Seit einiger Zeit scheint Gott ein Revival in der Kosmologie und der Physik zu feiern. Kein einziges Grossprojekt mehr, das nicht verspricht, das Ding mit Gottes Schöpfung jetzt mal genau durchzumessen, kein populärwissenschaftliches Buch mehr, das nicht am Ende en passant ein bisschen Metaphysik betreiben muss. Das immer noch in der Schweiz bzw. in Frankreich im LHC vor sich hinrotierende Higgs-Boson nennt sich “the god particle”, George Smoot (ist übrigens seit neuestem bei uns in Paris! ) verspricht mit dem Satelliten Cobe, Polaroids vom Angesicht Gottes zu machen (es geht darum die kosmische Hintergrundstrahlung zu kartieren, das nur nebenbei) und Stephen Hawking untertitelt sein letztes Buch “The Grand Design” mit dem Satz: “New answers to the ultimate questions of life” oder in einer anderen Version “The world most famous scientists addresses the meaning of the Universe”.
Bild 1: Hawkings und Mlodinow möchten die Fragen nach dem Sinn des Universums beantworten. Hier der Beginn der vollständigen Rezension bei Florian.
Ich bezweifele sehr, dass man mit der Superstring Theorie zumindest meine “ultimate question of life” beantworten kann und ich bin bereit, mich von mehreren Körperteilen zu trennen, wenn in Hawkings Buch die Frage nach dem Sinn des Universums auch nur gestellt, geschweige denn beantwortet worden wäre. Dieses offensichtliche völlige ontologisch/eschatologische Durcheinander ist natürlich teils schlicht Werbung der jeweiligen Verlage, die genau wissen, dass man ein Buch über Brane und Superstrings nicht millionenfach verkauft, egal wie gut es geschrieben ist, teils ist es ein kokettes Scherzen, wie bei Smoot, und teils schliesslich ist es Folge einer wirklich vorhandenen philosophischen Ignoranz.
Hier also ein Buch, was ein wenig Ruhe in dieses aufgeregte Gegacker bringt und präzise die Fragen stellt, die andere beantworten wollen und doch nicht richtig verstanden haben. Etienne Klein arbeitet wie ich bei der CEA, der frz. Atomenergiebehörde. Er ist Direktor des Laboratoire de Recherches sur les Sciences de la Matière und hat als solcher an der Konzeption des LHC teilgenommen. Er ist ausserdem Autor zahlreicher philosophischer und wissenschaftstheoretischer Schriften, von denen zumindest eines, “Die Zeit”, auch ins Deutsche übersetzt wurde. Im Dezember letzten Jahres veröffentlichte er also bei Flammarion “Discours sur l’origine de l’Univers”, etwa “Reden zum Ursprung des Universums”. Da Etienne Klein nicht reisserisch Durchbrüche in die Welt des Jenseits verspricht, sondern sich sauber und elegant durchs begriffliche Dickicht kämpft und da das Buch obendrein mit einer ganzen Anzahl von amüsanten Anagrammen gespickt ist, die natürlich nur im Französischen funktionieren, stehen die Chancen für eine Übersetzung wahrscheinlich eher schlecht. Ich halte das Buch ausserdem für einen ganz starken Beitrag zum Thema, was die Physik eigentlich leisten kann und was wir überhaupt zum Thema, dem Ursprung des Universums”, vernünftigerweise sagen können. Aus diesen beiden Gründen werde ich die 160 Seiten der “Discours” etwas ausführlicher in zwei Teilen diskutieren.
Bild 2: Discours sur l’Origine de l’Univers von Etienne Klein. Eine ewige Jagd nach einer Chimäre des christlich-jüdischen Abendlands?
Zuerst einmal macht Etienne Klein auf ein paar Schwierigkeiten aufmerksam, die schon zeigen, dass man bei diesem Thema auf schwankendem Terrain steht. Hawking behauptet etwa in the grand design: “the universe can and will create itself from nothing,”. Aber was ist dieses nothing, dieses Nichts, von dem aus das Universum entsteht? Denkt man an das Nichts (zu unterscheiden von dem Nichts in dem klassischen Mann/Frau Dialog:”Woran denkst du?” , “Och, an Nichts”) , so versubstantiviert man es ja bereits und schon ist nicht mehr wirklich “Nichts”. Das “Nichts”, auf das sich Hawking beziehen mag, ist jedenfalls ein absolutes, ohne Raum, ohne Zeit, ohne Materie, und als solches unserer Vorstellung nur schwer zugänglich: “L’origine de l’Univers” mit seinem bezeichnenden Anagramm “Un vide noir grésille”, eine schwarze Leere knirscht vor sich hin.
