Methodische Analyse des Projektberichts „Evaluierung islamischer Kindergärten/-gruppen in Wien“
Die Debatte rund um die Evaluierung islamischer Kinderbetreuungseinrichtungen zieht sich seit mehr als einer Woche. Der Projektbericht wurde am 16.12.2015 über ein Facebookposting von Thomas Schmidinger zugänglich und ist hier auf der Website des Standards hinterlegt.
Forschungsprojekt? Projektbericht? Vorstudie?
Der Projektbericht spricht von einem qualitativ-empirischem Forschungsprojekt im Zeitraum von 1.7. bis 30.11.2015 (S. 1 des Projektberichts) zur Kurzdarstellung von Zwischenergebnissen und qualifiziert die Inhalte des Projekts im jetzigen Stadium als Vorstudie (S. 3 des Projektberichts): „Die Ergebnisse der Studie in dieser Phase können nur als Vorstudie betrachtet werden“. Die Vielfalt der unterschiedlichen Bezeichnungen auf den ersten Seiten verweist auf eine erste Inkonsistenz: Worum geht es in dem Bericht genau? Was genau ist dieses Projekt?
Gleich ob Forschungsprojekt oder Vorstudie: Jede sozialwissenschaftliche Forschung unterliegt gewissen Kriterien bzgl. Qualität, Transparenz, Strukturierung, methodischer Vorgangsweise und Ergebnisdarstellung. Eine Vorstudie kann zwar bzgl. der Fallzahl oder Reichweite eingeschränkt sein, muss aber diesbezüglich nachvollziehbar gestaltet werden. Diese wissenschaftlichen Kriterien gelten für jede Form von Projekt, gleich ob Vorstudie oder Studie, da sonst die Arbeit an sich angreifbar ist.
Der Zeitraum der Studie ist mit 5 Monaten, zwei davon die Sommermonate Juli und August, ambitioniert gesetzt. Im Projektbericht ist Univ.-Prof. Dr. Ednan Aslan als Projektleiter angegeben, auf die auf der Website des Projekt https://iis.univie.ac.at/forschung/laufende-projekte/evaluierung-islamischer-kindergaerten/ angegebene Mitarbeiterin MMMMag. Helena Stockinger findet sich im Projektbericht kein Hinweis – es ist nicht davon auszugehen, dass Univ.-Prof. Aslan den Bericht ohne die Mitarbeit anderer verfasst hat.
Anzahl der Kindergärten und –gruppen: In den Vorbemerkungen wird auf die Qualifizierung als Vorstudie verwiesen. Als Begründung wird die Anzahl von „150 Kindergärten und 450 Kindergruppen“ (S. 3 Projektbericht) angeführt. Ein Hinweis auf die Quelle dieser Zahlen fehlt. Welche Kindergärten und –gruppen in Wien gemeint sind, ob dies ausschließlich islamische Kinderbetreuungseinrichtungen sind, bleibt unklar. (Vgl. dazu https://www.wien.gv.at/statistik/bildung/tabellen/kth-kinder-zr.html)
Um qualifizierte Aussagen treffen zu können, wird geschrieben, wäre „eine auf drei Jahre aufgeteilte ausführliche Studie“ (ebd.) nötig. Diese Einschätzung teile ich meiner qualitativen Erfahrung nach. Eine reine Analyse einer einzigen Ausrichtung von Kinderbetreuungseinrichtungen, ohne die anderen Ausrichtungen zu analysieren, würde nur ein Stück des Gesamtbildes liefern.
„Anliegen des Forschungsprojektes“, S. 3 Projektbericht: Aus sozialwissenschaftlicher Sicht ist das Thema begrüßenswert. Wer mit Kinderbetreuungseinrichtungen in Wien zu tun hat weiß um die Vielzahl der neu gegründeten Gruppen in den vergangenen Jahren. (Ich war in Kindergruppen als Obfrau aktiv, auch ein Jahr im Vorstand des Vereins Wiener Kindergruppen und hatte als Schulobfrau im Rahmen einer Hortgründung in den letzten 2 Jahren viel mit der MA 11 und MA 10 zu tun.)
