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Nach den Epo-Dopingaffären im Sport kommt der Biotech-Bestseller zur Therapie von Blutarmut auch in der Medizin heftig unter Beschuss. Nachdem Studie um Studie ein höheres Krebsrisiko bestätigt, sieht sich nun auch die verschlafene EMEA zu einer Warnung veranlasst.


Bereits im Mai 2007 kam von der US-Behörde FDA eine „Black-Box”-Warnung. Mit mehr als einem Jahr Verspätung zog nun auch die Europäische Arzneimittelagentur EMEA nach.

The Agency’s Committee for Medicinal Products for Human Use (CHMP) had reviewed new data from studies that showed an increased risk of tumour progression, venous thromboembolism and shorter overall survival in cancer patients who received epoetins compared to patients who did not receive them. Following this review, the CHMP concluded, at its June 2008 meeting, that the benefits of epoetins continue to outweigh their risks in the approved indications.
However, in cancer patients with a reasonably long life-expectancy, the benefit of using epoetins does not outweigh the risk of tumour progression and shorter overall survival and therefore the Committee concluded that in these patients anaemia should be corrected with blood transfusions.

Hier gibt es den Download der aktuellen EMEA-Mitteilung.

Tatsächlich rollt bereits seit einigen Jahren eine regelrechte Lawine von Studien, die mit wenigen Ausnahmen nur Hiobsbotschaften brachte:
• November 2006: Im New England Journal of Medicine erscheinen zwei große Studien mit Nierenkranken, die unter Blutarmut leiden. Patienten, bei denen mit Hilfe von Epo höhere Ziel-Blutwerte angestrebt wurden, hatten in der Folge ein signifikant höheres Risiko für schwere Herz-Kreislauf Komplikationen
• Dezember 2006: Eine dänische Studie unter Patienten mit Kopf- und Halstumoren muss abgebrochen werden, weil in der Epo-Gruppe das Tumorwachstum stark zunahm und die Sterblichkeit anstieg.
• Diese Arbeit war die Wiederholung und Bestätigung einer Studie des deutschen Krebsmediziners Michael Henke (siehe dazu mein Interview), der bereits 2003 gezeigt hatte, dass Epo das Risiko eines fortschreitenden Tumorwachstums um 69 Prozent, das Sterberisiko um 39 Prozent erhöht.
• Januar 2007: Die Resultate einer Studie mit 989 anämischen Krebspatienten, die keine Chemotherapie bekamen, zeigen in der Epo-Gruppe keine Verringerung des Bedarfs an Bluttransfusionen, dafür eine um 25 Prozent höhere Sterblichkeit
• Februar 2007: Bei 681 Patienten mit Wirbelsäulenoperationen wird in der Epo-Gruppe eine doppelt so hohe Zahl von Venenthrombosen beobachtet
• Im selben Monat werden der FDA Ergebnisse einer Studie an Lungenkrebspatienten gemeldet. Daran sollten ursprünglich 300 Patienten teilnehmen um zu testen, ob Epo die Lebensqualität verbessert. Bereits nach Einschluss von 70 Patienten wird die Studie jedoch abgebrochen, weil die Patienten in der Placebogruppe im Schnitt 131 Tage, jene in der Epo-Gruppe nur 68 Tage überlebten.

Sowohl für die Krebsmediziner als auch für die Nierenspezialisten kamen diese Ergebnisse völlig unerwartet. „Wir wollten die Natur nachahmen, weil wir wissen, dass Menschen mit normalen Blutwerten länger leben”, erklärt mir dazu Heinz Ludwig, Präsident der europäischen Gesellschaft für medizinische Onkologie. Scheinbar gilt das nicht uneingeschränkt für Krebspatienten. „Nun müssen wir uns wohl vom Traum verabschieden, dass wir mit Epo eine Lebensverlängerung erzielen.”

Bei Nierenpatienten bleibt der Nutzen der Therapie hingegen unbestritten.

