Auch in den Sozialwissenschaften gibt es so manche, die sich zu Kapitänen aufschwingen, die laut hier schreien und sagen, dass sie wüssten wie zu navigieren sei. Die stehen dann unbeirrt auf ihren (medialen) Booten, wenn sie schon prominenter sind auf ihren Schiffen, manche haben dann irgendwann Flotten und erklären der Welt wie sie funktioniert. Mein Lieblingsbeispiel: Filzmaier. Einer der sich sehr konsequent zum medialen Experten gemacht hat. Vom Tutor auf der Politikwissenschaft zum politischen Realitätsdeuter bei jeder Wahl. Ein wahrer Kapitän der Zusammenhangserklärungen. (Medien brauchen Gesichter, sonst kann nicht zugeordnet werden.)

Doch der Rest ohne Deutungshoheit? Die die kein mediales Booterl oder Schiff ihr Eigen nennen, die forschen um zu hinterfragen und zu ordnen? Unbrauchbar für den Alltag?

Sicher für den alltäglichen Alltag. 😉 Nicht aber um genau hinzuschauen. Die Schubladen auf den Booten zu hinterfragen, zu schauen welche Konsequenzen sie haben und zu fragen, ob es nicht andere mögliche Schubladen gäbe, ist eine Kernaufgabe der Sozialwissenschaften. Und ums wiederum zu relativeren und einzuschränken sind das vor allem die explorativen Sozialwissenschaften, die sich auf neues Terrain wagen. Unter die Oberfläche zu schauen, Zusammenhänge aufzudecken und sich neue Routen zu überlegen, ist manchmal ein unbequemes und irritierendes Tagesgeschäft.

Das soziale Miteinander ist genauso ein Forschungsgegenstand, wie alle anderen Disziplinen. Nur brauchen wir alle unsere Schubladen und Navigationsinstrumente, um durch den Alltag zu kommen. Alle ausnahmslos alle, auch die Menschen, die diese Art von Wissenschaft machen. Wir können nicht distanziert davon objektiv forschen und uns als Personen ausschalten, sondern müssen diese Schemata kennen, hinterfragen und uns vor allem bewusst sein, dass wir sie nie zur Gänze kennen werden. Verändert werden kann nur, was uns auch bekannt ist. Und diese Näherungen und Relativitäten in diesem Forschungsfeld machen diese Form von Wissenschaft auch so schwer greif- und verwertbar. Besser das gleich als wertlos zu etikettieren und damit in die Schublade für Unnötiges zu verfrachten? Oder im Wissen, um die Unzulänglichkeiten – die alle anderen Wissenschaften ebenso haben, aber das ist ein anderes Thema – den Gegenstand weiterzutreiben, um uns überhaupt bewusst zu werden mit welchen Schiffen, Flotten, Routen und Häfen wir tagtäglich agieren. Und um die Welt etwas gerechter, die Zugänge zu den Schiffen egalitärer, die Routen greifbarer und die sicheren Häfen offener zu gestalten?

Perspektiven einnehmen und sich dessen bewusst sein

Menschen sind nicht eindeutig. Gruppierungen, Organisationen, Gesellschaften, d.h. alle unterschiedlichen Zusammensetzungen menschlicher Ansammlungen sind nie klar abgegrenzt, nie konstant und in keinem Moment gleich. Eine der Grundkonstanten von Forschung in anderen Disziplinen, nämlich dass z.B. Experimente unter gleichen Bedingungen wiederholbar und gültig sein müssen, trifft auf Sozialwissenschaften nie zu. Wissenschaftliche Gütekriterien wie Reliabilität, Validität oder Objektivität sind Ideale, denen mit gewissen Regularien begegnet werden. Aber endgültig oder absolut können sie noch viel weniger sein als in anderen Disziplinen. Allein die Tagesverfassung eines Menschen ändert alles. Eine soziale Situation ist nicht wiederholbar, keine Situation kann der anderen je gleichen. Diesem Fakt begegnen die Sozialwissenschaften mit unterschiedlichen Strategien. Doch gemeinsam haben sie alle: Das Bewusstsein, dass alles relativ ist und viel Zeit darauf verwendet werden sollte gründlich und genau zu überlegen wie Forschungssettings aussehen, was sie bedingen und wie der sozialen Komplexität begegnet werden kann.

