Im Prinzip kann man das gleiche auch mit anderen Stoffen als nur Xenon-135 machen. Allerdings haben diese Stoffe keine annähernd so gute Fähigkeit, Neutronen zu absorbieren. Aber das kann man kompensieren. Man muss nur eine sehr große Menge eines Stoffs wie Tc-99 in einen Reaktor einbringen. Um so mehr davon im Reaktor ist, um so größer ist die Chance, dass eines der sehr vielen Tc-99 Atome ein Neutron absorbiert und sich mit 15 Sekunden Halbwertszeit in stabiles Ruthenium-100 vewandelt. Wenn genug Tc-99 eingebracht wird, wird in dem Reaktor mehr Tc-99 in stabiles Ru-100 verwandelt, als neues Tc-99 entsteht. Dabei ist nicht nur Ru-100 stabil, sondern auch Ru-101, Ru-102 und Ru-104. Ru-103 wird mit kurzer Halbwertszeit auch stabil. Es gibt also auch keine Probleme, wenn das Tc-99 zu lang im Reaktor hängt.
Allerdings gibt dann doch ein Problem: Die Neutronen für die Transmutation müssen irgendwoher kommen. Bei der Transmutation entstehen keine neuen Neutronen und die absorbierten Neutronen könnten für die Kettenreaktion fehlen. Eine solche Transmutation erfordert also Reaktoren mit einem ausreichenden Überschuss an Neutronen.
Nicht nur für Technetium-99 ist die Transmutation angedacht, sondern auch für Iod-129 ganz am Ende der Tabelle. Es entsteht zwar nur sehr wenig davon und die Halbwertszeit ist extrem lang, aber weil es bevorzugt von der Schilddrüse des Menschen aufgenommen wird, gilt es als besonders schädlich. Beide Stoffe haben Eigenschaften, die eine Transmutation durchaus zulassen. Ihr Neutronenquerschnitt, die Fähigkeit Neutronen zu absorbieren, ist noch groß genug. Außerdem treten sie nicht zusammen mit anderen Isotopen des gleichen Elements auf. Die könnten sonst bei der Transmutation radioaktiv werden. Zumindest würden sie noch mehr Neutronen absorbieren, als die Isotope die man transmutieren will.
Langfristig würde man bei der Spaltung von 100 Atomen ungefähr 7 Neutronen für die Transmutation dieser beiden Spaltstoffe abzweigen müssen. Je nach Reaktor entstehen bei der Spaltung von 100 Atomen etwa 200 bis 300 Neutronen. Es handelt sich hier also keineswegs um ein Hirngespinst, wie oft behauptet wird. Zumal die Transmutation von Xenon-135 einen ganz ähnlichen Umfang hat, wie die Transmutation von Technetium-99. Die findet aber ohnehin zwangsweise in jedem Reaktor stattfindet.
Das größte Problem von Atommüll hat nichts mit den Stoffen zu tun, die bei der Kernspaltung an sich entstehen. Das größte Problem sind die Aktivierungsprodukte, die im Reaktor aus Uran entstehen das nicht gespalten wird.
Aktivierungsprodukte
Aktivierungsprodukte werden auch Transurane oder Actinide genannt. (Wobei Uran eigentlich selbst ein Actinid ist.) Ein Teil der Actinide entsteht, weil nur etwa 88% der Uran-235 Atome tatsächlich gespalten werden, wenn sie ein Neutron einfangen. Es entsteht dann Uran-236. Aus Uran-236 kann durch ein weiteres eingefangenes Neutron und einen Beta-Zerfall auch eine kleine Menge Neptunium-237 entstehen.
Aber die meisten und bei weitem wichtigsten Actinide entstehen, wenn Uran-238 langsame Neutronen einfängt. Uran-238 macht den größten Teil des Urans in einem Brennstab aus, kann aber von langsamen Neutronen nicht gespalten werden. Wenn U-238 ein Neutron einfängt, entsteht daraus mit einer Halbwertszeit von etwas mehr als 2 Tagen das bekannte und spaltbare Plutonium-239.
Pu-239 zerfällt mit einer Halbwertszeit von etwa 24000 Jahren zu Uran-235. So lange sich noch größere Mengen Pu-239 in den Brennelementen befinden, sind sie gefährlicher als das Uranerz aus dem sie entstanden. Es dauert einige 100.000 Jahre, bis der spontane Zerfall von Pu-239 weit genug fortgeschritten ist um vom Ende der Lagerung zu sprechen. Genau das wird an Atommüll kritisiert.
Aber man muss nicht auf den spontanen, radioaktiven Zerfall warten. Pu-239 ist spaltbar und wird bei der Kernspaltung zu Spaltprodukten. Diese Spaltprodukte sind nach viel kürzerer Zeit, sehr viel weniger schädlich als Plutonium-239.
Ganz so leicht ist das aber nicht. Während Uran-235 noch in 88% der Fälle von langsamen Neutronen gespalten wird, ist das bei Pu-239 nur noch in 2 von 3 Fällen so. Wenn es nicht gespalten wird, entsteht das nächsthöhere Isotop: Pu-240. Dieses Isotop ist mit langsamen Neutronen nicht mehr spaltbar. Es kann sich aber durch einfangen eines weiteren Neutrons in Pu-241 verwandeln, das wiederum spaltbar ist. Auch Pu-241 ist nicht perfekt spaltbar und es entsteht Pu-242 und so weiter. Das Pu-240 ist dabei ein wichtiges Isotop. Es neigt mit einer kleinen Wahrscheinlichkeit dazu, spontan durch Kernspaltung zu zerfallen an Stelle eines Alpha-Zerfalls. Aber diese Wahrscheinlichkeit reicht schon. Plutonium mit einem Gehalt von mehr als 7% Pu-240 gilt deswegen nicht mehr als waffenfähig.
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