Noch in den Achziger Jahren waren die Aussichten für Patienten mit chronischer Nierenschwäche katastrophal. Der fortschreitende Organschaden führte dazu, dass die Produktion des vor allem in den Nieren gebildeten Wachstumshormons Erythropoetin (Epo) immer mehr zum Erliegen kam. Ohne Epo können die roten Blutkörperchen nicht ausreifen. Damit verschlechtert sich die Versorgung des Organismus mit Sauerstoff rapide. Der Anteil der roten Blutkörperchen, der so genannte Hb-Wert, sank von einem Normalwert von 14 g/dl Blut rasch unter 10 g/dl ab. Die Patienten fühlten sich elend und hatten oft nicht mehr die Kraft, vom Bett aufzustehen.
Einzige Therapie war die Gabe von Blutkonserven, die erst bei massivster Anämie bei einem Hb-Grenzwert von 6 g/dl gestartet wurde. Fremdblut ist an sich schon ein Risiko. Dazu litten die Patienten an Eisenüberladung und bauten Antikörper gegen Fremdeiweiss auf. Spendernieren wurden in der Folge häufig abgestoßen. Als 1989 das erste biotechnologisch hergestellte Epo auf den Markt kam, war das eine wirkliche Revolution. Die Patienten verloren die bedrückende Müdigkeit und konnten wieder ein weitgehend normales Leben führen.

Der Bedarf nach einem derartigen Wundermittel war natürlich enorm. Und parallel zum raketenartig steigenden Absatz stieg die Herstellerfirma Amgen aus dem kalifornischen Thousand Oaks zum Superstar der jungen Biotech-Unternehmen auf. In den Anfangsjahren war der Einsatz des Mittels auf die Behandlung der Blutarmut bei Dialyse-Patienten beschränkt. Bald war es auch für Nierenkranke im Vorstandium der Dialyse zugelassen. Da sich die Chemotherapie bei Krebspatienten negativ auf die Blutbildung auswirkt, wurde ein weiterer attraktiver Absatzmarkt gefunden. Und schließlich überlegten die Mediziner, ob Epo-Produkte nicht auch vorbeugend zum absehbaren Abfall der Blutwerte – auch bei Krebspatienten ohne Chemotherapie nutzbringend wäre. Der Wiener Onkologe Heinz Ludwig wurde schließlich zu einem der Verfechter der These, Epo generell zur Verbesserung der Lebensqualität von Krebspatienten einzusetzen. In einer europaweiten Studie zeigte er, dass zwei Drittel aller Krebspatienten zumindest einmal im Lauf ihrer Therapie anämisch waren.
Diese neu definierte Blutarmut hatte nun aber nichts mehr mit den historischen Tiefstwerten zu tun, die einst bei Nierenkranken die Gabe von Blutkonserven notwendig machte. In Ludwigs Analyse galt beispielsweise bereits als anämisch, wenn der Anteil der roten Blutköperchen auf Werte unter 12 g/dl fiel. Anstelle der konkreten Diagnose einer Anämie wurde diese also auf Grund der Laborwerte definiert.

Dieses Konzept, das von der Industrie immer mehr in den Mittelpunkt ihrer Werbung gerückt wurde, kurbelte den Epo-Verbrauch neuerlich an. Denn nun wurde die Therapie im Regelfall dann eingeleitet, wenn der Hb-Wert unter eine bestimmte Grenze abfiel. „Es ist dem gegenüber viel aufwändiger, den Patienten zu befragen, wie es mit seiner Leistungsfähigkeit steht, ob die Belastbarkeit abgenommen hat, oder ob Atemnot oder sonstige konkrete Beschwerden der Anämie bestehen”, erklärt der Freiburger Radioonkologe Michael Henke. „Da ist es viel einfacher, den Patienten ins Labor zu schicken, ich guck mir den Wert an und geb die Epo-Spritze, das war von den Firmen gut eingefädelt.”
Gleichzeitig wurden von den verschiedenen medizinischen Fachgesellschaften immer höhere Zielwerte in der Therapie angepeilt. Wenn die Blutwerte der Patienten annähernd im Normalbereich der Gesunden wären, so die Theorie, könnte ihnen das ja kaum schaden.

