Bild wien.gv.at, (c) J. Kacetl

Gestern, eine Veranstaltung der Wohnbauforschungstage in Wien: Am Ende eine Diskussion über BewohnerInnen, die ja in diesen Kontexten immer NutzerInnen genannt werden – allein der Begriff ließe schon einiges an Nachdenken zu. Ein Architekt meint (sinngemäß, kein wörtliches Zitat), dass er “den Sinn nicht darin sieht warum ArchitektInnen mit NutzerInnen reden sollten. Denn wo würde da dann die Innovation bleiben? NutzerInnen verfügen nur über Erfahrungswissen und hätten keine Ahnung über architektonische Qualitäten und ähnliches.”

Das Statement ist aus unterschiedlichen Gründen interessant: Immer wieder begegnet einer eine argumentative Distanzierung von der eigentlichen Zielgruppe. Bei weitem nichts Ausschließliches im Sektor des Wohnbaus oder der Architektur, in vielen Branchen findet sich ähnliches, denkt man an Spitäler oder Ämter. Die NutzerInnen bzw. KundInnen auszuklammern und nicht hinzuschauen, reduziert Komplexität und wahrt die eigene Stellung. Das Konzept der ‚implicated actors‘, d.h. von AkteurInnen die von anderen bzw. von Organisationen mitgedacht werden, liefert da interessante Perspektiven (siehe z.B. Adele Clarke, Situational Analysis).

Interessant ist die Art des Denkens auch, weil die Aussage ‚NutzerInnen verfügen nur über Erfahrungswissen‘ aus dem Mund eines Planenden etwas paradox ist. Sie tun nämlich Ähnliches: Geplant wird auf der Basis von Annahmen, Erfahrungswerten, Stereotypen, und so weiter. Das Architekturstudium ist, natürlich neben der Vermittlung von Grundlagen und Know How, eine intensive Sozialisation in eine habituelle Ausrichtung, quasi eine Geschmacksschulung in Kombination mit einer grundlegenden Auseinandersetzung über Raum bzw. Ästhetik. ArchitektInnen sind PraktikerInnen keine WissenschafterInnen, ihre Praxis ist das Entwerfen. Der ganze Bereich hat einen starken (und in meinen Augen sehr sympathischen) Zug zu Innovation, etwas das in manchen anderen Disziplinen selten ist. Da spielt die Nähe zur bzw. der Anteil an Kunst eine spezifische Rolle. Gesichertes Wissen aber, z.B. in Hinblick auf Entwurfsprozesse, ist rar. Der Vorwurf, dass NutzerInnen nur Erfahrungswissen hätten, erscheint vor dem Hintergrund nochmals paradoxer.

Ganz ähnlich argumentieren gern TheoretikerInnen als KritikerInnen der empirischen Sozialforschung, die meinen eine empirische Auseinandersetzung mit Menschen wäre unnötig, weil so und so nicht valide. Auch wenn empirische Erhebungen natürlich ihre problematischen Seiten haben – dazu gibt’s meterweise Literatur – die theoretische Reproduktion der eigenen Ansichten bezeichne ich als nicht sonderlich valider. Ich liebe diesen Comicstrip.

Spannend ist der Fokus auf die Unterschiedlichkeit von Wissen: Gesichertes Wissen, jenes aus dem auch Theorien entstehen (sollten) sind aus verschiedenen Perspektiven abgesicherte Erkenntnisse, d.h. verallgemeinerbares, nachvollziehbares Wissens mit einem Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Im Gegensatz zum aus der Praxis stammenden Erfahrungswissen, das meist rein subjektiv und situativ ist. SozialwissenschafterInnen sammeln Erfahrungswissen, ordnen es, machen es zugänglich und tragen damit einen Teil zur Transformierung in gesichertes Wissen bei. Sogenannte Experten und -innen (egal welcher ursprünglichen Profession entstammend), das war gestern wieder gut greifbar, sind SpezialistInnen des Erfahrungswissens. Und der Selbstdarstellung. 😉

Kommentare (14)

