Die Bilanz des diesjährigen Forums Wissenschaftskommunikation (Mo-Mi in Karlsruhe) könnte kaum ambivalenter ausfallen, und leider muss ich dem erfahrenen Kollegen Reiner Korbmann in fast allen Punkten zustimmen. Gerade weil das „Forum“ der einzige relevante Fachkongress im deutschsprachigen Raum ist (nach Wegfall der SciComm, Schrumpfung des TUBS-Symposiums und der eigentlich nur noch ausschließlich für WissJour relevanten WissensWerten), vielleicht mit Ausnahme der BHK-Jahrestagung, die allerdings logischerweise auf die Hochschul-Welt beschränkt bleibt — das “Forum” ist also eine absolute Pflichtveranstaltung geworden, muss aber gerade deshalb endlich mehr sein als ein Klassentreffen. Es brauchte eigentlich schon letztes Jahr einen konzeptionellen Relaunch!
Jeder über die Jahre konferenzgeschädigte Leidensgenosse weiß: Nieten zieht man auf jeder Tagung, und es gibt auch immer echte Lichtblicke (die Sessions von Henning und Beatrice zum Beispiel, die bezeichnenderweise auch beide die bei weitem dialogischsten waren) – was dabei aber meist halbwegs stimmt, ist das Verhältnis von nützlichen und nutzlosen Beiträgen, und das ist diesmal zweifelsohne aus dem Ruder gelaufen.
Hier drei Appelle:
- Professionalisierung von Eventmanagement und Programmgestaltung
Alle Kolleginnen bei WiD sind sicherlich mit Herzblut bei der Organisation, aber (wie auch von R.K. kritisiert) war der desaströse Kongressauftakt vor allem eine Folge fehlenden Briefings (für wen die Keynoter da überhaupt sprachen) und mangelnder inhaltlicher Abstimmung (wenn ich zum Beispiel eine Keynote halte, stimme ich meine grundlegende Linie oder sogar die Slides vorher immer mit den Ausrichtern ab; bei Fachtagungen muss ja bekanntlich oft sogar das fertige Paper vorher vorliegen). Vermutlich aber beginnt das Problem noch viel früher, nämlich bei der Programmgestaltung, die bislang mehr ein „Einsammeln“ von zufälligerweise fristgerecht eingereichten Vorschlägen ist. Viele spannende Themen, Projekte und Sprecher müsste man eben aktiv akquirieren. Auch für die Moderation gibt es auch im Wissenschaftsbereich genügend talentierte Kolleg(inn)en (wie u.a. Jens Schröder von GEO eindrucksvoll demonstrierte), so dass man nicht WiD-Kolleg(inn) auf die Bühne zwingen muss, denen man anmerkt, dass ihre Stärken eher hinter der Bühne liegen. Wie gesagt: Ab einer gewissen Größenordnung und Relevanz der Veranstaltung reicht das einfach nicht mehr. - Dialogischere Formate
Sicherlich ist es bei mehr als 400 Teilnehmern eine Herausforderung, Workshop-Charakter sicherzustellen, aber die Antwort kann ja nicht sein, dass man sogar in den Parallel-Sessions die Pseudo-Best-Practice-Beispiele aneinanderreiht, um dann noch 10 Minuten Pseudo-Dialog nachzuschieben.
Erstaunlicherweise habe ich vor einem Jahr fast dasselbe schon mal hier geschrieben:
“Warum diesmal [2012] sogar noch weniger partizipative Formate Verwendung fanden als letztes Jahr in Köln, ist mir schleierhaft. Um ein Haar wäre sogar die Abschlussdiskussion ohne Diskussion mit den Teilnehmern zu Ende gegangen.”
Auch dies hat sich wiederholt: Um ein Haar wäre aus dem Abschluss eine Verabschiedung geworden. Ein weiteres Jahr später würde ich also dringend dazu raten, die Formate endlich einmal zu diversifizieren:20% inhaltlich und rhetorisch exzellente Plenarvorträge, die dann aber auch wirklich einen Überblicks-Charakter haben sollten, weil sie ja eben jeden angehen.
