Gestern Nacht wiegte mich die Stimme des Chemie-Nobelpreisträgers 2007, Gerhard Ertl, in den Schlaf. Ich möchte aber gleich anmerken, dass sich Ertl nicht in meinem Hotelzimmer befand. Mein Fernseher lief und dort lief ein Interview mit ihm… auf Deutsch natürlich.

Einige Worte konnte ich aus seinem Redefluss identifizieren, zum Beispiel “Elektron”, “Atom”, “positiv” und “negativ”. Daraus folgerte ich, dass er über seine preisgekrönte Forschung im Bereich der Oberflächenchemie berichtete, die aufzeigt, wie grundsätzliche molekulare Prozesse an der Berührungsfläche zwischen Gasen und festen Stoffen stattfinden. Ich dachte, dass es sehr ungewöhnlich wäre, so ein gutes, altmodisches Interview im britischen Fernsehen zu finden. Dann schlief ich ein.


Heute Morgen sah ich Ertl dann von einem Busfenster aus auf einer Verkehrsinsel – dieses Mal in Form eines großen schwarz-weiß Portraits, um die 59. Nobelpreisträgertagung anzukündigen. Zum Schluß sah ich ihn auch endlich noch in Fleisch und Blut – als er die Veranstaltung mit einem halbstündigen Vortrag eröffnete. Es ging, Sie ahnen es, um Oberflächenchemie.

Als Ertl als einziger Preisträger im Jahr 2007 ausgezeichnet wurde, waren einige Chemiker erstaunt, dass neben ihm keine weiteren Wissenschaftler bedacht wurden – kein außergewöhnlicher Vorfall für das Nobelkomittee. Aber dennoch waren sich alle einig, dass es höchste Zeit war, die Verdienste der Oberflächenchemie anzuerkennen. Bevor ich dieses Jahr nach Lindau kam, hätte ich mit Sicherheit nicht gewusst, wie viel Einfluss dieser Teil der Chemie auf unseren Alltag hat – nicht zuletzt, um einen Teil der Weltbevölkerung zu ernähren.

Es ist einfach, wenn man darüber nachdenkt: Die wichtigen Vorgänge während einer chemischen Reaktion finden an den Oberflächen statt. Dort, wo die Atome weniger “Nachbarn” haben und so neue Verbindungen leichter eingehen können oder auch bestehende Verbindungen zerbrechen. Oberflächen sind der Ort, an dem Katalysatoren – Substanzen, die die Reaktionsgeschwindigkeit verändern ohne Teil des Endprodukts – ihre Arbeit verrichten. Und genau dort setzte Ertl an.

In den Siebziger und Achtziger Jahren nutzte Ertl mit seiner Arbeitsgruppe an der Ludwig-Maximilians-Universität in München Techniken wie das Scannen von Tunnelmikroskopie. Damit entdeckte das Team den Molekularmechanismus der die Ammoniakherstellung verstärkt – die entscheidende Zutat von Düngemitteln. Unter dem Namen Haber-Bosch-Prozess bekannt ist diese Reaktion seit den Siebziger Jahren bekannt. Sie funktioniert mit einem metallischen Katalysator und wandelt so beispielsweise athmosphärische Stickstoffmoleküle mit Hilfe von Eisenspäne in atomaren Stickstoff, der sich dann mit Wasserstoff zu Ammoniak wandeln kann.

Dank eines Redners desselben Tages, Richard Ernst (Chemie, 1991), der über die Wichtigkeit von Hobbies neben der Wissenschaft redete, kennen wir jetzt das Geheimnis des Erfolgs von Ertls Oberflächenerfolg: Er ist ein versierter Pianist mit einer Leidenschaft für Musik.

 » Matthew Chalmers ist promovierter Physiker und arbeitet als freier Autor. i-ec50973aaa80d157198edd29ee8b77f8-chalmers45.jpg


 » Jessica Riccò ist ScienceBlogs-Redakteurin und Übersetzerin dieses Blogs i-b1d38961410ec576e2bf2c7411f43df3-Jessica_45.jpg