Was sich nun immer mehr als Trugschluss herausstellt, wirkte auf den Absatz der Epo-Präparate jedenfalls wie ein Turbo. Die Dosierungen wurden erhöht, die Einsatzgebiete stetig erweitert. In den USA erhalten Dialyse-Patienten heute die dreifache Dosis wie zu Beginn der 90er Jahre. Und während die Marktsättigung bei Nierenpatienten schon beinahe am Plafond ist, schwärmten Marktanalysten vom weiten Feld der Krebstherapie als neuem riesigen Hoffnungsmarkt. Hier prognostizierten Experten der Deutschen Bank noch vor kurzem eine Verdoppelung des Umsatzes bis 2012.

Derzeit halten die drei marktbeherrschenden Firmen Amgen, Johnson & Johnson sowie Roche bei einem weltweiten Volumen von rund zehn Milliarden Euro.
Österreich gehört laut einer Analyse des Ludwig Boltzmann Instituts für Health Technology Assessment zu den Meistverbrauchern in Europa und liegt in Relation um 20 Prozent über den Verbrauchswerten Deutschlands. Die durchschnittlichen Aufwändungen pro Patient und Jahr kletterten zuletzt auf rund 2.400 Euro.

In den USA, wo Epo-Produkte im Ausgabenkatalog der staatlichen „Medicare” den ersten Rang einnehmen, haben die Kassen mittlerweile schon die Konsequenzen aus den Warnungen der Behörde gezogen. Zu hohe Zielwerte in der Therapie wurden herabgesetzt, strengere Kontrollen angekündigt. Dass dies durchaus nötig ist, zeigten einige Vorfälle, wo Ärzte und Dialysezentren regelrechte Provisionen von den Firmen bekamen, wenn sie für Epo-Rekordumsätze sorgten. Auch die in den USA übliche Werbung für Epo-Produkte im TV wird nun einer strikten Kontrolle unterzogen, die Firmen konkret vor weiterem aggressivem Marketing im Kampf um Ärzte und Patienten gewarnt.

Einig sind sich die meisten Experten darin, dass es nun nicht mehr möglich ist, einfach zum Status Quo vor den schief gegangenen Studien zurückzukehren. „Es muss nun ein für alle mal geklärt werden, ob Epo-Produkte das Tumorwachstum fördern”, forderte der US-Krebsmediziner Fadlo Khuri im Juni 2007 in einem Leitartikel des New England Journal of Medicine. Bleibt die Frage, wer die teuren Studien bezahlt. Die Hersteller zeigen bislang wenig Begeisterung. „Doch wir brauchen eindeutig mehr Daten, die zeigen, dass die Vorteile überwiegen”, sagt Ludwig, „und das müssen schon die Firmen finanzieren, damit die Zulassung aufrecht bleibt.”

Kommentare (2)

  1. #1 Harry
    Juli 1, 2008

    Wenn man davon ausgeht, dass Medikamente und Methoden erst jahrelang getestet werden müssen, bevor diese normal verabreicht werden, ist es schon erstaunlich wie man sowas erst jetzt entdecken kann.

  2. #2 Verdandi
    Juli 20, 2008

    „Doch wir brauchen eindeutig mehr Daten, die zeigen, dass die Vorteile überwiegen”, sagt Ludwig, „und das müssen schon die Firmen finanzieren, damit die Zulassung aufrecht bleibt.”

    Aber klar, wenn den Unternehmen das große Geld durch die Lappen gehen könnte, müssen die entsprechenden Firmen selbst große Studien finanzieren, die alle “Zweifler” oder die vorangegangenen Studien sofort “widerlegen” und zum Schweigen verurteilen.
    Um die Gesundheit der Patienten geht’s doch lange nicht mehr. Man hat mit Epo in der Krebs-Therapie DEN Markt gefunden und wird ihn auch nicht aufgeben.