Wenn man eine Technik nur lang genug ignoriert hat, dann kommt irgendwann der Punkt, an dem es Fortschritte von unerwarteter Seite gibt. In dem Fall ist es der neue Prototyp für ein Kernkraftwerk in Argentinien, dessen Sicherheitstechnik weitgehend passiv funktioniert. Es kommt im Notfall also ohne Strom und Pumpen aus. Das Reaktorkonzept wurde ursprünglich in den 80er Jahren entwickelt um damit ein U-Boot auszustatten. Das Projekt wurde aber Ende der 80er gestrichen. Im Jahr 2006 wurde das Konzept wieder aufgegriffen und diesmal in ein Kernkraftwerk integriert.

Dem Prototypen merkt man dabei seine Herkunft durchaus an. Es ist ein integraler Druckwasserreaktor mit einer thermischen Leistung von 100MW und einer elektrischen (netto) Leistung von 25MW, daher auch der Name. Die Nachfolgemodelle sollen Leistungen über 100MW erbringen und auch effizienter sein. (Das 100MW Modell hätte eine thermische Leistung von 300MW.)

Was ist ein integraler Druckwasserreaktor? In einem normalen Druckwasserreaktor wird das Wasser aus dem Reaktorbehälter hinaus in die Dampferzeuger gepumpt und dann wieder zurück in den Reaktorbehälter. In einem integralen Druckwasserreaktor befinden sich die Dampferzeuger im Reaktorbehälter selbst. Der Wasserkreislauf für den Dampf zur Turbine ist aber immernoch getrennt vom Wasserkreislauf im Reaktor. Anders als bei einem Siedewasserreaktor gelangt also kein Wasser das im Reaktorkern war bis zur Turbine. Trotzdem hat man nur einen relativ kompakten Reaktorbehälter, der alle wesentlichen Komponenten enthält.

Der Reaktor ist auch so gebaut, dass er keine Pumpen braucht um das Kühlmittel im Reaktorbetrieb durch den Reaktorkern zu pumpen. Der Auftrieb des erhitzten Wassers reicht allein dafür aus. Wenn die Leistung zu hoch wird und Blasen im Reaktor entstehen, sinkt nicht nur dessen Leistung, das Wasser wird durch die Blasen auch mit mehr Kraft durch den Reaktor “gepumpt”.

Möglich wird das hauptsächlich dadurch, dass man einen sehr kompakten Reaktorkern mit niedriger Leistung und großem Wasservolumen hat. Das Konzept soll so bis etwa 150MW skalierbar sein, bis man im Normalbetrieb Umwälzpumpen im Reaktor braucht. Aber selbst dann würde noch durch die Entstehung der Blasen beim Ausfall der Pumpen die Sicherheit ohne weitere Eingriffe gewährleistet sein.

Natürlich braucht man noch Pumpen, um das kondensierte Wasser von den Turbinen in die Dampferzeuger des Reaktors zu pumpen, wo es dann zu Dampf wird und wieder zurück in die Turbinen kommt. Bei einem Stromausfall (also auch Ausfall der Notstromgeneratoren) würden diese Pumpen ausfallen und die Wärme muss auf andere Weise vom Reaktor entfernt werden. Für die Siedewasserreaktoren wie in Fukushima Daiichi nahm man in diesem Fall an, dass der Kern schmelzen würde und das Containment undicht würde. Und zwar auch schon 1975 im Wash-1400 Report.

Das primäre Notfallsystem beim CAREM Reaktor kommt ohne Pumpen aus. Man hat vier Isolationkondensatoren, von denen im Notfall zwei ausreichen um die Kühlung sicher zu stellen und zwar für 1,5 bis 3 Tage ohne jeden Eingriff durch die Techniker. Es besteht aus einem Wärmetauscher, also langen Rohrleitungen die durch ein Wasserbecken verlaufen und jeweils durch ein Ventil geschlossen sind. Sie sind also jederzeit halboffen und mit dem Reaktor verbunden. Im Notfall öffnen sich die Ventile und Dampf vom Reaktor würde in den Rohrleitungen zu Wasser kondensiert und per Schwerkraft wieder zurück in den Reaktor laufen. Ich habe leider keine Beschreibung des Öffnungsmechanismus der Ventile gesehen. Prinizipiell könnte man sie aber so bauen, dass sie durch Elektromagnete geschlossen gehalten werden, die bei einem Stromausfall ihre Kraft verlieren.

Ein ähnliches System gab es beim Reaktor 1 in Fukushima Daiichi. Aber jeder Isolationskondensator brauchte 4 Ventile um zu arbeiten, man brauchte aber nur eins um es zu aktivieren. Allerdings waren die Ventile die es mit dem Reaktordruckbehälter verbanden so gebaut, dass sie sich bei einem Stromausfall automatisch verschlossen, falls sie offen waren. Sie hätten manuell wieder geöffnet werden müssen. Aber nach allem was ich gelesen habe, war das dem zuständigen Personal nicht bewusst, oder zumindest nicht mehr möglich. Ein einfaches System mit nur einem Ventil das für den Gebrauch bei einem Stromausfall gebaut wurde, würde keine derartigen Probleme verursachen.