Aber ist dieses Nichts wirklich so ganz alleine? Kennt diese Abwesenheit von allem nicht schon zumindest die Naturgesetze, die, wenn man den Zeitpunkt 0 der Schaffung des Universums überschritten hat, alles in die Hand nehmen? Oder sind diese erst mit der Materie, dem Raum und der Zeit geschaffen worden? Oder waren diese Gesetze vielleicht gar nicht immer dieselben, wie es etwa Lee Smolin propagiert, der von einer Evolution der Naturgesetze spricht. Sei es wie es sei, die meisten Physiker zucken bei der Frage, ob die Naturgesetze nun eine prä-originäre Existenz haben und somit “ewig” sind oder eben nicht, nur die Schultern. Eine sinnlose Frage für viele, und auf jeden Fall nicht beantwortbar. Aber selbst nach dem Big-Bang mag man sich noch fragen, ob es elektromagnetische Kräfte gegeben hat, wenn es doch noch gar keine geladenen Teilchen gibt.
Wir sind noch nicht am Ende mit den semantisch-logischen Problemen und doch hat die Physik eigentlich noch gar nicht begonnen. Wie soll man eigentlich den Übergang von Nichts in Etwas verstehen? Der Übergang, die Transformation von etwas, einem Wesen oder einem Objekt, in etwas ist ein Klassiker der griechischen Philosophie, undzwar ein Paradoxon. Ist die Transformation von etwa X so erfolgt, dass X unverändert X bleibt: Na dann hat es natürlich keine Transformation, keine Änderung gegeben. Ist aber eine Änderung erfolgt, und das Objekt X vor der Änderung und das nach der Änderung Y haben nichts miteinander gemein, na dann hat es offensichtlich eine Transformation gegeben, aber man kann nicht mehr davon sprechen, dass dieses Objekt X sich geändert hat, denn es ist ja vollständig verschwunden. Die Lösung dieses Paradoxon ist natürlich trivial. Streicht man ein rotes Fahrrad blau an, so bleibt es doch ein Fahrrad. Etwas ändert sich (hier im Sinne X wird zu Y), aber ein Satz von Eigenschaften bleibt gleich, muss gleich bleiben, wenn das Wort Änderung einen Sinn haben soll. Welcher Satz von Eigenschaften und Qualitäten des Nichts, welches sich nach Hawking zum Universum wandelt, ist gleich geblieben, wenn es doch PER DEFINITION die Abwesenheit jeder Eigenschaften darstellt?
Bild 3: Noch ein britischer Beitrag zum Sinn des Lebens.
Klein behauptet natürlich nicht, dass derlei logisch, semantische Probleme dem Projekt der Kosmologie und der Physik grundsätzlich Grenzen setzt. Diese Paradoxa und Definitionsprobleme mögen aber sehr wohl darauf hindeuten, dass, selbst wenn dereinst eine Universalformel der Physik eine Theorie von allem und eben auch dem Ursprung des Universums hergibt, dass uns auch dann die Antwort nicht wirklich überzeugen wird. Denn es bleiben Widersprüche, die begründet sind, in der Art wie wir die Fragen überhaupt formulieren können, eine Art unstillbarer metaphysischer Durst, der strukturell unstillbar scheint.
Immer noch bevor es wirklich mit der Physik losgeht, zwei kleine historische Anmerkungen. Der Ursprung des Universums ist in der Kosmologie mit dem so anschaulichen Ausdruck des “Big Bang” verbunden. Historisch geht dieser Ausdruck auf eine ironische Spitze Fred Hoyles zurück, prominentester und bis zum Schluss unbeugsamer Vertreters eines stationären Universums, welcher sich ein in einem BBC Interview ein wenig über die Idee eines Universums, welches sich seit seiner Entstehung im steten Auseinanderdriften besteht, lustig machen wollte. Und Hoyle war nicht der einzige. Julien Green etwa ironisierte: “Das könnte den Amerikanern so passen, sich den Ursprung unseres Universums mit einem Big Bang vorstellen”. Der Big Bang also auch irgendwie ein kulturabhängiges Produkt?
Aber noch lang bevor dieser “Big Bang” Ausdruck Allgemeingut wurde, kam es bereits zu weltanschaulichen Reibereien. Einer der ersten (der erste?), der auf die Möglichkeit eines expandierenden Universums und somit eines Ursprungs im eigentlichen Sinne hinwies, war der belgische Jesuitenpfarrer Georges Lemâitre, der schon 1927 als mögliche Lösung der Einsteinschen Relativitätsgleichungen, ein “atom primitif” vorschlug, eine Art Superatomkern, der alle Materie des Universums enthalten sollte und sich nach einem “Fiat Lux” in steter Expansion befindet. Einstein, der Lemâitre übrigens bei einer Solvay Konferenz begegnete und arg attackierte, roch natürlich den Braten und, wenn er auch die Mathematik Lemâitres als richtig erachtete, betrachtete das Ganze doch als nicht anderes als christliche Mythologie verkleidet in der Form von Lösungen seiner Relativitätsgleichungen. Einstein entschuldigte sich übrigens 1931 in einem Artikel bei Lemâitre und räumte ein, dass er einer ideologischen Verblendung unterlegen sei.
Bild 4: “Gustave Courbet – L’origine du monde” mit dem Anagramm: “Ce vagin ou goutte l’ombre d’un désir”.
Es sollte also klar sein, dass wir uns in einem weltanschaulichen Minenfeld bewegen und man besser ganz genau hinschaut, was die Physik denn nun wirklich zum Thema sagen und was man davon experimentell wiederum belegen kann. Dazu mehr im Teil II.
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