Bummelte ich doch an jenem sehr frühlingshaften Donnerstag abend durch die wirklich schöne Utrechter Altstadt. Alles war, wie es seien sollte: Der laue Wind, die zwitschernden Vögel, die grachtenden Grachten, die sich für das Abendbesäufnis vorbereitenden Jugendlichen und der zarte Hauch von Haschisch, der aus den zahlreichen Coffeeshops quoll. Ich schlenderte also zur gröszten Buchhandlung Utrechts. Mal sehen was der Holländer so liest.
Im Foyer gab es eine Dichterlesung. Der Dichter las selbst und wurde dazu von einer Dame mit Keyboard begleitet. Ihr kennt auch keine holländischen Dichter? Nun, nach kurzem Lauschen war mir klar: Das ist kein Zufall, und da braucht sich die Welt auch nicht für schämen.
Bild: “Die kalte Sonne” von Fritz Vahrenholt und Sebastian Lüning. Auch in Holland ein Verkaufsknüller. “Fritz Vahrenholt (n. 8 de mayo de 1949, Gelsenkirchen-Buer) es un industrial de la energía, ambientalista, y climatólogo alemán.” Wiki España spricht es aus. “Gestern wusste ich noch nicht wie man Klimattolooge schreibt, heute bin ich einen”.
Ich floh also in die untere Etage, in der die Naturwissenschaften zusammen mit der Esoterik und der Psychoanalyse eine Kellerexistenz führt. Aber immerhin, drei grosse Regale voll mit Genetik, Einführung in die Algebra, Green, Dawkins, Hawkinsg und Feynmans Vorlesungen als Hörkasette.
In praktisch jeder Buchhandlung haben es die Klimwissenschaft ja mittlerweile zu mindestens einem eigenen Brett geschafft. Klimaskeptiker und Klimawissenschaftler teilen sich meist hälftig das Brett. Doch, halt. Was ist das? In Holland finden sich natürlich sehr viele englischsprachige Bücher. Man macht sich nichtmals die Mühe, die irgendwie extra zu sortieren. Holländische und englische Bücher stehen wild durcheinander gewürfelt in den verschiedenen Sparten. Aber deutsch? Doch, doch, das einzige Buch deutscher Sprache in der gesamten naturwissenschaftlichen Abteilung stand da bei den Klimawissenschaften, und zwar gleich doppelt: “Die kalte Sonne” von Fritz Vahrenholt und Sebastian Lüning.
Das war ein harter Schlag, der meinen Frühlingsgefühlen ein rasches Ende setzte. Das ist also das einzige “naturwissenschaftliche” Werk, das es über den Rhein geschafft hatte? Erbost lief ich zur Belletristik rauf. Sollte tatsächlich? Goethe, Schiller, Mann, alle sind sie da, aber nur auf Holländisch zu haben. Einzig Vahrenholt/Lüning stehen dort in Deutsch. Das einzige deutsche Buch, das ich in der gröszten Buchhandlung Utrechts finden konnte! Jetzt reicht’s aber, sagte ich mir, und schrieb den folgenden, ersten Beitrag von mehreren, die einer umfassenden Würdigung dieses Werks gewidmet sein werden.
Bild 1: Graphik von Vahrenholt und Lüning zum offensichtlichen Zusammenhang zwischen den cosmic rays und der globalen Temperatur. Sie schreiben dazu:”Die Abnahme der kosmischen Strahlung von 1970 bis 2000 ist durch die Steigerung der Sonnenaktivität verursacht und fällt genau in die Haupterwärmungsepisode. Seit dem Jahr 2000 nimmt die kosmische Strahlung wieder zu und die Temperaturen stagnieren “. Die Grafik findet sich so auch in ihrem Buch “Die kalte Sonne” auf Seite 52 (Abb7), ohne die Pfeile aber mit der gleichen Aussage im Text.
