i-fbd0dc059c84fc7fee4173ad8a31ee08-Maikaefer.jpgNach einem Wappentier für die Lindauer Nobelpreisträgertagung müsste man vermutlich nicht lange suchen: das Rennen würde garantiert der Maikäfer machen. Schließlich pflegten die Laureaten über viele Jahrzehnte hinweg eine ganz besondere Beziehung zu diesen speziellen Vertretern der Scarabaeidae (Blatthornkäfer).

Nun könnte man natürlich trefflich darüber spekulieren, weshalb ausgerechnet die Maikäfer so typisch für die Tagung der Nobelpreisträger sein sollen. Findet man in Lindau – der “Insel, auf der Lindenbäume wachsen” – möglicherweise besonders viele Maikäfer? Führt die Stadt den Käfer gar in ihrem Wappen? Wurde die Tagung einst von einer Maikäferplage heimgesucht? Oder liegt die Erklärung gar in kulinarischen Vorlieben mancher Nobelpreisträger?


Ein Maikäfer sorgt für Bewegung

Aber nun genug mit diesen Spekulationen. Die Geschichte des Maikäfers und der Maikäfer-Rede hat einen ganz anderen Ursprung: sie hat mit Graf Lennart Bernadotte zu tun, der Unbeholfenheit der Nobelpreisträger angesichts einer Fotografenmeute und einem netten Zufall.

Wie ein Maikäfer zum Maskottchen der Tagung wurde…

Als sich nämlich am Ende der ersten Tagung im Jahr 1951 die Laureaten zum abschließenden Gruppenbild aufstellen sollten, standen die Herren ziemlich steif in einer Reihe. Die Fotografen wünschten sich mehr Lockerheit.

Da erblickte Graf Bernadotte einen Maikäfer am Boden liegend. Er ergriff die Gelegenheit und das Insekt, reichte es dem verdutzten Adolf Butenandt und forderte diesen auf, eine Rede auf die “Unsterblichkeit des Maikäfers” zu halten. Butenandt – Chemienobelpreisträger des Jahres 1939 – war perplex, seine Kollegen lachten und die Fotografen hatten ihr Motiv im Kasten.

Beginn einer fünzigjährigen Tradition

Im folgenden Jahr – in der Vorahnung, dass Wissenschaftler nicht für Fototermine geboren sind – präparierte sich Graf Bernadotte. Nämlich mit einem Maikäfer aus Schokolade. Diesen brachte er zum Gruppenbild mit und hielt die erste Maikäfer-Rede. Das war der Beginn einer langen Tradition.

Jedes Jahr wurde aus dem Kreis der Preisträger ein Freiwilliger bestimmt, der eine kurze, humorvolle Rede auf den Maikäfer halten musste. Zur Erheiterung seiner Kollegen und der anderen Teilnehmer.

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Adolf Butenandt, der 1951 noch überrumpelt war, stellte vier Jahre später mit einer Maikäfer-Rede seine angekratzte Ehre wieder her (s. rechtes Foto).

Die schöne Tradition hat sich erst in den letzten Jahren verloren – denn inzwischen gibt es ja am Schlusstag zwei kurze Ansprachen. Einerseits ergreift ein Laureat das Wort, andererseits einer der jungen Wissenschaftler.

Sicher ein Zeichen dafür, daß beide Teilnehmergruppen – Nobelpreisträger und Nachwissenschaftler – für die Tagung von gleicher Bedeutung sind. Schlechte Zeiten für die Maikäfer-Rede, für die kein Platz mehr war. Schade eigentlich…


Der vergnüglichen Pflicht der Maikäfer-Rede entging kaum einer der Preisträger. Hier ist es Isidor Isaac Rabi, der 1968 an der Reihe war.

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* Die Stadt Lindau hat übrigens überhaupt kein Wappentier. Kein Insekt, auch keines aus Schokolade. Das Lindauer Wappen ziert eine “bewurzelte grüne Linde”.

 » Marc Scheloske ist Sozialwissenschaftler und Redakteur von ScienceBlogs i-f5ff0970053afb8ff0e127c37c02b17c-Marc_45_sw.jpg