40% thematisch fokussierte Parallelsessions (3-4 parallel, um die Gruppengröße zu begrenzen), in denen die reine Ex-cathedra-Zeit grundsätzlich auf 4×10 Minuten beschränkt wird; vorbereitende Fragen der Moderatoren (wie es etwa Beatrice für ihre Mittwochs-Session gemacht hatte) sollten eine Selbstverständlichkeit sein
20% handwerkliche, nutzwertige Kurzworkshops, aus denen die Praktiker tatsächlich mit Hand-on-Wissen, Checklisten, konzeptionellen Blaupausen etc. wieder rauskommen
20% evidenzbasierter Beiträge zu Forschungsergebnissen der Wissenschaftskommunikation, denn was das „Forum“ bislang weitestgehend ignoriert hat (mit Ausnahme zum Beispiel von Dietrams Beitrag in 2012), ist, dass unser Thema längst nicht mehr nur ein Berufszweig ist, sondern eine Forschungsdisziplin, die regelmäßig drei internationale Journals füllt und seit kurzem sogar eine eigene AG in der Fachgesellschaft beschäftigt. Eine ganze Reihe von Aussagen auf der Karlsruher Bühne widersprachen schlichtweg allem, was uns Wissenschaftssoziologie, Sozialpsychologie, PR-Forschung, Publizistik etc. über unsere Profession sagen, und das darf nicht noch einmal passieren (Beispiele gerne direkt, aber nicht an dieser Stellen, weil es ja nicht darum geht, Einzelpersonen bloßzustellen). Verglichen mit Fachtagungen von PCST (2014 in Brasilien) oder DGPuK (2014 in Zürich) müsste das „Forum“ natürlich mehr leisten, nämlich eine Brücke zur Praxis schlagen, also die Ergebnisse aufbereiten und transferieren. Um einen Vergleich zu bemühen: Zwar liest kein Hobbytrainer aus dem Fußballverein sportmedizinische Fachliteratur, die Profitrainer aber schon, denn schließlich geht es um Leistungssport. Ein Dejà-vu übrigens vom #FWK12, wo dieselbe Idee schon einmal diskutiert wurde. Die US-Kollegen machen uns das inzwischen mit „The Science of Science Communication“ vor, dabei müssten wir uns hierzulande (mit DFG-Forschungsschwerpunkt, mehreren dezidierten Instututen, Fachgesellschaften u.a.m) beileibe nicht verstecken! - Mehr Nachhaltigkeit und Effizienz
Technisch haben wir heute alle Möglichkeiten, die Sessions teilnehmerspezifisch vorzubereiten (Abfragen, Abstimmungen), interaktiv zu gestalten (Sammlung von Hinweisen und Links live in Delicious, Twitterwall, automatische Produktion täglicher Zusammenfassungen via paper.li oder storify) und letztlich auch zu dokumentieren (und zwar nicht etwa als Broschüre, sondern crossmedial mit Videostatements u.a.m., wie in diesem Jahr bereits zaghaft und ansatzweise versucht). Gerade in unserem Bereich, in dem so viele von uns tagtäglich in der akademischen Lehre unterwegs sind, sollten doch Didaktik und E-Learning keine Fremdwörter mehr sein!
Auch über eine gemeinsame Erklärung (wie wir sie beispielsweise 2012 auf der ScienceComm oder 2013 auf der PLACES-Tagung hatten), ein Appell o.ä. sollte erwogen werden, wenn schon einmal die gesamte Community an einem Ort zusammen kommt.
