Was ist der ökologische Wert einer Fläche? Meine Erfahrung aus Diskussionen um einen solchen “ökologische Wert” ist, dass es genau darum nicht geht. Viel zu oft geht es um eine ästhetische Frage, in der dann ökologisches Vokabular im verbalen Schlagabtausch benutzt wird. (Vieles hier im Artikel und in den Diskussionen bezieht sich auf den letzten Artikel über Solarparks.)
Was des einen ruinierte Landschaft nach einem Kahlschlag ist, kann man wunderbar als Blumenwiese mit hoher Biodiversität verkaufen. Andererseits ist das, was man wegen der vielen Bäume als Wald bezeichnet, in vielen Fällen eher eine Holzplantage als ein echtes Stück Natur. Buchenmischwälder kann man als einzig wahre ursprüngliche Landschaftsform Deutschlands bezeichnen oder als eintönige Waldeinöde – so wie man früher auch die Regenwälder als menschenfeindlichen undurchdringlichen Dschungel sah, den es zu bändigen galt.
Aber ich möchte das ganze an einem anderen Beispiel diskutieren.
Salzwiesen mit absolut vergleichbarer Biodiversität können an der einen Stelle in Deutschland ein einzigartiges Naturschutzgebiet sein, das unbedingt unberührt bleiben muss. An der nächsten Stelle ist es eine Tierweide und ein paar hundert Kilometer südlich ist das exakt gleiche Phänomen der Salzwiese ein ökologisches Katastrophengebiet. Dabei könnte man gerade dort – nämlich in Mitten von Deutschland, wo es sonst keine Salzwiesen gibt – genauso gut von einem einzigartigen Nebeneinander zwei gänzlich unterschiedlicher Ökosysteme mit einer ganz besonderen Qualität der Biodiversität sprechen.
Man könnte sich eine natürliche Salzwasserquelle vorstellen, die dort für Salzwiesen sorgt, ganz ohne menschliche Hilfe. Schuld wäre in dem Fall die natürliche Geologie der Region. Würde jemand versuchen das Salzwasser abzuleiten und die Wiesen mit Süßwasser aus einer Fernleitung zu bewässern, würde man das als Zerstörung eines Ökosystems bezeichnen und das Verschwinden der Salzwiesen bedauern. Wahrscheinlich würde man in der öffentlichen Diskussion rücksichtslose Profitgier dahinter vermuten.
In der realität gibt es diese Salzwiesen. Sie werden aber nicht durch die natürliche Geologie, sondern durch einen industriellen Eingriff verursacht.
Zunächst stand hier “… sondern ein menschlicher Eingriff …” aber ich besinne mich hier eines besseren. Heidelandschaften sind zum Beispiel auch Artefakte, die ohne menschliche Eingriffe nicht existieren würden. Die Veränderung durch ausbleiben menschlicher Eingriffe wird dort mit dem negativ belegten Ausdruck “Verbuschung der Heide” beschrieben. Die Heide gehört nach Lüneburg aber genauso wenig wie die Salzwiesen an die Weser, werden nur völlig anders bewertet. Beide sind Artefakte, beide bieten einen beträchtlichen Gewinn an Biodiversität in der Region. Auch wenn der zumindest im Fall der Salzwiesen mit einem Verlust landwirtschaftlicher Produktivität einher geht.
Niemand würde positiv über die Erhaltung der Binnensalzwiesen aus der Verpressung der Salzlauge vom Kalibergbau schreiben. Das verschwinden des Salzwassers würde vielmehr als Rettung der Natur gewertet. In dem Maße, indem die Unterschiede zwischen den Salzwiesen und den umliegenden Gebieten verschwinden, in genau dem Maße würde man von einer Erholung der Landschaft sprechen. Man würde die Erholung der Landschaft an der wachsenden Produktivität der Weiden messen. Die verbleibenden Unterschiede werden später als Restschäden industrieller Verschmutzung bewertet. Erst wenn sich das Ökosystem wieder komplett an das umliegende angeglichen hat, und folglich die Biodiversität den für dieses System minimal möglichen Wert erreicht hat, erst dann würde man von der vollständigen Erholung der Landschaft sprechen.
Die Maximierung der Biodiversität, die sonst als Ziel der Naturschutzes bezeichnet wird, weicht hier der Minimierung. Allerdings würde man die faktische Minimierung der Biodiversität niemals bei der Wiederherstellung des Ökosystems diskutieren, weil es dem eigenen Ziel Schaden würde.
Ein ganz ähnliches Umkippen der Argumentation findet man auch bei Gewässern. Wenn ein Gewässer verschmutzt ist, dann wird der größere Bestand an Fischen zumeist als Zeichen für eine bessere Gewässerqualität genutzt. Es gibt aber Gewässer, die in ihrem natürlichen Zustand sehr nährstoffarm sind und Nährstoffmangel führt selbstverständlich auch zu kleineren Fischbeständen.
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