Was man als die ersten Kernkraftwerke der Welt bezeichnet, ist vor allem eine Definitionsfrage. Aussichtsreiche Kandidaten wurden in der Sovietunion, England und den USA gebaut. Und zwar in dieser Reihenfolge. Das erste Kandidat wurde in der Sovietunion gebaut und im Juni 1954 in Betrieb genommen. Obninsk I oder AM-1 lieferte 5MW Strom ans öffentliche Netz. Das tat man noch bis 1959. Danach wurde der Reaktor noch bis 2002 als Forschungsreaktor genutzt. (Der Link lohnt sich, es gibt dort eine Reihe Originalphotos.)
1955 wollte die Sovietunion dieses Kernkraftwerk auf einer internationalen Konferenz präsentieren. Daraufhin wurde in den USA eilig der Experimentalreaktor BOXAX II (ein Siedewasserreaktor) zusammen mit einer Dampfturbine und einem Generator noch einmal nachgebaut und dann BORAX III genannt. Der erzeugte Strom, maximal 0,5 MW, wurde dann ins Netz des 1000 Einwohner Orts Arco eingespeist. Der Betrieb dieses Reaktors wurde im Jahr darauf eingestellt. Es fiele mir schwer, das als ein Kraftwerk zu bezeichnen. Aber über BORAX wird im nächsten oder übernächst Artikel der Serie noch einiges zu sagen sein.
Sehr viel leichter fällt das bei Englands erstem Kernkraftwerk Calder Hall, in Sellafield. Es lieferte im August 1956 den ersten Strom ins Netz und wurde im Oktober des gleichen Jahres von der Queen, die noch immer die gleiche ist, eingeweiht. Die Leistung betrug anfänglich 28MW und wurde später auf 60MW gesteigert. Es wurde erst nach 47 Jahren im Jahr 2003 abgeschaltet – und weitere 12 Jahre später ist die Queen immernoch im Amt.
Allerdings war die Gewinnung von Strom ursprünglich nicht der Hauptzweck dieses Reaktors. Es ging um die Erzeugung von waffenfähigem Plutonium für das britische Kernwaffenprogramm. (Leider kamen sie zu spät um noch vor dem Feuer in einem der Luftgekühlten Reaktoren dort diese Aufgabe zu übernehmen.) Die Magnox Reaktoren wurden von Anfang an dafür gebaut, dass man Brennstäbe während des laufenden Betriebs bei voller Leistung austauschen kann. Davon wurde am Anfang auch mit Sicherheit viel gebrauch gemacht. Am Ende dienten sie aber ohne Zweifel nur noch der Stromproduktion. Es gibt auch so genug Sprengköpfe und waffenfähiges Plutonium in Großbritannien.
Für die Druckröhrenreaktoren in der Sovietunion (RBMK), die nach dem gleichen Prinzip wie der Reaktor in Obninsk gebaut wurden, gilt übrigens das selbe. Allerdings wurde die Produktion von waffentauglichen Plutonium dort erst unter Michael Gorbatschow 1985 eingestellt. Aber die Nutzung dieser Art von Reaktoren war bis dahin zumindest teilweise immer militärisch. Das war auch der Grund, weshalb 1986 ein Militäroffizier das Kommando über den Reaktor von Tschernobyl hatte.
Der Vollständigkeit halber sei gesagt, dass das erste Kernkraftwerk der USA war der Shippingport Reaktor war. Ein Druckwasserreaktor mit einer Leistung von 60MW. Er lieferte im Dezember 1957 den ersten Strom. Aber über diesen Reaktor wird es einen extra Artikel geben.
So ähnlich und doch so verschieden
Die Reaktoren in England und der Sovietunion hatten eine wichtige Gemeinsamkeit und einen wichtigen Unterschied: Beide sind graphitmoderierte Reaktoren. Aber die englischen “Magnox” Reaktoren wurden von den luftgekühlten Reaktoren abgeleitet und mit CO2 gekühlt. Die Brennstäbe des sovietischen Reaktors wurden aber mit Wasser in Druckröhren gekühlt. Es war der Vorgänger des RBMKs, der auch in Tschernobyl gebaut wurde.
Das bringt zwei große Unterschiede mit sich. Zum einen kann man die Magnox Reaktoren mit natürlichem Uran betreiben.Das Kühlmittel nimmt praktisch keine Neutronen auf und auch die Magnesium-Aluminium-Legierung der Brennstäbe, bringt kaum Verluste mit sich. (Magnox steht für “Magnesium-non-oxidizing”.) Der sovietische Druckröhrenreaktor brauchte hingegen 5% angereichertes Uran, weil sowohl das Wasser als auch der Stahl aus dem die Röhren bestanden, Neutronen absorbieren. Damit war dieser Reaktor nicht schlechter als Druckwasserreaktoren oder Siedewasserreaktoren. Er hatte aber den Vorteil, dass er nicht aus einem einzigen, großen Reaktorbehälter bestand. Die Druckröhren ließen sich viel einfacher und billiger in Massenproduktion herstellen. Es war auch kein Problem mit dem gleichen Bauprinzip einen größeren Reaktor mit viel höherer Leistung zu bauen. Und das tat man auch.
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