Ein Leck kann mit Flüssigkeiten dazu führen, dass die gesamte Flüssigkeit bis zur Höhe des Lecks ausläuft und dann praktisch gar nicht mehr kühlt. Ein Gas kann aber niemals ganz verschwinden. Wenn der Reaktor unter 25bar Druck steht und ein großes Leck entsteht, fällt der Druck schlimmstenfalls auf 1bar ab. Damit bleiben immernoch 4% der Kühlwirkung erhalten – genug um die Zerfallswärme von unter 1% der Reaktorleistung abzuführen. (Wobei die Kühlleistung vor allem von der Temperatur der Brennstäbe abhängt. Wenn das Material sehr hohe Temperaturen aushält, wird es die Zerfallswärme notfalls auch ganz ohne Kühlmittel durch reine Wärmestrahlung los.)

Die fehlende Erfahrung im Umgang mit CO2 und anderen Kühlmitteln (wie Natrium, Blei oder flüssigen Salzen) war auch der Grund für die Verwendung von Wasser als Kühlmittel in Obninsk und für den Erfolg der Druck- und Siedewasserreaktoren. Es gab weitaus weniger unerwartete Probleme in der Wartung und im allgemeinen Umgang mit Wasser. Das machte die Reaktoren billiger, zuverlässiger und leichter zu konstruieren – und damit wirtschaftlich erfolgreich. Gleichzeitig sammlte man um so mehr Erfahrung im Betrieb der wassergekühlten Reaktoren.

Wie gute Techniken trotzdem (vorerst) scheitern

Während in England der letzte Magnox Reaktor in Wylfa wohl im Dezember abgeschaltet wird und vom Nachfolger – dem “Advanced Gas-cooled Reactor” (AGR) – nur 11 Exemplare gebaut wurden, sollte man das Prinzip noch nicht abschreiben. Die in Deutschland entwickelten Hochtemperaturreaktoren wurden inzwischen in China wieder aufgegriffen und zur Serienreife entwickelt. Durch die Verwendung von Helium hat man keine Korrosionsprobleme mehr und die mit Siliziumkarbid ummantelten Brennelemente in den Graphitkugeln halten Temperaturen bis 1600 Grad aus. Der erste Testreaktor HTR-10 ist seit über 10 Jahren in Betrieb und die ersten beiden Prototypen für die Serienproduktion (HTR-PM) befinden sich im Bau.

Die ersten Kernkraftwerke der Welt zeigen ganz gut, wie es zu den heutigen Kernkraftwerken gekommen ist. Der Ursprung der ersten echten Kernkraftwerke in der Waffentechnik läßt sich nicht leugnen. Wie ich schon einmal geschrieben habe. Auch die Konstruktion des Shippingport Reaktors basiert auf der Konstruktion und der Erfahrung die beim Bau des ersten Atom-U-Boots gemacht wurde. Aber auch die Ursprünge des Computers auf dem ich das hier schreibe, liegen in der Waffentechnik. Genauso wie eine ganze Reihe anderer Dinge in unserem Alltag. Es ist am Ende eine Frage der Verwendung und nicht des Ursprungs.

Man sieht auch, weshalb sich bestimmte Techniken durchsetzen konnten. Um so mehr von der Technologie eines Kernkraftwerkes auf lange bekannten Techniken beruhte, um so eher konnte man es in kurzer Zeit entwerfen und störungsfrei und wirtschaftlich betreiben. Die im Lauf der Zeit gewachsenen Anforderungen stellen heute aber ein wachsendes Geflecht von Widersprüchen dar. Denn die Techniken mit denen man die meiste Erfahrung hat, sind nicht immer die besten Techniken für Kernkraftwerke.

Durch das Beharren auf etablierter Technik und absolut störungsfreien Betrieb, wird die Einführung besserer Technologien verhindert, weil dort an einzelnen Stellen noch Erfahrung gesammelt wird. Problematisch ist vor allem, dass bei Störungen nicht unterschieden wird, ob sie sicherheitsrelevant sind oder nicht. Es ist zum Beispiel für die Sicherheit nicht relevant, wenn nach 5 Jahren Betrieb festgestellt wird, dass die Korrosion so stark ist wie man es nach 10 Jahren erwartet hätte. Bei einer geplanten Lebensdauer von 50 Jahren gibt es mehr als genug Spielraum um das Problem in Griff zu bekommen, lange bevor es ein Sicherheitsproblem werden kann. Aber das wird so nicht gesagt.

Der Mangel an Differenzierung zwischen Problemen und Gefahren hat in der westlichen Gesellschaft zu einem seit Jahrzehnten anhaltenden Entwicklungsstillstand in vielen Bereichen geführt, nicht nur in der Kernkraft. Gelöst wird dieser gordische Knoten heute nicht mit dem Schwert, sondern durch Ausweichen in andere Länder. Die neueste Technik, die unserer in der Sicherheit fundamental überlegen ist, wird heute in China und Russland zuerst gebaut. Es gibt dort andere Probleme. Die Einhaltung der vorgeschriebenen Materialen war schon in Südkorea ein Problem und wird in China wohl noch genauso auftauchen. Aber bevor man das kritisiert, sollte man sich daran erinnern, dass wir die gleiche Technik hier hätten haben können. Und zwar unter hervorragender Kontrolle aller Bauvorschriften und Materialnormen. Aber es nicht taten, weil alles Neue, trotz aller Verbesserungen, mit Unsicherheit gleichgesetzt wurde.

