Nun mal was ganz anderes. Montag und Dienstag war ich für zwei Tage am CEREGE, einem der grössten französischen Institute zum Thema Paleo-Klimatologie, Geophysik und Geomorphologie, sehr schön gelegen zwischen Marseille und Aix-en-Provence. Es waren zwei wirklich erfolgreiche Arbeitstage zu unserem gemeinsamen Projekt, der Interpretation von Isotopen in der Zellulose von Baumringen. Wir hoffen so, deutlich belastbarere Paleo-proxies für die letzten 1000 Jahre entwickeln zu können, als wir sie bisher zur Verfügung haben. Aber darüber wollte ich gar nicht schreiben.
Bild 1: Der TGV Bahnhof von Aix-en-Provence kurz nach seiner Fertigstellung. Mittlerweile ist so gut wie die gesamte Fläche auf dem Foto ein “wilder” Parkplatz.
Wer schon mal in Frankreich gereist ist, der kennt den TGV, Train à Grande Vitesse. Vor ca. drei Jahren wurde die Strecke Paris-Marseille, der TGV Méditerranée vollständig auf Höchstgeschwindigkeit ausgebaut, so dass die Strecke mittlerweile in 2:50h bei teilweise über 300km/h zurückgelegt werden kann. Ich finde es immer wieder überraschend, wie solche Entscheidungen eine ganze Gegend verändern können, und zwar von Grund auf.
Hier ein paar der nicht wirklich geplanten Nebenwirkungen. Fährt man nicht durch bis Marseille, kann man z.B. am neu gebauten TGV Bahnhof Aix-en-Provence aussteigen (so wie ich). Aix ist eigentlich ziemlich klein und so hatte man mit ein paar Wochenend- oder Sommerurlaubern gerechnet und einen entsprechenden Parkplatz angelegt. Pustekuchen. Mittlerweile gibt es einen Haufen Leute, die in Aix-en-Provence und Umgebung wohnen und in Paris arbeiten, praktisch 1000km entfernt. Viele haben ihre sündteuren Pariser Apartments verkauft, sich stattdessen ein winziges “Studio” in Paris für die Dienstag-Mittwoch-Donnerstag (daher der Name der sogenannten “Dimidos”) Arbeitswoche zugelegt und für den Rest des Geldes eine riesige Villa mit Pool in der Provence gekauft. Erste Nebenwirkung: Was auf dem Foto als freie Fläche erscheint, ist vollgeparkt, und zwar bis praktisch auf die Autobahn herunter, die man auf dem Foto schön erkennen kann. Als mein Kollege mich abends am Bahnhof absetze, musste er heftig in die Eisen steigen. Die ersten Autos standen ohne jedes Licht am Autobahnrand geparkt. Aber nicht nur die betonierte Fläche, einfach alles alles, was mit einem normalen Auto noch erreichbar ist, ist vollgeparkt. Der ungemein schnittige, aber kleine Bahnhof vom kleinen Aix wird somit von einem “Park and Rail” Parkplatz für Pariser Geschäftsleute umlagert. Natürlich wird bereits mit neuen Parkflächen und Parkhäusern gekontert, Bauarbeiten, die diese Autobahn/Parkplatz-Umgebung schliesslich völlig ins Chaos gestürzt haben. Und so sieht man dann In der Dunkelheit Pariser Buisness Köfferchen samt Träger auf lehmigen Untergrund gleitend ihren C6 suchen.
Der zweite Nebeneffekt ist im Nachhinein auch keine Überraschung. Die ersten Parisflüchtlinge haben sich noch verlassene Provence-Häuschen in der Umgebung zu einem Spottpreis unter den Nagel gerissen. Mittlerweile ist Zahltag. Die Preise um den TGV Aix herum schiessen trotz globaler Immobilienkrise nach oben. Dritte Nebenwirkung. Es gibt aber nicht mehr genug alte Provence-Villen, zu welchem Preis auch immer. Also wird gebaut, mitten hinein in die Provence. Bei der Fahrt vom Bahnhof haben mir meine Kollegen dann all die Stellen gezeigt, wo jetzt gebaut wird und es, oooupps, vor just 5 Jahren mal gebrannt hat. Ohne Wald, kein Bauschutz. Brennt es aber, so sagt das Gesetz, denn ganz dumm ist der Staat nun auch nicht, darf für 5 Jahre nicht gebaut werden. Anders ausgedrückt, bereits vor 5 Jahren als der Bahnhof in Aix noch nicht in Betrieb war, haben einige Findige bereits prophylaktisch geschützten Pinienwald abgefackelt, in der freudigen und mittlerweile bestätigten Erwartung, dass die Immobilienpreise in der Gegend deutlich anziehen werden. Und da sage noch einer, dass es nicht möglich ist, in einer Demokratie langfristig ökologische Planungen durchzuziehen. Vielleicht sollte man besser Vertreter der Marseiller Baumafia nach Poznan schicken um wirklich nachhaltig zu planen?
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