Unterschiedliche sozialwissenschaftliche Zugänge: Erklären versus Verstehen

Recht viele unterschiedliche Schifferln bilden die kleine Flotte der Sozialwissenschaften. Oft fahren sie auch im Verband mit Kultur- oder auch Geisteswissenschaften. Am bekanntesten und leichtesten greifbar sind die Richtungen, die versuchen Allgemeinheit zu beschreiben und die am wenigsten relativieren. Die oben erwähnten Kapitäne der (medialen) RealitätsdeuterInnen finden sich in diesem Sektor. Markt- und Meinungsforschung, Wahlumfragen, Evaluierungen mit unterschiedlichen Zielrichtungen: Kurz alles das mit Umfragen agiert und dabei versucht der Allgemeinheit gerecht zu werden und die Welt zu erklären – Repräsentativität meint dabei, dass die gezogene Stichprobe die Bevölkerung bzw. den adressierten Teil eines Bevölkerungsausschnittes abbildet. Und so gerne diese Ergebnisse medial verwendet werden, Zahlen sind immer großartig für JournalistInnen, so wenig aussagekräftig sind sie oft. Ein Beispiel dafür sind Wahlprognosen, die so gut wie nie treffsicher sind. Auch weil eine Stichprobe von 400 Personen nie die Aussagekraft haben kann, die eigentlich notwendig wäre. Die Fehlerquoten sind einfach zu hoch. Und trotzdem kommen genau aus diesem Gebiet die meisten ExpertInnen, die dann zu gewissen Anlässen ihre Meinungen und Prognosen zum Besten geben. Eben weil sie vorgeben etwas Absolutes sagen zu können, oft mit Zahlen aufwarten können und die Aussagen gut und recht simpel auf einige wenige Kernpunkte reduziert werden können. Komplexitätsreduktion ist nun einmal das Hauptgeschäft von medialer Berichterstattung.

Wesentlich weniger präsent und greifbar sind Ansätze, die versuchen zu verstehen. Hier ein kleines Beispiel aus dem entgegengesetzten Pol sozialwissenschaftlicher Arbeit, eines aus meiner Forschungspraxis: Ich arbeite als Kommunikationswissenschafterin, ein Zweig der üblicherweise sehr stark aus den oben erwähnten RealitätsdeutungskapitänInnen besteht und auch recht gern medial präsent ist, in einem sehr untypischen Feld. Seit 2008 beschäftige ich mich mit Architektur und Stadt im weiteren und mit Wohnbau im engeren Sinne. Auf den ersten Blick etwas ungewöhnlich? Scheint so, zumindest reagieren KollegInnen, vor allem aber Studierende meist recht irritiert. Kommunikation und Bauen haben für diese auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun. Literatur dazu ist spärlich, Forschung dazu eher selten, d.h. es gibt kaum befahrene Routen und nur einige Expeditionsschifferln, die sich in diese Gewässer bewegen.