Die beiden Grossklimaforscher Vahrenholt und Lüning, die nebenberuflich bei der RWE tätig sind, haben also herausgefunden, dass die Klimaforscher im Allgemeinen und der IPCC insbesondere völlig falsch liegen, haben den Beitrag der Sonne und der natürlichen Klimavariationen neu bewertet und ein präzises “Modell” aufgestellt, mit dem sie mit im Vergleich zum IPCC deutlich verbesserten Fehlerbalken die Entwicklung der globalen Temperatur bis zum Jahre 2100 angeben (siehe Seite 318 der “Kalten Sonne”). Das Klimaorakel-Duo von der RWE prophezeit +0.8°±0.2°C Erwärmung zum Ende des Jahrhunderts, wobei ich persönlich die im Vergleich zum IPCC so deutlich geringere Erwärmung von +0.8° weniger beeinduckend finde als die geradezu fantastische Reduktion der Unsicherheiten: ±0.2°C! Das soll den beiden erst mal einer nachmachen. Dieses nur durch einen ungeheuer hohen Testosteronspiegel zu erklärende Selbstbewusstsein, das einfach keine Unwägbarkeiten mehr kennt, ist auch schon anderen aufgefallen. Während der IPCC innerhalb eines ökonomischen Szenarios schamhaft mit einer Unsicherheitsspanne von 3°C herumtändelt, ist das Kaltesonneversum praktisch frei von Unsicherheiten. Toll!
Bild 2: CRU globale Temperaturen und Climax (Colorado) Neutronen Monitor Daten. Ein klarer Zusammenhang?
Andere haben sich ebenfalls mit dem Buch beschäftigt (hier eine sehr gute allgemeine Kritik und hier eine politische Einschätzung von der Financial Times Deutschland) und die meisten Kritiker haben neben dieser völligen Abwesenheit von Unsicherheiten insbesondere bemängelt, dass häufig die vermeintlichen Belege und Zitate für Aussagen überhaupt nicht belegen, was sie sollen. Dies hier ist noch nicht meine abschliessende Kritik des Buchs, aber diese beiden Punkte kann ich schon mal bestätigen. Florian hat sich übrigens auch mit einer der Hauptthesen der “Kalten Sonne” beschäftigt, mit dem Zusammenhang zwischen cosmic rays und der Wolkenbedeckung (siehe hier). In diesem Beitrag soll es aber erstmal um etwas anderes gehen.
Bild 2: Ohne die Pfeile von der RWE Klimagruppe ist der “offensichtliche” Zusammenhang nicht ganz so leicht zu erkennen: CRU globale Temperatur und die Messungen des Climax Neutronen Detektors. Die Abnahme der cosmic rays von 1970 bis 2000 und die Zunahme der Temperaturen.
Ein Buch ist ja heute nicht mehr genug, und so betreiben die beiden Klimamodellbauer Vahrenholt und Lüning eine Seite, die auch auf dem Web 2.0 die “Kalten Sonne” (der Titel, au Mann) verteidigt. Ein wesentlicher Bestandteil der “Kalten Sonne” ist dabei die bekannte Hypothese, dass das Magnetfeld der Sonne den Fluss intergalaktischer Teilchen, der auf die Erde niedergeht, kontrolliert, diese wiederum den Grad der Ionisierung der Atmosphäre, welche dann die Zahl der Wolkenkeime und letztlich die Wolkenbedeckung beherrscht. Und da die Wolkenbedeckung ein wichtiger Faktor in der Energiebilanz der Erde ist und zumindest ein Mehr/Weniger an niedrigen strato-cumulus Wolken die Erde wohl abkühlen/erwärmen würde, wäre dann ein Mechanismus gefunden, der kleine Variationen der Sonnenaktivität in ein riesiges Klimasignal verwandelt hätte. Es ist nicht ohne Ironie, dass Klimaskeptiker, die eine Verstärkung einer treibhausgasbedingten Erwärmung durch positive Rückkopplungen, wie etwa den Wasserdampf Feedback, um einen Faktor 2 als völlig unbewiesene Spekulation abtun, ohne Probleme bereit sind, einen solchen wahrlich galaktischen Verstärkungsmechanismus in der Gröszenordnung von einem Faktor von ~1000 als platte Tatsache zu ackzeptieren. Hier und hier und hier habe ich schon mal etwas zu diesem Thema geschrieben.
Bild 3: Daten des Climax Neutronen Detektors und lineare Regresionen von 1968 bis 2000, 1987.5 bis 2000 und von 2000 bis 2007. Nimmt man, wie im Text von Vahrenholt/Lüning angegeben 1970 bis 2000, dann erhält man einen Trend von -0.0033 Neutronen Counts pro Stunde pro Jahr.