Was mir in allen Beschreibungen des Reaktorsystems aber fehlt und wohl auch nicht existiert, ist ein Filtersystem für den Fall, dass dennoch eine Kernschmelze auftritt. Für diesen Fall hat das Containment Wasserstoffrekombinatoren und ein Contaimentspray, das radioaktive Aerosole aus der Luft waschen kann – anders als die Containments von Fukushima Daiichi. Man hat auch Sorge getragen, dass ein geschmolzener Kern durch Kühlung im Containment gehalten werden kann. Aber ein Filtersystem ist im Notfall immer eine gute Absicherung gegen unvorhergesehenes.

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Kommentare (8)

  1. #1 ulfi
    19. Juli 2015

    Hab ich das richtig verstanden, dass in diesem Konzept die Dampferzeuger die primaeren kuehleinrichtungen sind? Das ist natuerlich ein interessantes Konzept!

    • #2 wasgeht
      19. Juli 2015

      Das ist sogar normal so, für Druckwasserreaktoren. In Three Mile Island hat man auch den Reaktor über die Dampferzeuger gekühlt … nachdem man wieder genug Wasser in dem teilweise geschmolzenen Reaktor gepumpt hatte.

  2. #3 dgbrt
    19. Juli 2015

    Man kann sicherlich bessere Reaktoren bauen als Tschernobyl und Fukushima. Aber jede Technik hat die unangenehme Eigenschaft, irgendwann zu versagen. Das ist alles nur eine Frage der Zeit; absolute Sicherheit geht nicht!

    Ein GAU passiert weltweit alle 20-25 Jahre. In Japan hat man das Glück, dass die ganze Suppe sich im Pazifik verdünnen kann. Wenn das den Rhein runter fließen würde, kann sich wohl jeder vorstellen was das bedeuten könnte.

    Das Ignorieren dieser Möglichkeit ist doch wohl ein Straftatbestand.

    Aber das NO GO sind die Abfälle der industriellen Kernenergiewirtschaft. Es gibt keine Konzepte, wie man mit diesem radioaktiven Müll umgehen soll. Selbst der leicht radioaktive Abfall in der Asse wird uns in den nächsten hundert Jahren wohl große Probleme bereiten.

    • #4 wasgeht
      19. Juli 2015

      Die Aussagen deiner ersten beiden Absätze widersprechen sich. Von dem äußerst gewagten Versuch aus N=2-3 (Tscherobyl, Fukushima, vielleicht noch Sellafield, wobei das um mehrere Größenordnungen kleiner war) eine Häufigkeit abzuleiten mal ganz abgesehen.

  3. #5 dgbrt
    19. Juli 2015

    @wasgeht:
    Ein GAU passiert weltweit immer wieder. Ist das jetzt besser?

    • #6 wasgeht
      19. Juli 2015

      Auch nicht.

      Erstens hängt das was der größte anzunehmende Unfall ist davon ab, was für ein Kernkraftwerk man konkret benutzt.

      Zweitens ist die Wahrscheinlichkeit des eintretens nicht gleich verteilt. In Ländern die ihre Sicherheitsbestimmungen über Jahrzehnte nicht an den allgemeinen Stand der Technik und die allgemeinen Anforderungen an die Sicherheit angepasst haben, ist diese Wahrscheinlichkeit am größten.

      Japan gehörte dazu. Dort wurden seit den 70er Jahren nur einmal die Sicherheitsbestimmungen aktualisiert. Das war Anfang der 2000er Jahre und das erreichte Niveau entsprach in den älteren Kraftwerken bestenfalls noch dem Niveau der frühen 80er Jahre in Deutschland.

  4. #7 Serge
    19. Juli 2015

    “Ein GAU passiert weltweit immer wieder. Ist das jetzt besser?”

    Nein ist es nicht.

    Fukushima wäre leicht zu verhindern gewesen. Eine einfache Umfassung der Atomanlage gegen Tsunamis wäre schon ausreichend gewesen. Auch der Einsatz von Katalysatoren, um den Wasserstoff “loszuwerden” hätte Fukushima retten können.

    Aber die Betreiber dieser Anlagen sind nun einmal geldgierig. Das Kapital ist bekanntlich ziemlich kühn, wenn es um große Profite geht.

    • #8 wasgeht
      19. Juli 2015

      Das hatte wenig mit Geld zu tun. Man hat in Japan schlicht die Gefahren durch Tsunamis größtenteils ignoriert, zumindest soweit es wesentlich über die öffentliche Außendarstellung hinaus ging. Deswegen gab es über 18000 Tote und 400.000 Obdachlose.