Hier mit der gerade beschriebenen erklärenden und deskriptiven Forschungsweise vorzugehen, brächte nicht viel, da diese Vorannahmen und Vorwissen benötigen. Der Forschungsgegenstand muss also im Prozess mitgebildet, mitreflektiert und mitentworfen werden. Dazu sind gänzlich andere Skills und Strategien nötig. Um bei der Schiffsmetapher zu bleiben: Die nötigen Fahruntersätze sind zuerst eher Flößen ähnlich, werden beim Schreiben eines Antrages zu tragfähigen Booterln umgebaut, auf ein theoretisches und methodisches Fundament gesetzt um dem Forschungsgegenstand gerecht zu werden und werden letztendlich – Route und Ziel sind ja anfangs nicht klar – während der Fahrt laufend adaptiert. In meinem letzten Projekt ‚Modes of Design’ ging es genau um so einen Prozess: Die grundsätzliche Fragestellung war gut greifbar und kam aus dem Alltagsrepertoire meines Kollegen. Beim Bauen von Wohnbauten gibt es einen Entwurfsprozess mit verschiedenen Beteiligten. ArchitektInnen, Bauträger und noch einige ExpertInnen planen in unterschiedlichen Konstellationen die jeweiligen Gebäude. Während des Bauens sind diverse Firmen in unterschiedlichen Strukturen beteiligt. Wie genau diese Prozesse ablaufen, ist nie ganz ident, wenig beforscht und letztendlich in vielen Zügen im Sinne von Übersichts- oder Ordnungswissen unbekannt. Die beteiligten Personen agieren aufgrund von Ausbildungen, Erfahrungswerten und Annahmen.

Was wenig bis kaum geschieht ist die Auseinandersetzung mit den Menschen, die dann letztendlich aber die eigentlichen Betroffenen sind: Die Menschen, die in diesen Wohnbauten leben. Sie sind nur implizit Teil des Prozesses, werden von den professionell Beteiligten mitgedacht, mitkonstruiert und argumentativ verwendet. Gebaut wird also nicht für konkrete Menschen – das wäre im Massenwohnbau sehr aufwändig – sondern für imaginierte Vorstellungen. Welche das sind und woher diese kommen, wie diese verwendet werden und was das für einen Einfluss auf die Entwurfsprozesse hat, war eine der Perspektiven des Projektes. Dieses Wissen existiert nicht, sondern konnte nur erforscht, d.h. zusammengetragen, analysiert und auf eine systematisierende, theoretische Ebene gebracht werden. Ebenso wie die zweite wichtige Perspektive – und da steckt sicherlich auch unsere ‚hidden agenda’ dahinter – der Blickwinkel der BewohnerInnen. Da diese nicht real, sondern nur imaginiert, im Entwurfsprozess vorkommen, stellt sich die Frage, wie diese ihre bewohnten Gebäude überhaupt sehen. Ist das was im Entwurfsprozess gedacht, gestaltet und geplant wurde, für die BewohnerInnen erkennbar? Wie rezipieren diese ihre Wohngebäude? Wie werden diese genutzt und welche Prioritäten werden gesetzt? Auch diese Daten gibt es nicht, Literatur dazu ist nur in Grundzügen vorhanden und der einzige Weg hier zu Erkenntnissen zu kommen, war ins Feld zu gehen und zu erheben.

Im Prinzip schließt unser Projekt also auf wissenschaftlicher Ebene eine Lücke, die der Alltag offen lässt und aus seinem meist auf Erfahrungen basierenden Wissen nicht beantworten kann. Praktischen Nutzen hat das, bei allem Aufwand, allemal. Die oben erwähnte ‚hidden agenda’ ist sicherlich die Perspektive der BewohnerInnen, passenderweise im Entwurfsprozess meist als NutzerInnen betitelt, in Entwurfsprozesse einzubringen und zu reflektieren. Ebenso aber auch den professionell Beteiligten rückzuspiegeln was eigentlich passiert: Welche Ideen und Strategien verwendet werden, welche Richtungen es gibt und was dies alles im Baualltag mit sich bringen kann. Ein Ziel ist also das Gesamte weiterzuentwickeln und auch mögliche, neue Perspektiven zu eröffnen.