Nun, unabhängig davon, wie man jetzt die Beweislage um diesen Mechanismus als solchen sieht, so stellt sich die Frage, wie er denn zur aktuellen Erwärmung seit den 70ern des letzten Jahrhunderts habe beitragen können, wenn doch die Sonnenaktivität seit mehr als 50 Jahren eigentlich gleich geblieben ist (von der bekannten 11 Jahresoszillation mal abgesehen). Ein Masz der Sonnenaktivität sind etwa die seit Galileis Zeiten vermessene Zahl der Sonnenflecken oder auch direkte kalorimetrische Messungen der sogenannten total solar irradiance (TSI, siehe hier). Und da wartet RWE jetzt mit einer bemerkenswerten Graphik auf. Denn es gibt natürlich auch mehr oder minder direkte Messungen des Einfalls der kosmischen Teilchen, nämlich Neutronen Detektoren. Die cosmic rays bestehen zum groszen Teil aus hochenergetischen Protonen, die, einmal in die Atmosphäre eingetreten, gegen Luftmoleküle stossen und so einen ganzen Strausz von Sekundärpartikeln produzieren. Die dabei unter anderem produzierten Neutronen werden dann in Detektoren gemessen, die teilweise seit den 50er Jahren aufgestellt sind (hier ein schöner Artikel zur Geschichte und Funktionsweise dieser Neutron Montitors ).
Bild 4: Mal runter und mal rauf. Ein paar Jahre vor oder zurück entscheiden, ob da denn nun ein Trend in die “richtige Richtung” geht oder nicht. Es gibt also überhaupt keinen signifikanten Trend in diesen Daten. Anfangs- und Enddatum bestimmen alles.
Bild 1 wurde nun von Vahrenholt/Lüning produziert und zeigt die Neutronen Messungen des Climax Monitors in Colorado, der weltweit am längsten operierenden Station. Dies ist was die beiden Klimaforscher dazu schreiben: “Die Abnahme der kosmischen Strahlung von 1970 bis 2000 ist durch die Steigerung der Sonnenaktivität verursacht und fällt genau in die Haupterwärmungsepisode. Seit dem Jahr 2000 nimmt die kosmische Strahlung wieder zu und die Temperaturen stagnieren”.
Bild 5: Verschiedene smoothings (lowess Routine in R) durch die Climax Neutronen Daten. Wer sieht einen Zusammenhang mit den globalen Temperaturen?
Das ist ja nicht unbedingt das, was man gedacht hätte, wenn man mal einfach naiv auf die Daten schaute (Bild 2). Die Pfeile, die diese auf den ersten Blick nicht auffallenden Trends verdeutlichen, sind aber natürlich das Resultat einer objektiven Analyse von Herrn Vahrenholt und Herrn Lüning. Das muss es ja sein, denn sonst würde der obige Satz einfach darauf beruhen, dass einer der beiden einen willkürlichen Strich durch die Daten gezogen hätte. Hmmm, jetzt wo ich diesen letzten Satz so lese …. Vielleicht schaun wir mal doch mal besser nach?
Bild 6: CRU globale Temperaturen und Climax Neutronen Daten von 1951 bis 2006 identisch mit lowess (R smoothing Routine) behandelt.
Ich habe mal die Daten des Climax Neutron Counters heruntergeladen (hier, siehe Bild 2). Die y-Achse gibt die detektierten Neutronen-Counts pro Stunde an und ist skaliert mit dem Faktor 100. Die Regression ist wie beim Pfeil von Lüning und Vahrenholt von 1968 bis 2000 berechnet. Der Trend ist fast null (sogar leicht positiv und nicht negativ, nimmt man 1970 als Stratpunkt ist es umgekehrt), was man nicht erwarten sollte, wenn die Sonnenaktivität tatsächlich signifikativ über diesen Zeitraum zugenommen hätte, wie Vahrenholt/Lüning behaupten. Der zweite Pfeil in der Grafik von Vahrenholt und Lüning zeigt die “abnehmenden cosmic rays” von 1987-2000, also der Phase der stärksten globalen Erwärmung (ca. +0.3°C in 13 Jahren). Leider ergibt sich auch hier eine Regression mit zunehmender kosmische Strahlung statt, wie behauptet, mit abnehmender. Aber immerhin, ab 2000 stimmt es dann wieder. Die kosmische Strahlung nimmt tatsächlich zu, und diese Zunahme ist also gemäsz der Analyse der beiden Klimaforscher Vahrenholt und Lüning eindeutig für die Stagnation der Temperaturen ab 2000 verantwortlich. Ein blindes Huhn findet auch mal ein Korn.
Mal vom Spass abgesehen, ist es natürlich so, dass die enormen 11 Jahresschwankungen bei der Zeitserie der kosmischen Strahlung jeden Trend vom Anfangs und Endpunkt der Regression abhängig machen. In Bild 4 habe ich einmal den Trend der Daten von 1958 an berechnet und einmal vom Beginn der Zeitserie. Einmal geht’s leicht rauf, einmal geht’s leicht runter. Ein Wahnsinn, daraus dann einen Zusammenhang zu was auch immer herzustellen. Jedweder Trend jenseits des 11 Jahreszyklus dieser Climax Zeitserie ist offensichtlich NICHT signifikant.
