Bis 1952 glaubte man zumindest in den USA, dass Siedewasserreaktoren nicht möglich sind oder zumindest nicht stabil laufen würden. Das änderte sich in diesem Jahr, weil bei ein Unfall in einem Testreaktor am 2. Juni 1952 weitaus glimpflicher verlief, als man vorher gedacht hätte.
Der “Reaktor” war in diesem Fall eher eine Testanordnung, mit der Aufgabe die Eigenschaften von Steuerstäben zu untersuchen. Das Ziel war die Entwicklung eines Druckwasserreaktors für die USS Nautilus, dem ersten Atom-U-Boot der Welt. Weil der Entwurf für die Brennstäbe noch nicht fertig war, verwendete man stattdessen angereicherte Uranoxidpartikel in Kunststoffblöcken, in einem Wasserbehälter.
Die Sicherheitsvorkehrungen waren damals insgesamt noch sehr lasch. Und so vergaß ein Techniker bei einem Messversuch das Wasser aus dem Reaktor abzulassen, bevor er den getesteten, zentralen Steuerstab aus dem Reaktor zog. In dem Satz stecken drei Sicherheitsprobleme. (1) Große, zentrale Steuerstäbe gab es zu dieser Zeit ein einigen kleinen Reaktoren. Die hatten dann fast die gesamte Steuerwirkung, weshalb man durch herausziehen eine heftige Kettenreaktion in Gang setzen kann. (2) Das Ablassen des Wassers war die einzige Möglichkeit, das sicher stellen konnte und sollte, dass genau das nicht passiert. Wobei der Austausch der Steuerstäbe Sinn und Zweck der Sache war. Heute würde man mehrere unterschiedliche und unabhängige Systeme dafür verlangen. Und (3) der Techniker arbeitete selbst per Hand am Reaktor, die Arbeit wurde nicht per Fernsteuerung, über Motoren, mit Seilzügen oder ähnlichem durchgeführt.
Nach allem was man damals wusste, hätte er den Unfall nicht überleben sollen. Aber die Kettenreaktion wurde vorzeitig gestoppt, weil die Brennstoffpartikel den Kunststoff in ihrer Umgebung verdampften. Die Blasen im Kunststoff dehnten ihn aus und das verdrängte das Wasser aus dem Reaktor. Beides verringerte die Reaktivität des Reaktors. (Kunststoff ist ebenso ein Moderator wie Wasser. Die Moderationswirkung kommt vom Wasserstoffanteil.)
Der BORAX Reaktor
Damit erschien es als angebracht, die Möglichkeit eines Siedewasserreaktors in der Praxis zu testen. Das tat man mit dem Boiling Water Reactor Experiment, oder kurz: BORAX. Der Ort dafür war das heutige Idaho National Laboratory, in der schwach besiedelten amerikanischen Halbwüste. Die beiden nächstgelegenen Siedlungen liegen etwa 20 und 40 km entfernt in Nordöstliche Richtung. Nach Westen hin, war die Gegend über noch weitere Strecken unbewohnt. Der Reaktor wurde ohne weitere Gebäude im Freien errichtet, was dazu führte, dass er im Winter 1953/54 nicht benutzt werden konnte.
Der Reaktorkern bestand nicht, wie bei modernen Reaktoren, aus Brennstäben, sondern aus eng aneinander liegenden Platten. Insgesamt wurden etwas mehr als 3kg über 90% angereichertes Uran-235 verbaut. Mit diesem Reaktor hat man den stabilen Betrieb bei Leistungen bis etwa 1,2MW erprobt und ist dann zum Test der Stabilität der Reaktion unter extremen Bedingungen übergegangen. Die Veröffentlichung der Ergebnisse vom Februar 1954 kann man hier nachlesen.
Die Leistung eines Siedewasserreaktors begrenzt sich hauptsächlich durch Blasenbildung. (Wegen der Benutzung von hoch angereichertem Uran ist der Dopplereffekt hier nicht wirksam. In normalen Reaktoren heute dagegen schon!) Man wollte nun genau wissen, wie weit dieser Effekt wirksam ist. Um so schneller man durch den Steuerstab die Leistung des Reaktors verändert (also dem Reaktor Reaktivität zuführt), um so schneller müssen sich Blasen bilden, um diesen Effekt zu kompensieren und die Reaktivität wieder senken. Das tat man in 70 Experimenten mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Am Ende hatte man alle Möglichkeiten des Reaktors ausgeschöpft und gezeigt, dass die Reaktion in allen Situationen kontrollierbar war und ohne nennenswerte Schäden am Reaktor verlief.
An der Stelle sollte man sagen, dass die bei diesen Experimenten erzeugte Radioaktivität sehr niedrig ist. Der Reaktor lief im Dauerbetrieb nur einmal etwas länger als eine Stunde und bei einer (thermischen) Leistung von 1,2 MW. Ansonsten war er Sekunden bis Minuten im Betrieb. Die Folgen eines Reaktorunfalls sind unter solchen Umständen nicht im Hauch des Ansatzes vergleichbar mit einem Reaktor ein Jahr im Dauerbetrieb bei einigen 1000MW läuft. Die gesamte Menge von Spaltprodukten im Reaktor liegt bei nicht einmal einem Millionstel der Menge. (Zumal die Platten mit dem Uran im Lauf der Zeit ausgetauscht wurden.)
Zerstörung des Reaktors
Nach der Winterpause baute man den Reaktor um. Das Ziel der nächsten Serie von Experimenten war nun nicht mehr, die Eigenschaften eines normalen Reaktors zu untersuchen. Es ging darum die absoluten Grenzen des Möglichen auszutesten. In einem normalen Reaktor werden Steuerstäbe hinein gehängt, und bei Bedarf heraus gezogen. Man baute den Reaktor nun so um, dass man den einen zentralen Steuerstab (den es heute längst nicht mehr geben darf) bei Bedarf aus dem Reaktor heraus fallen lassen konnte um noch größere Geschwindigkeiten zu erreichen. Man ging sogar so weit, gespannte Federn zu benutzen, um den Steuerstab nicht nur heraus fallen zu lassen, sondern noch schneller heraus zu schieben.
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