Diese Art zu forschen bedingt einen sehr offenen Zugang. Wenn nicht bekannt ist, wie die Routen und Wege laufen und welche Wassergefährte dafür zu gebrauchen sind, dann kann konsequenter Weise nur Offenheit als Prinzip gelten. Wenn andere Zugänge versuchen menschliche Komponenten wie VersuchsleiterInnen möglichst auszuklammern, um damit Wissenschaftlichkeit herzustellen – Beispiel dafür sind z.B. psychologische Experimente im Labor – kann dieser Zugang bei dem es um das Erforschung eher unerschlossener Gebiete geht, dies genau nicht tun. Das Wissen das in explorativen, interpretativen und qualitativen Projekten generiert werden soll, kann nur von Menschen mit Menschen direkt in der sozialen Welt, im Sozialwissenschaftssprech: Feld, erhoben werden. Versucht wird Phänomenen auf den Grund zu gehen, Zusammenhänge zu verstehen, Konzepte aufzuspüren und letztendlich damit auch für den Alltag anschlussfähig zu bleiben. Wir sammeln Narrationen und erzählen in gewisser Weise Geschichten aus dem Alltag. (Mehr dazu in einem späteren Beitrag.)

Die wissenschaftliche Güte liegt dabei nicht in den Instrumenten, wie das z.B. bei Umfragen mittels Fragebögen argumentiert wird, sondern in gewisser Weise in den handelnden Personen. Adele Clarke, Soziologieprofessorin in San Francisco und eine Vertreterin der im interpretativen Paradigma verhafteten Grounded Theory, hat dies letztes Jahr in einem Seminar sehr klar formuliert: Das Instrument sind wir, die Forschenden.

Dass dies viele Probleme mit sich bringt, viele Unklarheiten beinhaltet und die Unschärfen teils schwierig zu bemessen sind, liegt in der Natur der Sache. Ohne Erkenntnistheorie, viel Reflektion und letztlich Persönlichkeitsentwicklung funktioniert das nicht. Forschung die menschelt und menschelnde Forschung: Irritierend?

Das Projekt ‚Modes of Design’ ist finanziert vom FWF, dem österreichischen Wissenschaftsfonds, und angesiedelt an der TU Wien, Institut für Architektur und Entwerfen, Abteilung Gestaltungslehre unter der Leitung von András Pálffy. Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Projektes ist, gemeinsam mit der Autorin, Robert Temel. Abstract zum Projekt: https://www.fwf.ac.at/en/abstracts/abstract.asp?L=E&PROJ=P20362

Kommentare (26)

  1. #1 Florian Freistetter
    Mai 11, 2012

    Na da sag ich gleich mal: Willkommen bei den ScienceBlogs!

  2. #2 A. Schaffar
    Mai 11, 2012

    Danke Florian! Ich freu mich hier zu sein. 🙂 Du bist “mitschuld” dran, dass ich mich dazu entschlossen hab.
    ***
    Der erste Teil zu dem Beitrag findet sich übrigens hier: https://www.scienceblogs.de/geograffitico/2012/04/von-schiffen-die-in-schubladen-stecken-und-was-das-mit-sozialwissenschaften-zu-tun-hat.php

  3. #3 Cornelius Courts
    Mai 11, 2012

    Spannend. Auch von mir herzlich Willkommen und viel Spaß hier.

  4. #4 Dr. Webbaer
    Mai 11, 2012

    Welcome!

    Perspektiven einnehmen und sich dessen bewusst sein

    Ja, die Innen- und die Außenwelt, ein schwieriges Thema!, ‘ohne Erkenntnistheorie, viel Reflektion und letztlich Persönlichkeitsentwicklung’ geht da nüscht (oder zumindest nicht viel).

    MFG
    Dr. Webbaer

  5. #5 META
    Mai 11, 2012

    Herzlich willkommen bei SB! Ich hoffe, Sie wissen, wie Sie sich hier – gerade als Frau – zu benehmen haben! (Andrea Thum sollte Ihnen ein warnendes Beispiel sein!)

  6. #6 Andrea Schaffar
    Mai 11, 2012

    Wie genau ist das mit dem warnenden Beispiel zu verstehen? Und dem gerade als Frau zu benehmen haben?

  7. #7 MartinB
    Mai 11, 2012

    Herzlich willkommen.