  1. #1 Olaf aus HH
    November 28, 2012

    Erfahrungswissen… Es gibt eigentlich nichts besseres. Denn entweder etwas ist angenehm und/ oder es funktioniert, dann ist das eine gute Erfahrung. Oder es funktioniert nicht, weil… dann ist es eine schlechte Erfahrung, die sich meist auch beschreiben bzw. erklären läßt.
    Beispiel: In jungen Jahren (80er Jahre) habe ich als Trucker gearbeitet, später neben meinem Studium als solcher in den Semesterferien gejobbt.
    Immer wieder gab es mit Kollegen Diskussionen über die ideale Sattelzugmaschine: Am besten den Motor von W, das Getriebe/ die Schaltung von X, die Achsen von Y, das Fahrerhaus von Z etc.
    Ideal wäre also das Modell WXYZ (natürlich mit Anpassung der Komponenten). Unter den verschiedenen Runden gab es fürmich erstaunliche Übereinstimmungen, es waren einfach Praktiker oder neudeutsch “User”, die jahrelang den ganzen Tag im Sommer wie im Winter mit diesen Kisten unterwegs waren, die Vorzüge der einzelnen LKW-Modelle kannten und die jeweiligen Stärken und Schwächen beim Machen und Handhaben erlebt haben.
    Gefragt hat uns/ die wohl noch nie jemand von Herstellerseite. Weshalb, ist mir bis heute unklar, da es eigentlich sehr naheliegt. Und wenn doch zwischenzeitlich jetzt gefragt werden sollte, wäre das ein Fortschritt, wenn man dann auch noch daraus schlaue Schlüsse zieht.
    Ist es in etwa das, was Du meintest ?

    • #2 Andrea Schaffar
      November 28, 2012

      Ja das mein ich. Und ohne gehts nicht. Im Alltag von allen, egal was wir tun, wir häufen Erfahrungswissen an: Im Umgang mit etwas, in der Nutzung, in den Bewertungen und so weiter. Nur funkt die Transferierung in andere Bereiche nicht 1:1. Es braucht einfach beides: Theorie ohne Konnex zur Praxis ist oft nutzlos, Praxis aber ohne Reflexion und größeren Zusammenhang funkt halt nur in einem eingeschränkten Feld.
      Kleines (fiktives) Beispiel: Vorbereitungstreffen für eine Tagung. Person A meint er macht einen Workshop mit Konzept X so, weil das funktioniert. Methode passt aber nicht zu den Anforderungen für die Tagung. Aber Person A bleibt bei dem Konzept X, weil das “eben funktioniert”. Was der Person fehlt ist das Überblickswissen (welche Möglichkeiten des methodischen Designs gibt es, welche didaktischen Implikationen hat das, was für Alternativen habe ich, usw.) und die Umsetzung der Planung (Ausgehen von den Notwendigkeiten bzgl. Zielgruppe, zeitlicher Rahmen, didaktische Ziele, roter Faden, etc.).

      “Weu wir des imma so mochn.” funktioniert oft nicht. Da brauchts dann gesichertes Wissen (Theorie). Andersrum find ichs immer wieder faszinierend, wenn Leut herumfabulieren, aber keine Ahnung von der Praxis haben und die PraktikerInnen sich schon auf den Kopf greifen wg. der Weltfremdheit. 😉 Braucht einfach beides und am Fruchtbarsten ist der Austausch.

  2. #3 Olaf aus HH
    November 29, 2012

    Danke für die Antwort. Was mich an an eine kleine Gescichte erinnert, in der sich Techniker mit Juristen zum Thema Bau von Überlandleitungen/ Fernleitungen befassen mußten. An einer Stelle sagte ein Techniker, man müsse bei Konzept X daran denken, daß dessen Verwirklichung wohl die Ohmschen Gesetze (er meinte die Leitungswiderstände) entgegenstünden. Steile Juristenantwort: Es dürfte Wege geben, diese zu ändern, bei Gesetzen sei das praktisch immer möglich, sollte es erforderlich sein… 😉

