche gehen auch früher und kommen um 10:00 Uhr abends nochmal rein.
Einer der Gründe für das früh kommen, früh gehen (im Fall von Postdoc Sven etwa): Kind zum Kindergarten bringen und abholen. Den Fall gibt es aber nur einmal im Labor.
Davide, Doktorand, der spät kommt und spät geht, erklärt mir, warum er so gerne abends hier ist: „Dann kann ich in Ruhe am Mikroskop arbeiten. Die Tür im Mikroskopraum geht nicht dauernd auf und zu, so wie tagsüber, weil irgendjemand rein oder raus will. Das stört nicht nur, das kann auch meine Ergebnisse verschlechtern“. Für seine Mikroskopaufnahmen muss es möglichst dunkel im Raum sein, jeder Mikroskopbereich im Raum ist mit schwarzen Vorhängen abgetrennt. Trotzdem kann der Lichteinfall durch das Tür öffnen die Aufnahme stören.
Selten mal komplett
Es gibt nur selten Zeitfenster, in denen tatsächlich alle (oder sagen wir die meisten) aus der Gruppe hier im Labor sind. Nicht weil sie ansonsten zu Hause wären. Ein Teil der Leute arbeitet zum Beispiel an Mikroskopen, die in separaten Räumen stehen, um ihre Zellen zu beobachten und zu filmen.
Nicht am Institut zu sein, bedeutet natürlich auch nicht, nicht zu arbeiten. Seinen Forschungsartikel schreiben, das kann man auch zu Hause. Der eine kann das besonders gut in den eigenen vier Wänden, der andere, Doktorand Manuel zum Beispiel, trennt lieber strikt „Arbeitsplatz” und „Zu Hause”. Er ist den ganzen Tag am Institut.
Gerade jetzt im Moment zum Beispiel (11.30 Uhr) sitzen neben mir an der Schreibtischbank am Fenster Doktorandin Iana, technische Assistentin Ivana und Diplomand Bernhard an ihren Computern. Es ist ruhig hier, man hört das leise Klappern der Tastaturen und ein bisschen Pippetiergeklimper im Hintergrund. Iana und Ivana besprechen einige Details des Posters für die große Konferenz in Tokio. Manuel und Diplomand Falk stehen an ihren Laborplätzen in unserem Rücken. Der eine pippetiert, der andere beschriftet Petrischalen. Sie bereiten neue Experimente vor.
Doktorand Miguel und Postdoc Nicola sitzen an einem der Mikroskope in einem der Mikroskopier-Räume. Doktorand Davide und Gruppenleiterin Iva sind noch nicht da.
Wichtig: Das Gruppentreffen
Es gibt ein paar Termine zu denen alle (oder die meisten) der Gruppe im Institut anwesend sind. Der wichtigste Termin ist Montags um 16:00 Uhr. Laborseminar, Gruppentreffen, an denen zwei oder drei Gruppenmitglieder in zweiwöchigem Rhythmus in etwa zehn Minuten über den Stand der Dinge berichten: „Was habe ich die letzten zwei Wochen getan? Wie erfolgreich war ich? Was werde ich als nächstes in Angriff nehmen?” Das wird von den Kollegen beurteilt, sie (vor allem Gruppenleiterin Iva und Postdoc Nicola) geben Tipps oder stellen Fragen. Nicht nur fachlich, sondern auch zum Vortragsstil (“Du musst immer erst erklären, was auf der x-Achse und was auf der y-Achse dargestellt ist.“) Manchmal gibt es nur ein paar Kommentare, manchmal wird ausführlich diskutiert. Alles in allem bekommt man den Eindruck, dass sie sich gegenseitig helfen wollen. Für den Hunger zwischendurch gibt es Pizza, belegte Brötchen, kleine Frikadellen, Tee, Saft, Wasser. Das Gruppenseminar ist auch eine gute Gelegenheit organisatorisches zu besprechen.
Neben dem Gruppenseminar gibt es noch ein paar andere Termine in der Woche, an denen man ziemlich einsam im Labor sitzt, weil zumindest ein Teil der Gruppe teilnimmt. Vorträge und der Journal Club. Im Journal-Club (Freitags 14:30 Uhr), der eigentlich ein kleines Seminar ist stellt ein Mitglied einer Forschungsgruppe des Instituts einen wissenschaftlichen Artikel vor, den er gut oder zumindest bemerkenswert findet. Er erklärt die wesentlichen Ergebnisse und was er für bemerkenswert hält.
Das Bier-Seminar
Am selben Tag, Freitag, gibt es um 16:00 Uhr einen viel besuchten Vortrag im großen Auditorium.
Freitag, 16:00 Uhr? Ist man da nicht schon im Wochenende oder bereitet sich zumindest darauf vor, gedanklich?
Bei manchem „9 to 5″-Job sicher. Hier aber trifft sich ein Großteil des Instituts, um einem Doktoranden oder Postdoc bei einem halbstündigen Vortrag (max. 40 min.) zuzuhören und danach zu diskutieren. Das hat ein bisschen was von “Natürlich gehen wir dahin, er ist einer von uns. Außerdem muss ich auch irgendwann diesen Vortrag halten, und möchte ja auch, dass viele kommen und mit mir über meine Forschung diskutieren.” Es ist außerdem eine gute Übung vor großem Publikum seine Forschungsergebnisse zu präsentieren. Etwas, was man als Wissenschaftler später natürlich ständig braucht.
Das Ganze geht dann, gegen 18:00 Uhr, gleitend über ins – Achtung – Bier-Seminar. Aus dem Auditorium begeben sich die meisten der Zuhörer in die große Haupthalle, um bei Bier, Wein, Käse und Brot und anderen Getränken weiter über den Vortrag oder was auch immer in kleineren Gruppen zu diskutieren.
Auch ´ne nette Art, die Woche zu beenden …
Naja. Genau so wenig wie die Arbeitszeiten über den Tag nicht fest gelegt sind, sondern schlicht vom eigenen Projekt und der Art wann und wo man am besten arbeiten kann, bestimmt werden, genau so sieht es mit den Tagen aus, an denen in der Woche gearbeitet wird. Wenn es das Projekt verlangt, sind die Leute eben auch am Wochenende im Labor oder am Mikroskop.
Alles in allem sind die Leute eben hier, weil sie es wollen und nicht weil sie es müssen (zumindest die meiste Zeit) … was nicht heißt, dass sie es nicht auch mal verfluchen, hier zu sein … welcher Ort und Job könnte sich davon schon frei sprechen
Foto: Wikipedia
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