    Bin schon gespannt, irgendwann mal genau zu lesen, wie soziologische Forschung eigentlich abläuft. Wie bekommt ihr z.B. heraus, ob “das was im Entwurfsprozess gedacht, gestaltet und geplant wurde, für die BewohnerInnen erkennbar” ist? Macht man da Umfragen? Oder denkt man sich clevere Experimente aus oder beobachtet, ob die leute z.B. Planungselemente so nutzen, wie das mal gedacht war?

    Was den Kommentar von META angeht – klick mal auf den inzwischen schlafenden Blog “andererseits”.

  8. #8 Radiccio
    Mai 11, 2012

    Menschen sind nicht eindeutig. Gruppierungen, Organisationen, Gesellschaften, d.h. alle unterschiedlichen Zusammensetzungen menschlicher Ansammlungen sind nie klar abgegrenzt, nie konstant und in keinem Moment gleich.

    oha, wer hätte das gedacht. jetzt sagen sie bloß noch, jeder mensch ist einzigartig.

    ich freu mich auf weitere elementare erkenntnisse. willkommen.

  9. #9 Andrea Schaffar
    Mai 11, 2012

    @Radiccio: Einen Satz herauszunehmen und in der Art zu kommentieren, funkt bei jedem Artikel. 😉

    @MartinB: Im letzten Projekt haben wirs über Case Studies gemacht. D.h. Wohnbauten ausgewählt (Kriterien etc. auszuführen, würd hier der Rahmen sprengen, aber es war ein sampeln im theoretischen Sinn). Bei diesen Fällen wurden dann verschiedene Methoden kombiniert: Gruppendiskussionen zw. Planenden und Auftraggebern, Ethnografie vor Ort, Gruppendiskussionen mit BewohnerInnen, Photos, Recherchen, etc.. Die Materialien waren die Basis für die Analysen.

    Danke @all fürs Willkommen heißen.

  10. #10 Dr. Webbaer
    Mai 11, 2012

    @Radiccio

    Menschen sind nicht eindeutig. Gruppierungen, Organisationen, Gesellschaften, d.h. alle unterschiedlichen Zusammensetzungen menschlicher Ansammlungen sind nie klar abgegrenzt, nie konstant und in keinem Moment gleich.

    Das ist erst die Dekonstruktionsphase, warten Sie mal ab, was in der Konstruktionsphase aufgetischt werden wird. Die ist nämlich immer der Knackpunkt.

  11. #11 Cornel Weisz
    Mai 12, 2012

    Habe diesen Beitrag mit großem Interesse gelesen! Bin Mathe-Lehrer, interessiere mich für Soziologie, verstehe aber nicht wirklich, wie in diesem Feld geforscht wird, wie Erkenntnisse erarbeitet und belegt (bewiesen) werden. Sie haben diesen Beitrag so verständlich geschrieben, dass ich als Laie ihren Gedanken folgen kann! Bin schon auf den nächsten Beitrag gespannt!

  12. #12 Cornel Weisz
    Mai 12, 2012

    Es wird hier ein Unterschied zwischen Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften konstruiert, wie ich meine. Für mich trifft alles was in diesem Beitrag steht auch für die Mathematik zu. Bezüglich der ausgetretenen Routen mag es in der Mathematik weniger Dissenez geben. Aber ob sich eine konkrete Fragestellung mit Hilfe eines bestimmten mathematischen Modells beantworten lässt, kann nur in trivialen Fällen beantwortet werden. Sobald die Fragestellung nur etwas komplexer ist, müssen wir ebenso fischen, reflektieren, erkunden wie SozialwissenschaftlerInnen. Oft muss erst eine mathematische Sprache erfunden werden, die zur Problemstellung passt. Gerade dann sind Ähnlichkeiten zwischen Mathematik und Geisteswissenschaften groß!

  13. #13 ali
    Mai 12, 2012

    Willkommen!