  3. #4 Anwalts_Liebling
    November 29, 2012

    ist übrigens in meinem Job (EDV) ein Running Gag… weil: der Anwender ist immer der “Dumme”… was kennt der schon von Datenbanken, Performance, klicken, Maus-Wegen, Ergonometrie usw… der echte Softwareentwickler kennt die Bedürfnisse seiner Nutzer gaaaaannnz genau. Das Ergebnis kann man im Web täglich zu dutzenden finden. Webshops, deren Logik sich niemandem erschliesst, Suchfunktionen die alles finden ausser das gesuchte usw usw. Bester Beispiel in meinem Umfeld ist ein grosses Softwarehaus in Walldorf (wir wollen keinen Namen nennen *grins*). Die haben ein Portal zur Fehlersuche. Dort aber Lösungen zu finden ist eine Heruasforderung…

  4. #5 Andrea Schaffar
    November 29, 2012

    Wie der größte Feind des Bauherrn die BewohnerInnen sind , sind die größten Feinde des Journalisten die LeserInnen und die der Programmierer/Admins etc. die User. Das Phänomen zieht sich durch alle Branchen. Und trotzdem immer wieder spannend, wie wenig z.B. in Usability investiert wird.

    Ich hab den Eindruck (rein subjektiv, nix abgetestet), dass die Furcht bzw. der Unwillen zur Auseinandersetzung mit anderen Menschen zunimmt. Wird meist auch als uneffizient, unnötig usw. bezeichnet. Als Kommunikationswissenschafterin kann ich davon leider Lieder singen. 😉

    Im Wohnbau in Wien tut sich diesbezüglich was, das Wort Partizipation ist in vieler Munde, da geschiehts aber meines Eindruck nach aus Notwendigkeiten, weils keine Antworten auf bestehende Fragen gibt. und die Leut so zu suchen anfangen. Sonst ist Wien ja nicht unbedingt eine Stadt mit einem Hang zur Beteiligung. 😉

  5. #6 Dr. Webbaer
    November 29, 2012

    Der letzte Absatz ist jämmerlich. Ist denn gar nichts verstanden worden?

    • #7 Andrea Schaffar
      November 29, 2012

      Gibts neben der Wertung auch etwas Inhaltliches?

  6. #8 Farmer
    November 29, 2012

    Sehr interessanter Artikel – ist bei uns (Hersteller von Gebrauchsgütern) ähnlich. Was weiß der Kunde (der unsere Produkte täglich nutzt) schon von Produktentwicklung und Design …..

  7. #9 pazifist
    November 29, 2012

    @Andrea:
    Ein sehr treffender Artikel! Aber auf die Gefahr, als Macho wahrgenommen zu werden: es stört (bestimmt nicht nur) mich, dass ständig von …Innen die Rede ist. Die deutsche Sprache ist nun mal historisch so gewachsen, da wirkt die Innen-Keule idiotisch.
    Hoffentlich ist diese alberne Phase der Sprachnutzung bald überwunden…

    • #10 Andrea Schaffar
      November 29, 2012

      Reine Gewohnheitssache. 😉 Danke fürs Feedback 🙂

  8. #11 Nachfrager
    November 30, 2012

    Nur der Form halber die Nachfrage… Müsste es nicht heißen: “Wie der größte Feind der BauherrInnen die BewohnerInnen sind , sind die größten Feinde der JournalistInnen die LeserInnen und die der ProgrammiererInnen/AdministratorInnen etc. die UserInnen”?

    Oder würde dann plötzlich klar werden, wie unnötig verkompliziert sich diese Ausdrucksweise liest?

  9. #12 michael
    November 30, 2012

    > Nur der Form halber die Nachfrage…

    Kann man nicht einfach das BinnenI kleinschreiben, getreu der Devise ” Männer fühlen sich immer angesprochen.” ?

  10. #13 Andrea Schaffar
    November 30, 2012

    Hätt ich morgen nicht eine 7 Stunden Blocklehrveranstaltung würd ich kurz etwas zum Thema Splitting/BinnenI/geschlechtsneutrale Schreibweisen etc. schreiben. Das (alte) Thema scheint ja einigen unter den Nägeln zu brennen. Zu diesem Diskussionstrang in den Kommentaren aber dann ein andermal.

  11. […] die geschlechtergerechte Schreibe vielerorts kritisieren. In den Kommentaren eines meiner letzten Blogpostings wurde dies höflich, aber doch, kritisiert: „Aber auf die Gefahr, als Macho wahrgenommen zu […]