Die im Urlaub gelesenen Bücher müssen aufgearbeitet werden und so gibt es jetzt einige Rezensionen. Ich fange an mit einem Buch, was hier auf Scienceblogs von Jörg schon mal und recht positiv besprochen wurde. Ebenso hier auf der englischen Seite von Scienceblogs. Und da beide Besprechungen detailliert und schön und positiv sind, werde ich auch kurz erklären, warum ich noch eine Rezension schreibe.
Bild 1: Hier rum geht’s. Richard Mullers Buch “Physik für alle, die mitreden wollen”.
“Physics for future Presidents” oder etwas altbackener auf Deutsch “Physik für alle, die mitreden wollen” von Berkeley Professor Richard Muller ist flott geschrieben, immer unterhaltsam und mit grösztmöglicher Penetranz faktenorientiert. Muller hangelt sich durch die “Big Issues”, die auf keiner Party nach dem zweiten Bier fehlen dürfen: Wie gefährlich kann Al Quaida eigentlich werden (Antwort: nicht besonders)? Sollen wir in die Kernenergie einsteigen, respektive wiedereinsteigen? Wieviel Menschen sind eigentlich bei Tschernobyl umgekommen? Wie sieht die Energieversorgung von Morgen aus und wann gibt’s endlich das Wasserstoff-Auto?
Bild 2: Richard Muller hat Vertrauen zu Tier und Mensch.
Mullers Stärke ist ganz klar die Bierdeckel-Rechnung. Wenn die leider auch im Deutschen einen schlechten Klang hat (Warum eigentlich? “Back of the Envelope” klingt so unendlich viel seriöser), erlauben genau diese einfachen Rechnungen soooo viele und ach so brennende Fragen mal ganz trocken und klar zu beantworten. Man muss gar nicht immer in einen Diskurs eintreten, nett sein und andere Meinung mal gelten lassen, man kann auch einfach mal was wissen. Trotz Hollywood, werden Terroristen keine A-Bomben bauen, sie werden aller Wahrscheinlichkeit nicht in der Lage sein, Plutonium zur Explosion zu bringen, und es fehlt, so sehr das grüne Herz es auch begehrt, noch ein ganzes Stück an Entwicklung und Forschung, um auf eine Welt auf Wasserstoffbasis (d.h. mit Wasserstoff als Energiespeicher) zu schwenken. “All das sollten Sie wissen, wenn Sie mitsprechen wollen” ist Mullers Lieblingssatz und so ist es eben.
Bild 3: HADCRU globale Temperaturen.
Er hat aber auch ein Kapitel zum Klimawandel geschrieben und über das habe ich mich bei aller Begeisterung über den Rest des Buchs doch teils arg geärgert. Muller, der Nuklear-Physiker ist und unter anderem an AMS 14C Messungen gearbeitet hat, hat eine stille Leidenschaft für die Klimaforschung und die Geo-Wissenschaften, insbesondere das Thema Eiszeiten und generell geheimnisvolle Zyklen betreffend. Ich meine es ganz ohne Ironie: Muller hat grosze Freude an ungewöhnlichen astrophysikalischen Erklärungen für geowissenschaftliche/klimatologische Phänomene.
So meinten etwa einige Paläontologen belegen zu können, dass groszes Artensterben erdhistorisch etwa alle 26 Millionen Jahre stattgefunden habe. Muller formulierte daraufhin die doch recht steile These eines bislang unbeobachteten roten Zwergsterns (schwach strahlend mit nur etwa 40% der Sonnenmasse), der in einer extrem elliptischen Bahn um einen gemeinsamen Schwerpunkt mit unserer Sonne zirkuliert und alle 26 Millionen Jahre eben einen Asteroiden-Schwarm auf uns niederrieseln lässt. Der Name dieses unheilbringenden Partnersterns ist passender Weise Nemesis.