Berechtigte Kritik erntete leider auch der gut gemeinte Webvideo-Wettbewerb “fast forward science“, hinter vorgehaltener Hand sogar von mehreren Jury-Mitgliedern. Zweifellos: Im Bewegtbildbereich muss die Academia hierzulande wirklich aufwachen, aber die miserable Resonanz auf die nominierten Filme und vor allem die im Durchschnitt bestenfalls mittelmäßigen Beiträge zeigen, dass wir keine bunte Preisverleihung brauchen, sondern einen Förder-Wettbewerb für frische Ideen, einschließlich begleitender Qualifikation und gezielten strategischen Impulsen, die Mut zu mehr Selbstironie machen. So musste ich selbst schon in mehreren Video-Projekten tatenlos mit ansehen, wie ein ängstliches Wissenschaftsmanagement das Kommunikationsmanagement im eigenen Hause ausgebremst hat.
Bedauerlich bei der Wettbewerbs-Premiere von WiD war auch, dass von den 90 Einreichungen die allermeisten aus den Ingenieur- (35), Natur- (24) und Gesundheitswissenschaften (12) kamen, während die Geistes- und Gesellschaftswissenschaften mit erstaunlichen 9 Einreichungen nur unter ferner liefen stattfinden. Was für eine Verzerrung der akademischen Realität. Die Wettbewerbs-Kategorie „Kontroverse“ wurde sogar mangels (qualifizierter) Bewerbungen kurzerhand komplett gestrichen.
Erfreulich war hingegen, dass die drei von Michael Sonnabend nach Karlsruhe eingeladenen Praktiker in einer weitestgehend nutzwertigen Session eine Lanze brachen für das virale Potenzial von Low-Budget-Produktionen (siehe dazu auch die Slides von Joachim Knaf). Gerade das „Klotzen mit den großen Töpfen“ bei Web-Video-Projekten ist ja hierzulande weitestgehend gescheitert (etwa die siebenstelligen Etats für (ebenfalls nur gut gemeinte) Prestigeprojekte der DFG oder der Volkswagen-Stiftung).
Jemand wie „Dr. Allwissend“ beispielsweise versucht mit ersten Erfolgen hierzulande eine Nische zu besetzen, die die gesamte deutschsprachige Academia bisher geradezu fahrlässig ignoriert. Kollegen wie etwa John Green, dessen Videos ich sogar selbst 1:1 in der Lehre einsetze, erreicht mit geschichtswissenschaftlich-soziologischen Themen inzwischen hunderttausende von Nutzern. Der entscheidende Unterschied auch hier: Originalität, Witz, Selbstironie. Keines der vermeintlichen Sieger-Videos hat auch nur ansatzweise eine Viralität entwickelt, und sogar das Gewinner-Video in der Kategorie „Next“ (das mit der deutschen Forschung genauso viel zu tun hat wie die englische Audiospur) krebst seit Monaten bei ein paar Klicks pro Tag herum, mit weniger als 9.000 Aufrufen und 60 Shares in einem ganzen Jahr… nicht jedes hochgeladene Video ist eben auch ein Beispiel für Kommunikationswirkung auf Youtube. Dass sogar Quantenphysik viral werden kann, machen uns (mal wieder) andere vor (2 Mio.), auch ohne dabei gleich in die ISS zu klettern (19 Mio.).
Methodisch fragwürdig oder zumindest intransparent ist bislang die Bewertung bei „fast forward science“. So scheint die „Wissenschaftlichkeit“ zwar „irgendwo zwischen 1 bis 10“ bewertet worden zu sein, aber wenn es dafür eben keinerlei Skalierung gibt, keine nachvollziehbaren Kriterien, wie seriös ist dann die Auswahl wirklich? Sollten wir nicht gerade im Wissenschaftskontext ein Mindsmaß an „Wissenschaftlichkeit“ auch von einem solchen Wettbewerb fordern? Was nicht heißen muss, daraus gleich eine Wissenschaft zu machen. Eine Frage, die nicht zuletzt auch an den involvierten Stifterverband geht.
Eine Anmerkung noch zur Kritik an Markus Weißkopf: Dieser hatte eine astreine persönliche Entschuldigung, warum er nicht dabei war; vielleicht sogar die einzige Entschuldigung, die irklich immer uneingeschränkt gültig ist… aber das sollte er wohl besser selbst erzählen… ;-)
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