„Untersuchungsauswertung“, S. 5 unten, Projektbericht: Hier liegt die Hauptkritik meiner Analyse. Eine „an die Auswertungsmethode der Grounded Theory“ angelegte Auswertung in der dargestellten Form hat mit einer Grounded Theory, einer in Daten begründeten Theorie, nichts zu tun. Beschrieben wird, dass in einem ersten Schritt Kategorien auf der Basis der Interviews entwickelt wurden. In einem zweiten Schritt „wurden Tendenzen dargestellt, die sich in den ausgewählten Kindergärten zeigten.“
Beide Schritte haben mit einem interpretativen Verfahren, wie der Grounded Theory, nichts gemeinsam. (Wie eine Grounded Theory entsteht, habe ich an anderer Stelle im Blog ausgeführt.) Grundsätzlich gilt aber: Die Grounded Theory ist kein Verfahren bei dem Textelemente in Kategorien eingeteilt werden. Die in der Grounded Theory genutzten Codes sind ein Weg um die Interpretation, die in Form von angefertigten Memos vorgenommen wird, zu strukturieren und miteinander zu vernetzten. Das Ziel dabei ist die Entwicklung einer in Daten begründeten Theorie, die Phänomene und Zusammenhänge erklären kann – eine sogenannte gegenstandsbezogene bzw. gegenständliche Theorie. Dieser Zugang ermöglicht die Erklärung und Theoretisierung sozialer Phänomene. Eine Vorgangsweise, die für die Entwicklung von möglichen Lösungsansätzen und Maßnahmen gut geeignet ist.
Wie genau im Rahmen der „Evaluierung islamischer Kindergärten/-gruppen in Wien“ vorgegangen wurde, wird aus der Darstellung nicht nachvollziehbar. Ich kann an dieser Stelle nur aufgrund der Darstellung der Ergebnisse und langjährigen Erfahrungen mit studentischen Arbeiten und ähnlichen Projekten mutmaßen.
Die Überthemen, die sich in dem Teil „Auswertung“ ab S. 6 des Projektberichtes finden, werden höchstwahrscheinlich die Themenbereiche der Leitfadeninterviews abbilden. Dazu wurden Zusammenfassungen und Zitate aus den Interviews zugeordnet. Diese Vorgangsweise ist eine, die in sozialwissenschaftlichen Ausbildungen aus gutem Grund als unwissenschaftlich qualifiziert wird: Die individuellen Auswahlkriterien der auswertenden Person fließen so ungefiltert, ohne methodische Abstraktions- und Strukturierungsschritte, in die Daten ein. Die Ergebnisse bilden so die Sichtweise der auswertenden Personen ab und können keinen Anspruch darauf stellen aus den Daten hervorgegangen zu sein. (Methodische Schritte wie Paraphrasierungen, Generalisierungen, Interpretationsschritte und ähnliches dienen dazu auf eine objektivierbare und nachvollziehbare Ergebnisse zu kommen, die sich in dem erhobenen Datenmaterial begründen. Auch wenn sozialwissenschaftliche Arbeit immer selbst in sozialen Kontexten entsteht, kann so der Schritt von subjektiven Eindrücken hin zu validen und reliablen Ergebnissen, die die Perspektiven der ProbandInnen im empirischen Material wiedergeben, vollzogen werden.)
Die spärlichen Zitate und fehlenden Verweise auf konkrete Interviewstellen – üblicherweise werden Transkriptstellen in den Bericht aufgenommen und Listen von Interviews in den Anhang inkludiert, um den Arbeitsprozess transparent zu gestalten und die Ergebnisse durch das erhobene Material zu untermauern – stützen die These, dass nicht nach den Arbeitsweisen der Grounded Theory und auch nicht nach einem anderen Auswertungsverfahren vorgegangen wurde. Eine Darstellung der gewählten Methodik, der Auswertungsschritte und wie im konkreten Projekt vorgegangen wurde, fehlt zur Gänze. Literaturangaben welche Ausrichtung der Grounded Theory zum Einsatz kam, sind nicht im Projektbericht enthalten.
Wie die erwähnten Tendenzen (ab S. 6 des Projektberichts) erarbeitet wurden, ist nicht ersichtlich. Eine Typologie, sehr häufig eines der Ergebnisse qualitativer Forschung, um ein Feld und seine Phänomene zugänglich zu machen, fehlt. Die Ergebnisse der Evaluation bleiben auf einer deskriptiven Ebene und lassen keine Rückschlüsse auf Zusammenhänge zu. Die aufgeführten Punkte sind eine Liste, die jeden Raum für Spekulationen offen und möglichst hohe Eindeutigkeiten vermissen lassen. Auf der Basis dieser Analyse lässt sich sagen: Diese Forschungsarbeit ist methodisch unsauber, lässt sozialwissenschaftliche Standards außer Acht, verwendet die Grounded Theory als ein Label, setzt diesen methodologischen Zugang aber nicht tatsächlich um.
Die Ergebnisse sind deskriptive Zusammenfassungen aus Interviewtranskripten, die nicht zugänglich sind. Damit ist die Forschung nicht nachvollziehbar und intransparent. Die Arbeits- und Vorgangsweise bleibt ebenso, wie die methodische Umsetzung, im Dunkeln.
„Vernetzung der Akteure“, S. 12 ff. des Projektberichts: Dieses Thema wird als ein Insiderthema markiert. „Nur durch genaue Kenntnisse der islamischen Vereinslandschaft und deren AkteurInnen können, durch zusätzliche Analyse von Vereinsregisterauszügen, diese Faktoren hinreichend geklärt werden.“ (S. 12 oben, Projektbericht) Wissen um die Strukturen und Gegebenheiten eines Feldes sind ohne Frage wichtig und wertvoll. Dieses Erfahrungswissen zugänglich zu machen und so für ein Forschungsprojekt nutzbar zu machen, bedingt aber die schon angeführten wissenschaftlichen Vorgangsweisen. Einfach zu postulieren und die eigenen Postulate mit Quellen zu versehen, ist keine Vorgangsweise um von der eigenen Sichtweise zu abstrahieren. Darum aber ginge es, in Kombination mit dem ExpertInnenwissen aus den Interviews, um zu einer umfassenden Darstellung der Strukturen in einem sozialen Feld zu kommen.
Kommentare (18)