Aus der MA 11 war von unterschiedlichen Seiten schon länger zu hören, dass die enorme Zunahme an neugegründeten Kindergruppen, wie auch die unterschiedlichen Qualitäten der Betreuungseinrichtungen, brisante Themen sind. Auf der Website der Stadt Wien sind die Statistiken bis 2012/13 zugänglich, hier sind die Steigerungen bzgl. der Platzzahl entnehmbar. Die Tendenz wird sich bis 2015 fortgesetzt haben, aktuelle Zahlen liegen noch nicht vor. Ebenso wird auf der Ebene der Stadt schon des längeren über die Qualifikationen des Personals in den Einrichtungen und die unterschiedlichen Ausbildungen debattiert. Eine konstruktive, öffentliche Debatte wäre diesbezüglich wünschenswert, die unterschiedlichen Konzepte der pädagogischen Ausrichtungen sozialwissenschaftlich zu analysieren, wäre mehr als sinnvoll – Kurz: Die Relevanz des Vorhabens ist gegeben.
Gerade aus dieser Perspektive heraus ist es schade, dass der vorliegende Projektbericht aufgrund seiner Qualität polemisierende und polarisierende Diskurse, wie in den letzten Tagen verfolgbar, (mit)ermöglicht. Das Thema verfügt über eine hohe gesellschaftliche Relevanz und zeigt einen hohen damit verbundenen Forschungsbedarf.
Forschungsfragen, S 4 oben, Projektbericht: Die Studie stellt in der ersten Forschungsfrage sehr allgemeine und grundsätzliche Themen in den Mittelpunkt, schränkt diese dann auf ausgewählte, islamische Kindergärten in Wien ein: „Welche pädagogischen Schwerpunkte, welche Werte und welche Inhalte bestimmen aus Sicht der Pädagoginnen, der Leitung und der Eltern die Bildungsarbeit in ausgewählten islamischen Kindergärten in Wien?“
Nachdem – wie im Folgenden ausgeführt – nicht klar wird welche Fälle mit welcher Begründung ausgewählt wurden, sind diese sehr allgemeinen Fragen durch die Art der Vorgangsweise nur bedingt beantwortbar und bräuchten eigentlich eine andere methodische Vorgangsweise. Die Forschungsfragestellung und die gewählte Methodik wiedersprechen sich hier auf methodologischer Ebene. Wenn mittels Leitfäden gearbeitet wird, müsste zumindest das Sampling, d.h. die Fallauswahl, genau dargestellt werden – siehe dazu weiter unten.
Die zweite Forschungsfrage „Inwieweit sind die theologischen und ideologischen Orientierungen der Trägervereine in der pädagogisch-religiösen Erziehung der Kinder sichtbar?“ bleibt indifferent und zieht weitere Fragen nach sich: Das Wort „inwieweit“ verweist darauf, in welchem Rahmen bzw. in welcher Weite theologische und Ideologische Orientierungen sichtbar werden. Das Wort „sichtbar“ ist dabei schwierig: Für wen sichtbar? Was genau meint Sichtbarkeit? Hier bräuchte es eine stärkere begriffliche Ausdifferenzierung, um die Forschungsanliegen exakter auszuführen.
Die Aspekte, wie sich die aufgeführten Orientierungen darstellen, äußern und im Alltag gelebt bzw. umgesetzt werden, fehlen in den Fragestellungen. Dies kann zwar als sprachliche Ungenauigkeit ausgelegt werden, ist aber gerade bei Forschungsfragestellungen zu vermeiden. Bei Forschungsfragestellungen geht es üblicherweise darum möglichst exakt zu erfassen, was beforscht werden soll und alle beforschten Aspekte zu beleuchten.
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