Eine andere Oszillation, die in der Paläoklimatologie grosze Bedeutung hat und die sicherlich weit besser gesichert ist als die 26 Mega-Jahre Oszillation der Massenextinktionen, ist die 100.000 Jahres Periodizität der Eiszeiten in den letzten etwa eine Millionen Jahren. Auch hier formulierte Muller einfallsreich eine zu Beginn viel diskutierte These, derzufolge die Eiszeiten durch das regelmässige Eintauchen der Erde in eine Ebene hoher Konzentrationen extraterrestrischen Staubs verursacht sind. Die Spektralanalyse, die er in Science veröffentlichte und die die Basis seiner Argumentation war, stellte sich als fehlerhaft heraus. Nachwievor bevorzugen die weitaus meisten Paläoklimatologen eine Erklärung der Eiszeiten, die mit der sich zyklisch ändernden Position der Erde relativ zur Sonne und der sich so breitenkreisweise ändernden Einstrahlung (den sogenannten Milankovitch Zyklen) zu tun hat. Das nur, um zu sagen, dass Mullers Verhältnis zu den Geowissenschaften nie langweilig und nicht ganz konfliktfrei war.
Bild 4: Radiatives Forcing aufgeteilt nach den verschiedenen Faktoren, von den Treibhausgasen zur solaren Variabilität. Man beachte das völlige Fehlen vulkanischer Aktivität in den 40-60er Jahren des 20ten Jhd.
In seinem Kapitel zum Klimawandel schiesst er nun aber einige Böcke, die ich ihm nicht durchgehen lassen kann:
1) Zum Temperaturverlauf der letzten 150 Jahre (siehe Bild 3). Wie die meisten Leser hier sicher wissen, kam es ihn den 50er Jahren zu einer Stagnation des Temperaturanstieg, der bereit in den 90er Jahren des 19ten Jhd. begann. Muller sagt dazu:
“Viele Fachleute schreiben die kurze Abkühlungsphase inzwischen einer ungewöhnlichen Anzahl von Vulkanausbrüchen zu, die in jenen Jahrzehnten stattgefunden und Russ und Staub in die Atmophäre gespien hatten. …Sobald der Staub sich gesetzt und die Vulkanaktivität aufgehört hatte, fing die Erde wieder an, sich zu erwärmen.”
Es gab in den 50/60er Jahre aber keine Vulkanausbrüche (siehe Bild 4) und “die Experten” meinen das auch keineswegs. Vielmehr geht der IPCC davon aus, dass die Temperatur-Stagnationsphase zur Mitte des 20ten Jhd eher der beschleunigten Industrialisierung und den damit einhergehenden anthropogenen Sulfat-Emissionen geschuldet ist. Sulfataerosole sind ziemlich effektive Sonnenlicht-Reflektoren, von Staub ist bei der ganzen Geschichte nie die Rede. Zudem lässt sich ohnehin noch über das eigentliche Aussmasz dieser Stagnationsphase streiten, da es während des Krieges und kurz danach zu mehreren eher schlecht kalibrierten Änderungen der Messstandards von Ozeanwassertemperaturen kam.
Bild 5: Im IPCC vorgestellte Feedback Analyse nach Soden und Held. Man beachte, dass die Wolken in der Tat eine grosze Streuung in ihrem Verhalten auf die Treibhauserwärmung zeigen, sie aber eindeutig einen positiven Feedbackfaktor darstellen. Mullers Aussage dazu ist falsch.
2) Mehre Böcke zur Wolkenphysik und deren Beschreibung in den Modellen. Muller schreibt:
“Andererseits kann mehr Wasserdampf auch mehr Wolken bedeuten, die das Sonnenlicht reflektieren und die Erwärmung bremsen. Das wäre übrigens eine negative Rückkoppelung.”
Wolken sind Sonnenlicht-Reflektoren und Infrarot-Emitter. Es ist je nach Wolkentyp sehr variabel, welcher Effekt dominiert. Dünne fast transparente Wolken, Cyrren, verstärken den Treibhauseffekt, tiefliegende, dichte, stratiforme Wolken schwächen ihn eher, wobei es auch da sehr auf das lokale Temperaturprofil ankommt. So pauschal wie Muller es formuliert ist die Aussage auf jeden Fall falsch.
