Soziale Gerechtigkeit wurde vom SPD Spitzenkandidaten Martin Schulz zum zentralen Thema der Bundestagswahlkampagne 2017 der SPD gemacht. Das ist einerseits sicher eine gute Idee, weil es zum “Markenkern” der SPD gehört und weil das Gefühl einer ungerechten Verteilung diffus sicher über sehr weite Teile der Bevölkerung verteilt ist. Es ist aber vielleicht auch eine schlechte Idee, eben weil es Deutschland und sehr vielen Menschen zur Zeit dermaßen gutgeht, daß Sie sich selbst eher auf der Gewinnerseite der sozialen Imbalance sehen und sich daher eher um etwas anderes kümmern mögen. Sie beklagen also einerseits die sich auftuende soziale Schere, haben aber irgendwie das Gefühl, auf der besseren Seite dieser Schere zu sitzen.
Soziale Ungerechtigkeit meint konkret die ungerechte oder sehr, sehr ungleichmäßige Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums. Die in der Presse auftauchenden Zahlen sind meist soetwas wie: Das reichste 1% der Bevölkerung besitzt so viel wie alle anderen zusammen oder, vielleicht noch besser, 8 Männer besitzen so viel wie die ärmsten 3,5 Milliarden Menschen des Planeten. Es gibt übrigens auch eine klimarelevante Version dieser “x soviel wie y” Vergleiche. 10% der reichsten Menschen des Planeten emittieren 50% des CO2 des Planeten. Nun ja.
Das ökonomische Ungleichgewicht wird zumindest von Soziologen und Historikern meist mit dem sogenannten GINI Index gemessen, wobei ein Index von 0 bedeutet, daß aller Reichtum (oder alle Armut) gleich verteilt ist und ein Wert von approximativ 1, daß aller Reichtum bei praktisch einer Person konzentriert ist und der Rest einer Gruppe oder Gesellschaft genaus das lebensnotwendige Minimum besitzt. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde das Konzept des GINI index und auch das einer daduch nachweisbaren wachsenden Ungleichheit durch das Buch “Das Kapital im 21ten Jahrhundert” des französischen Ökonomen Thomas Piketty bekannt, der sich mit besagter Ungleichheit seit dem 18ten Jahhundert in Europa und den USA beschäftigte. Ich habe jetzt mehrere Anläufe unternommen, durch Pikettys Buch zu kommen und stecke immer noch irgendwo zwischen Seite 200 und 300. Ökonomensprech ist nicht der zugänglichste, sagen wir es mal so.
Jüngst ist eine Art Fortsetzung erschienen, die mir klar lesbarer erscheint. Walter Scheidel ist eher Historiker und Soziologe und veröffentlichte in diesem Jahr “The Great Leveller”. Ein deutlich zugänglicheres, wenn auch mit reichlich, typisch amerikanischen Längen und Wiederholungen versehenes Buch. Es untersucht nicht nur die Geschichte der ökonomischen Ungleichheit über einen weit längeren Zeitraum als Piketty (nämlich seit der Vorgeschichte menschlicher Gesellschaften) sondern er stellt auch die folgende und höchst desillusionierende These auf: In der Geschichte der Menschheit hat es genau vier Mechanismen gegeben, die Ungleichheit wirklich und effektiv beseitigt haben: Krieg, Revolution, Seuchen und der Zusammenbruch des Staates (“The four horsemen”). Zeiten hingegen des Friedens, der staatlichen Kontrolle und Stabilität waren immer auch Zeiten, in denen die soziale Ungleichheit wächst, respektive die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden. Eine wahrhaft deprimierende historische Analyse, die allen Versuchen, diesem Prozess durch ein bisschen mehr Steuern hier und dort Einhalt zu bieten, keine wirklich guten Erfolgsaussichten verspricht.
Scheidel betont, dass er in seiner Arbeit ausschliesslich untersucht, inwieweit in der Geschichte der Menschheit Ungleichheit variierte und welches die Ursachen dieser Variationen waren. Es gehört sicher zum linken Glaubenskanon, dass eben diese Ungleichheit die entscheidende Ursache für die nivellierenden Katastrophen wie Krieg, Staatszusammenbruch oder Revolution waren. Scheidel betont, daß dies nicht sein Forschungsziel war und daß solche empirischen Studien seines Wissens auch nicht existieren. Überraschend, wenn man bedenkt, wie wichtig dieses Thema ist. Wer sich also für diesen Teil der Gleichung interessiert (i.e. Was sorgte dafür, daß in der Vergangenheit soziale Ungleichheit wirklich abgebaut wurde?), dem sei Walter Scheidels Buch “The Great Leveller” empfohlen.
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