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Kommentare (12)

  1. #1 Gerry
    10. Juni 2015

    PRIS listet nur einen HTR-PM (SHIDAO BAY-1). Wo steht denn der zweite Bau?

    • #2 wasgeht
      10. Juni 2015

      Das sind zwei Reaktoren die eine Turbine antreiben.

  2. #3 Karl Mistelberger
    10. Juni 2015

    > Daraufhin wurde in den USA eilig der Experimentalreaktor BOXAX II (ein Siedewasserreaktor) mit einer Dampfturbine und einem Generator versehen und in BORAX III umbenannt.

    Das ist ein Gerücht. Tatsächlich wurde mit Borax II ein destruktives Experiment ausgeführt:

    By early summer of 1954, the upgraded reactor designated Borax II was ready for a new series of interesting experiments, culminating in a final test to the destruction of the reactor. … Preparations to test Borax II to destruction required modification of the center control rod drive so that a large amount of reactivity (2.6% delta K over K) could be injected into the reactor as fast as possible. I designed the trigger mechanism to fire the control rod down out of the reactor.

    Aus: THE STORY OF THE BORAX NUCLEAR REACTOR von Ray Haroldsen

  3. #5 DasKleineTeilchen
    11. Juni 2015

    momentchen, versteh ich das richtig? die haben in DER hütte mit absicht ne kernschmelze (“…the test melted a major fraction of the entire core.”) provoziert?!?

    äääähm, darwin-award anyone?

    • #6 wasgeht
      11. Juni 2015

      Nein. Nicht in der Hütte. Es gab keine Hütte um den Reaktor, mit dem sie das getan hatten. Der war nichts anderes als ein offener Behälter. Eine dickere Regentonne mit Brennelementen und Steuerstäben drin. – Weit draußen in der Wüste, versteht sich.

      Allerdings ist der Kern kaum gelaufen. Es wurden kaum Atome in den Brennelementen gespalten, weshalb entsprechend wenig Spaltprodukte drin waren. Wir sprechen von Prozentbruchteilen des ersten Atombombentests und vielleicht einem hunderttausendstel der Menge in Tschernobyl oder Fukushima.

      Was nie drin war, kann auch nicht raus gekommen sein. Deswegen war es nicht halb so verantwortungslos wie es erst einmal aussieht. Allerdings hat der Testleiter auch selbst etwas in der Richtung gesagt wie “Boys, I don’t know if we’re ever going to be famous, but we sure as hell will be notorious.”

      Video dazu gibt es hier:

  4. #7 Lutz Donnerhacke
    11. Juni 2015

    “ist die Queen war immernoch”?

    • #8 wasgeht
      11. Juni 2015

      Ok. Den Satz habe ich entweder einmal zu oft, oder einmal zu wenig bearbeitet …

  5. #9 Karl Mistelberger
    11. Juni 2015

    > #4 wasgeht, 10. Juni 2015
    > Und ich Idiot schau mal schnell bei der Wikipedia rein, weil man will ja nix falsches schreiben, statt nochmal dort nachzulesen …

    Bei sorgfältigem Lesen von https://en.wikipedia.org/wiki/BORAX_experiments ist der Fall wohl klar doch ein lapidarer Satz wie “In March 1955 BORAX-II was intentionally destroyed by taking the reactor ‘prompt critical’.” und ein 80 Seiten langer Bericht eines Augenzeugen machen schon einen Unterschied.

    Schmunzeln musste ich über den Bericht eines aufgeweckten Touristen, der sich über das Auftreten von Geysiren in den ziemlich trockenen Ebenen am Schlangenfluss wunderte.

    Der US-Army waren die BORAX Experimente wohl bekannt, doch ernsthafte Konsequenzen hat sie erst daraus gezogen, als sie unfreiwilligerweise noch weitergehende Erfahrungen machte: https://en.wikipedia.org/wiki/SL-1

  6. #10 Struppi
    11. Juni 2015

    Wieso schreibst du Sowjetunion so anders?

    • #11 wasgeht
      11. Juni 2015

      Weil ich fast nur englische Quellen lese und die schreiben Sovietunion … und irgendwann kommt einem das völlig normal vor.

  7. #12 DasKleineTeilchen
    12. Juni 2015

    @frank:

    alles klar, danke; ich seh auch jetzt erst (escht, erlisch), daß die von mir verlinkte illu BORAX-V zeigt. hätte mir bei der abgebildeten technik eigentlich auffallen müssen, sorry.

    @karl: yep, SL-1 war wirklich ne unschöne nummer; der film der abschlusskommission lohnt, alleine schon wegen der bizarren musikuntermalung, die so garnicht zu der thematik “nuklearer unfall” passt…bzw *überhaupt nicht* zu irgendwas.