Vielleicht sieht das etwas anders aus, wenn man ein rafiniertes smoothing Program nimmt und auf die Zeitserie loslässt? Ich habe den lowess smoother von R genommen und mal verschiedene Glättungen durch die Daten gelegt. Egal wie ich auch glätte, niemals kommt etwas dabei heraus, dass auch nur im Entferntesten den globalen Temperaturen ähnelte (Bild 5).
Bild 7: Ein anderer Neutronen Monitor in Oulu (Finnland). Eine andere georgraphische Lage, ein lokal anderes geomagnetisches Feld, schon sieht das Resultat ein wenig anders aus.
Bild 2 zeigte ja die beiden Zeitserien (Climax cosmic rays und CRU Temperaturen) zusammen. Wie kann man da nur einen Zusammenhang produzieren? Bild 6 zeigt zB zwei identische Smoothings der beiden Zeitserien. Ich überlass es euch mal zu urteilen, wie das gehen soll und wie also diese geglätteten Verläufe irgendwie die Temperaturen haben treiben können, so ganz ohne die Pfeile von Vahrenholt und Lüning.
Bild 8: Oulu (Finnland) und Climax (Colorado) im Vergleich. Gleiche Zeitspannen, andere Trends. Oulu geht sogar noch mehr in die “falsche” Richtung im Vergleich zu den Pfeilen der RWE Klimagruppe. So oder so, es ist nicht signifikant.
Doch damit nicht genug. Es gibt ja ein ganzes Netzwerk von weltweit aufgestellten Neutronen Monitoren, von denen viele durchaus auch einige Dekaden auf dem Buckel haben. Die gemessenen Neutronen an den verschiedenen Orten hängen dann natürlich vom jeweiligen geomagnetischen Feld ab, welches mehr oder weniger die einfallenden cosmic rays abschirmt. Dieses Feld ist nicht so konstant und so gleichförmig, dass es nicht auch zu einer gewissen Variabilität zwischen den verschiedenen Detektoren käme. Als Beispiel zeige ich hier mal den Vergleich der Climax Daten mit denen in Oulu, Finnland, gemessen. Die Climax Zeitserie zwischen 1968 und 2000 zeigt etwa einen leichten Abfall, während Oulu schon einen viermal stärkeren zeigt, beides in die entgegengesetzte Richtung von den Vahrenholt/Lüning Pfeilen. Und so behaupte ich mal, dass man fast für jeden Zeitraum jenseits der 11 Jahresperiode, dieser so stark variierenden Zeitserien (das volle Netzwerk von einigen Dutzend Stationen findet sich hier), mal eine findet, die ansteigt, und eine, die abfällt. Eine ideale Spielwiese für jeden, der sich gerne eine passende Theorie zu einem durch die kosmischen Strahlen zu erklärendem Phänomen basteln möchte. Zahl der Gehirntumore in Kanada, Fehlgeburten in Ulan Bator und eben die globalen Temperaturen: Mal schaun, was wir in der Neutronen-Datenbasis haben. Irgendwas wird schon passen.
Fazit: Die Striche und Pfeile von Lüning und Vahrenholt sind frei erfunden und ihrem künstlerischen Talent geschuldet. Sie sollen ohne jede statistische oder physikalische Basis die Idee des Einfluss der kosmischen Strahlung auf das Klima der letzten 50 Jahre stützen. Kann man von einer bewussten Fälschung und Manipulation durch die beiden Klimaforscher sprechen? Eindeutig nein. Ich bin absolut sicher, dass sie selbst von ihren Pfeilen überzeugt sind und an deren Aussagekraft glauben. “Ob da ein Trend ist oder nicht, das entscheide ich”, denken die beiden sich, und da kann man natürlich mit spröden Fakten auch nicht viel richten.
PS. Damit ist das an sich interessante Thema der cosmic rays nicht durch. Ihr möglicher Einfluss ist schlicht nachwievor sehr schlecht bekannt. Es ist hiermit nur zum wiederholten Male gezeigt, dass, selbst wenn dieser Mechanismus existiert, er aber keinen nennenswerten Einfluss auf das Klima der letzten 50 Jahre gehabt haben kann. Es ist Schade, das so eine an sich ganz interessante These dermaszen massenhaft von Klimakomikern und RWE Experten bevölkert ist. Aber andererseits …, sonst hätten wir ja nichts zu diskutieren (i.e. lachen).
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