Früher gab es einen Werbeslogan, der hieß: Alles Leben ist Chemie. Dieser war verpönt in der Zeit meines Studiums. Denn in den 1980ern war Chemie so negativ besetzt wie niemals zuvor und vielleicht auch niemals danach. Saurer Regen, verschmutzte Flüsse, Waldsterben … all das. So war das mit dem schlechten Image der Chemie.
Wie kann es also angehen, dass uns heute ein Nobelpreisträger von den Errungenschaften der Chemie und ihrem Wert für die weitere Zukunft der Menschheit berichtet?
Zum einen zählt die sogenannte „Grüne Chemie” längst zum Repertoire der chemischen Industrie. Ihre Herstellungsverfahren sind heute weitgehend optimiert. Nicht zuletzt die Katalysatoren und mehr, von denen wir hier in Lindau hören, haben sehr viel dazu beigetragen.
Zum anderen ist es wirklich so, dass ohne Chemie die meisten großen Errungenschaften der Menschheit des 20ten Jahrhunderts nicht denkbar wären. Ryoji Noyori, der 2001 den Nobelpreis für Chemie gemeinsam mit William Knowles und Barry Sharpless erhielt, verweist auf eine Liste der wichtigsten Innovationen die von Flugzeugen, Strom, Computer bis Wasserversorgung reicht. Da überall steckt so viel Chemie drin?
Noyori sagt ungerührt eine der wichtigsten Aufgaben der Chemie heute und in Zukunft sei die Zusammenarbeit mit und der Einfluss auf fast alle anderen Forschungsgebiete. „Sie ist essentieller Bestandteil vieler interdisziplinärer Wissenschaften”, so Noyori. Chemie erfordere sehr viel Kreativität um ihre schier unerschöpflichen Möglichkeiten zu erkennen.
Besonders am Herzen liegt Noyori dabei die Entwicklung von Medikamenten. „Medikamente werden aus organischen Basisstoffen hergestellt, deshalb spielt natürlich die Chemie in der Pharmazie neben anderen Disziplinen die tragende Rolle.”
Und hier kommen wir unter anderem zu den Arbeiten von Noyori. Seit dem Contergan-Skandal 1961 sind selbst Laien mit einem Phänomen der Chemie vertraut: Viele Stoffe haben eine bestimmte Ausrichtung. So wie unsere Hände spiegelbildlich sind, obschon sie sich vom Aufbau her gleichen (Daumen, Zeigefinger, Mittelfinger, Ringfinger, kleiner Finger), so können Moleküle links oder rechts sein. Man spricht von chiral (händig). Das besondere ist, dass diese beiden Moleküle, obschon sie sich gleichen, verschieden reagieren können. Wie im Contergan-Fall durchaus mit unerwünschten Folgen.
Noyori und seine Mit-Laureaten haben Katalysatoren entwickelt, die helfen, dass während des Herstellungsprozesses eines Stoffes fast nur mehr die eine gewünschte Form gebildet wird – Noyoris Katalysatoren helfen etwa bei der Herstellung von Menthol und Antibiotika.
Die sogenannten stereoselektiven Katalysatoren sind seither für viele Bereiche weiterentwickelt worden und im Einsatz. Beispielsweise in der Lebensmittel-Industrie, wie Noyori an einem Lehrbuchbeispiel wiederholt: Limonen etwa ergibt einmal Zitronenduft und in seiner anderen Form Orangenduft. In der Chemie selbst, sind die Katalysatoren bei der Mehrzahl der Herstellungsprozesse nicht mehr wegzudenken, auch in der Kunststoffindustrie. Schließlich verweist Noyori natürlich noch auf die Bausteine des Lebens in der DNS sowie die meisten Proteine, die ebenfalls chiral sind.
Insofern muss man Noyori einfach Recht geben. Eine Entdeckung in der Chemie kann vieles beeinflussen. Und wenn dies nun, wie Noyori hofft, in Zukunft auch noch vermehrt für die „Grüne Chemie” genutzt wird, dürfte das Image der Chemie sich wieder dem Slogan von damals nähern.
» Beatrice Lugger ist Chemikerin und Wissenschaftsjournalistin. |
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