“Das (die Unsicherheiten in der Beschreibung der Wolkenphysik, GH) ist der Grund dafür, dass wir nicht hundertprozentig sicher sein können, dass Kohlendioxid wirklich die Temperatur auf der Erde erhöht.”
WENN die Wolken dazu in der Lage wären, wie es Mullers Satz suggeriert, sämtliche Erwärmung durch das CO2 und andere Treibhausgase zum Verschwinden zu bringen, lebten wir auf einem Planeten mit 100% Dämpfung. Unzählige Beobachtungen von Klimaschwankungen in der Vergangenheit dokumentieren das Gegenteil. Das Klima dieses Planeten ist variabel und relativ kleine ursprüngliche Schwankungen der Energiebilanz (wie die Milankovitch Zyklen, s.o.) werden verstärkt und eben nicht abgeschwächt. Wolkenphysik ist schwierig und sicher noch nicht abschliessend verstanden, Wolken sind aber leider kein Anlass zu der Hoffnung, dass am Ende eine Klimaänderung von Null herauskommen könnte.
“So ziemlich die ganze Unsicherheit aller Prognosen aus Klimamodellen erklärt sich daraus, dass all diese Modelle nicht geeignet sind vorherzusagen, wie Wolken sich verändern, wenn die Temperatur steigt. Das IPCC nimmt an, dass Wolken eine stark negative Rückkoppelung aufweisen, die aber nicht ausreicht, um den Erwärmungseffekt komplett zu neutralisieren.”
Wolken sind der gröszte einzelne Unsicherheitsfaktor in den Modellen, es gibt aber durchaus noch eine Reihe anderer. Etwa die Hälfte der Modellunsicherheiten gehen auf die Wolken, das ist viel, aber nicht alles. Woher Muller hat, dass die Modelle prinzipiell nicht in der Lage sein sollen, dass Verhalten von Wolken zu beschreiben, ist auch unklar und wird von ihm nicht angegeben. Hier sind die Experten zumindest anderer Meinung. Der zweite Teil seiner Aussage ist nun völlig falsch. Der von den Modellen berechnete Feedback der Wolken ist positiv und nicht negativ. Bild 5 zeigt die auch im IPCC abgebildete Grafik zu den wichtigsten Rückkoppelungen in den Modellen. Muller hat sich offensichtlich hier nicht die Mühe gemacht, sein Zitat einmal nachzuschlagen. Im übrigen deuten jüngste Analysen von Satellitendaten darauf hin, dass die Modelle mit der positiven Rückkoppelung der Wolken gar nicht so falsch liegen.
Ich fand noch eine Reihe anderer Formulierungen Mullers zum Thema Klima mindestens unglücklich. So scheint er irgendwie Klimamodelle für eine gänzlich aus beliebigen Formeln und ohne jede Empirie zusammengestöpselte Freizeitbeschäftigung zu halten. Dem ist sicher nicht so, aber ich will es mal bei den obigen zwei Punkten belassen.
Es sei aber klar gesagt, dass Muller weit davon entfernt ist, ein Klimaskeptiker zu sein. Seine im Buch formulierte Erklärung des Treibhauseffekts als solchen fand ich zum Beispiel ziemlich gelungen. Im Gegenteil. Er nimmt das Thema sogar sehr ernst und diskutiert eine Reihe von möglichen technologischen Strategien, um dem Problem des verstärkten Treibhauseffekts Herr zu werden. Mir höchst sympathisch, zeigt er, wieviel allein durch intelligente Energiesparmassnahmen herausgeholt werden kann. Bevor man alles darauf setzt, dass in 20 Jahren ein Topamak Energie im Überfluss und zu Null-Umweltkosten produzieren wird, sollte man sich doch AUCH um das kümmern, was in jedem Fall heute schon machbar ist.
Trotz seiner zeitweiligen Aussetzer beim Thema Klima, gebe ich eine ganz ausdrückliche Lese-Empfehlung für Mullers “Physics for future Presidents”. Wer nicht mindestens das, was Muller hier beschreibt, drauf hat, der kann nicht Bundeskanzler werden und wird nach dem dritten Bier zu Recht bei jeder Party von allen ausgelacht.
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