    Und einigen Kommentaren hier folgend wohl auch gleich ein herzliches Willkommen in der sozialwissenschaftlichen Einheitsfront wo wir mit unserer Lieblinswaffe, dem Derrida-Knüppel den NaturwissenschaftlerInnen ihre Fakten austreiben und ihre Existenzgrundlage weginterpetieren. Oder so. 😉

    Ich freue mich auf die kommenden Einträge.

  14. #14 MartinB
    Mai 12, 2012

    @Andrea
    Danke. Ich fände es total interessant, wenn du mal irgendwann erklären würdest, wie genau diese Methodik funktioniert.

  15. #15 Cornel Weisz
    Mai 12, 2012

    Die Fakten der Naturwissenschaften sind faktisch auch nicht belegbar. Oder kann mir jemand erklären, warum sich zwei Massen anziehen? Falsche Aussagen sind manchmal leichter zu widerlegen. Das schon!

  16. #16 MartinB
    Mai 12, 2012

    “Oder kann mir jemand erklären, warum sich zwei Massen anziehen? ”
    Warum-Fragen sind in der Naturwissenschaft generell nicht so gern gesehen:
    https://www.scienceblogs.de/hier-wohnen-drachen/2010/08/kann-die-physik-die-welt-erklaren.php

    Dazu, wie die Schwerkraft funktioniert, hat ein gewisser Einstein ein paar kluge Dinge gesagt:
    https://www.scienceblogs.de/hier-wohnen-drachen/2011/01/raumzeitkrummung-ganz-einfach.php

  17. #17 ali
    Mai 12, 2012

    Ich möchte die Gelegenheit des Threadabos auch dazu nutzen zu erwähnen, dass mein Kommentar sarkastisch war. Nur für den Fall. Mein weiss ja nie im Netz.

  18. #18 Dr. Webbaer
    Mai 12, 2012

    Es wird hier ein Unterschied zwischen Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften konstruiert, wie ich meine. Für mich trifft alles was in diesem Beitrag steht auch für die Mathematik zu.

    Die Mathematik, die der Philosophie entstammt und auch ansonsten vollständig in der Welt des Erkenntnissubjekts stattfindet, ist (wissenschafts-)soziologisch durchaus zu packen, korrekt! – Allerdings arbeitet die Mathematik in einer von der Natur abgeschlossenen Welt, auch wenn sich einige Philosophen hierzu widerständig bemühen, in der Mathematik gibt es Wahrheit, die Naturwissenschaften kennen nur das (letztlich unsichere) Faktum, also das Gemessene, und die Theoretisierung, die bezogen auf die Natur immer provisorisch ist.

    MFG
    Dr. Webbaer

  19. #19 Andrea Schaffar
    Mai 12, 2012

    @MartinB: Kommt auf meine Liste. Kann ich gerne z.B. anhand eines Aspektes unseres Projektes mal ausführen. Mal sehen, ob ich das nachvollziehbar hinkrieg und nicht viel zu lange schreib. 😉

    @Cornel Weisz: Freut mich, dass es so angekommen ist. Zur zweiten Meldung: Ich konstruiere im Artikel oben _keinen_ Vergleich Naturwissenschaften/Mathe und SozWi. Das von mir mit den Polen beschriebene bezieht sich auf die Paradigmen der Sozialwissenschaften. Da gibts auf der einen Seite die quantitativen, die – eh klar – stark mit Zahlenmaterial argumentieren und manches Mal von sich geben zu meinen näher naturwissenschaftlich zu sein (und damit wertvoller) und der andere Pol sind interpretative Verfahren, die andere Erkenntislogiken haben und deren Methoden “weicher” sind, stärker am Alltag orientiert usw.. In den Sozialwissenschaften ist das Schulendenken – aus meiner Perspektive als stark interdisziplinär ausgerichtete: Leider – sehr stark.

    Für mich verbindet alle Disziplinen die Art und Weise des wissenschaftlichen Arbeitens, des Orientierens an Fakten und Gegebenheiten, des Reflektierens usw.. Worums mir geht, ist zu zeigen dass dies in den Sozialwissenschaften ebenso ist. Wir haben halt den Faktor Mensch in einigen Bereichen immer mitzuberücksichtigen, was die oben beschriebenen Relativitäten mit sich bringt.

    Ausgangsidee des Blogs war ein Gespräch auf einer Konferenz. Ein Kollege, Musikwissenschafter an einem Artificial Intelligence Institut (für mich sehr spannend interdisziplinär), meinte nach einem netten Pausengespräch zum Abschluss: “Aber eine Wissenschaft seid ihr nicht, oder?” Und genau das hoffe ich greifbarer machen zu können. Das war der Anlassfall drüber nachzudenken, dass es vielleicht gut wäre das mal schriftlich auszuführen, was ich im Hörsaal ja eh auch mache. Dieser Wissenschaftsskeptizismus, der an den Unis oft herrscht, das Instrumentalisieren von wissenschaftlichen Fächern als Disziplinierungsmaßnahme (heute im Hörsaal auf der Publizistik und Kommunikationswissenschaft wiedermal heftig zu spüren), das brachte mich auch dazu. Wissenschaft ist für mich großartig, die Studierenden aber hassen sie – äußerst paradox und sicherlich auch viel in schlechten Lehrenden begründet. Aber das ist ein anderes Thema. 😉

    @Ali: Danke 😀 Mit Derrida treib ich niemandem was aus, der hat mich vor vielen Jahren eher genervt, aber so einige andere hätt ich in Petto. (Sarkasmus-angekommen :))

  20. #20 Cornel Weisz
    Mai 13, 2012

    @Andrea Schaffar: Danke für die ausführliche Antwort. Ich verstehe Sie jetzt besser. Immer wenn ich die Behauptung lese: “Aber eine Wissenschaft seid ihr nicht, oder?”, werde ich emotional und will erklären, wenn die Sozialwissenschaften keine Wissenschaften sind, dann ist auch die Mathematik keine Wissenschaft. Schon Pythagoras hat behauptet: “Alles ist Zahl” und ist damit ordentlich auf die Schnautze gefallen.

  21. #21 Thomas Vollmer
    Mai 13, 2012

    Es ist interessant wie die “alltägliche” Welt der Sozial- und Kommunikationswissenschaften aussieht! Ich habe selbst eine Zeit lang Sozial- und Informationswissenschaften studiert (HHU), bin aber daran gescheitert. Unter anderem, weil mir grob unterm Strich bei dem vermittelten Stoff einfach zu wenig greifbares raus kam. Zu wenig konkrete Prognosen, zu viel “verkopfter” Text.
    Daher ist es auf jeden Fall interessant hier über praktische Anwendung zu lesen. Wenn ich das richtig verstanden habe, beschäftigt sich die Autorin aktuell im Wohnungsbau. Dabei wird sicherlich der Einfluss der Bauten auf die Kommunikation der Bewohner im Vordergrund stehen, wahrscheinlich auch die Intention der Anonymisierung entgegen zu wirken? Wenn es hier anhand der Studien konkrete Verbesserungsvorschläge gibt, wäre das sehr spannend diese (zumindest in Ansätzen; es sollen ja keine Betriebsgeheimnisse veröffnetlicht werden) zu lesen.

  22. #22 Andrea Schaffar
    Mai 13, 2012

    @Thomas Vollmer: Werde ich gern machen und Ergebnisse darstellen. Unsere beim Projekt ist vor allem – neben dem überhaupt mal erheben und analysieren was da in den Entwurfsprozessen passiert – die Sichtweise der BewohnerInnen auf das geplante zu beleuchten. Geplant und gebaut wird mit vielen Ideen und Vorstellungen: Wer dort hinzieht. Was die Leute dort wollen. Wie die Leute sind, usw.. Diese Vorstellungen sind sehr stereotyp, meist orientiert an einer 3-4 köpfigen Familie, was aber bei weitem nicht immer den Gegebenheiten entspricht. Und spannend ist, dass – Wien hat da eine lange Tradition – das in vielen Bereichen mit einer Sicht verbunden ist, die BewohnerInnen zu “entwickeln”, d.h. denen eine besseres, gesünderes usw. Leben zu schaffen. Und was uns derzeit sehr stark interessiert – Projektantrag ist grad in Begutachtung vom FWF – ist die Materialität und deren Einfluss auf den Alltag bzw. das Wohnen: Etwas das z.B. exemplarisch beim Reingehen in eine katholische Kirche sofort greifbar wird. Die Materialität der Kirche ruft sofort gewisse Verhaltensweisen und Stimmungen hervor. Wie das bei Wohnbauten funktioniert, verbunden mit Methodenentwicklung, wird hoffentlich der nächste Schwerpunkt.

  23. #23 Dr. Webbaer
    Mai 13, 2012

    @Schaffar
    Sie werden später, also wenn es bspw. darum geht die Präferenzen von BewohnerInnen festzustellen und dabei ‘Vorstellungen’ entgegengesetzt werden, die ‘stereotyp’ seien, und wenn es darum geht ‘BewohnerInnen’ zu ‘”entwickeln”‘, mit einigem Widerspruch rechnen dürfen.

    Auch die ‘Materialität’, die in der Kommentatorik am Klerikalen festgemacht worden ist, sich aber auch an Arbeiten Speers und dem Metrobau (nur ein Beispiel, es gibt hier ein Gesamtkonzept) anderer festmachen ließe, wäre so-o ein Punkt.

    Das aber nur nebenbei und provisorisch,
    MFG
    Dr. Webbaer (dem zu Wien immer auch der “Kunstmaler” und sowas hier einfällt)

  24. #24 A. Schaffar
    Mai 13, 2012

    @Dr. Webbaer: Mit dem Widerspruch sind wir recht vertraut. Das.bringt das untersuchte Feld so mit sich. Wien an sich ist ja eine sehr schrullige Stadt, Ihr Eindruck täuscht da nicht. 😉

  25. #25 Dr. Webbaer
    Mai 14, 2012

    Der Webbaer merkt schon, dass Sie auch Humor haben. Humor hat bisher jeden großen Soziologen, Terry Pratchett hier eingeschlossen, ausgezeichnet. – Vermutlich dient Ihre Arbeit auch dazu Widerstände einzugrenzen, sehr vernünftig, wenn man bedenkt, dass Bau-Projekte ab einer bestimmten Größe heutzutage Widerstände generieren, die so früher nicht einmal denkbar waren. – BTW: Kennen Sie die Berliner Milieuschutzverordnung? Hat man in Ö auch sowas? – Aber lassen Sie sich bitte nicht stören, spannendes Thema, viel Erfolg!

    MFG
    Dr. Webbaer

  26. #26 Andrea Schaffar
    Mai 15, 2012

    Nein eine Milieuschutzverordnung kenne ich nicht. Muss ich gleich googeln.

    In Wien gibts derartiges nicht, allerdings ist die regierende Partei in manchen Bereichen der Meinung, dass sie so etwas wie eine institutionalisierte Milieuschutzverordnung ist. Es gibt ein schönes Buch zu Wien: “Der Geschmack von Wien: Kultur und Habitus einer Stadt” (Interdisziplinäre Stadtforschung) von Lutz Musner. Das hat mir lustiger Weise ein deutscher Kollege empfohlen und das erklärt diese Stadt hier recht greifbar.

    Und Sie haben recht: Die Arbeit dient dazu auszuloten, die verschiedenen Beteiligten forschungsmässig auf ein Tableau zu holen und anhand der Daten die Veränderungspotentiale greifbar zu machen. Der Vorteil derzeit ist, dass vielen Beteiligten klar ist, dass sich etwas ändern muss. Aber Gegenwind gibts doch schon des öfteren, das gehört dazu. 🙂 lg A. Schaffar