Wenn Historiker von der Steinzeit sprechen, dann unterscheiden sie immer die Jungsteinzeit von der Zeit davor. Was die Jungsteinzeit von der Zeit davor unterscheidet ist die Revolution der Landwirtschaft. Zumindest ist das die übliche Story. Vor etwa 12.000 Jahren wurde die Landwirtschaft erfunden, die Menschen wurden sesshaft, aus Dörfern wurden Städte, aus Häuptlingen wurden Könige, aus Städten wurden Königreiche, aus Königreichen wurden Imperien und Imperien bauten Todessterne – und alles nur wegen der Landwirtschaft!
Aber neuere Untersuchungen lassen zumindest die Möglichkeit offen, dass die Revolution vielleicht doch nicht ganz so revolutionär war. Bei Ausgrabungen fand man 23.000 Jahre alte, kleine Siedlungen aus Hütten. Das war also zur Zeit der größten Ausdehnung der Polkappen, der absolute Höhepunkt der Eiszeit. Diese Hütten bestanden aus geflochtenen Zweigen aus Weide, Eiche und anderen Bäumen zusammen mit Gras und Erde um sie abzudichten.
Diese Siedlungen waren wohl das ganze Jahr über bewohnt. Das kann man ganz gut nachvollziehen, wenn man sich die Hinterlassenschaften der Bewohner anschaut. Neben Resten von andere Tieren fand man Knochen von Zugvögeln, die nur im Winter in der Gegend sind. Man fand aber auch Getreide – wilde Formen von Gerste, Weizen und Hafer – zusammen mit Mahlsteinen und Feuersteinen die Teil von Sicheln gewesen sein müssen. Das allein wäre nicht so überzeugend gewesen. Aber man fand auch große Mengen Samen von Unkräutern, die von jeher die Landwirtschaft begleitet haben. Diese Unkräuter kommen in der freien Natur kaum vor. Sie brauchen gepflügte oder zumindest aufgescharrte Erde um in großen Mengen aufzutreten. Hätte man Weizen und Gerste in der freien Natur gesammelt, dann wären die Unkräuter nicht in den Mengen aufgetreten. Man kann also davon ausgehen, dass sie auf Feldern angebaut wurden.
Man fand auch Überreste von Mäusen und Ratten. Das sind nun wieder Tiere, die sich hauptsächlich an Vorräten bedienen und auch sonst nur in sesshafter Gsellschaft auftreten. Man zog aus all dem letztendlich den Schluss, dass diese Menschen in der Gegend mit einiger Sicherheit dauerhaft sesshaft waren. Neben dem Getreide fand man auch die Vorläufer der modernen Erbsen, Linsen, Mandeln, Feigen, Weintrauben und Oliven. Alles Pflanzen mit denen später in der Jungsteinzeit die Grundlagen unserer Zivilisation gelegt wurden. Das gilt auch für die Werkzeuge, die man bis dato nur aus viel späterer Zeit kannte.
Bei den Pflanzen handelte es sich aber größtenteils noch um die Wildformen und der Anbau geschah wohl auch einfacher und in kleinerem Maßstab als zu späteren Zeiten. Auch die Ernte wird sich wohl schwieriger gestaltet haben als in heutiger Zeit. Denn wildes Getreide hat die (für Bauern) unangenehme Eigenschaft, dass es sofort vom Stengel fällt, wenn es reif ist. Die gewohnten vollen, goldenen Ähren gehen auf Mutationen zurück, die sich in der Jungsteinzeit verbreiteten. Immerhin fand man in einem Teil der Getreidekörner Anzeichen für solche Mutationen.
Erhalten blieb die Siedlung allerdings nur, weil sie wohl ziemlich schnell vom steigenden Wasserspiegel des Sees bedenkt wurde. Durch den dann fehlenden Sauerstoff wurde sie konserviert. Ähnliche Siedlungen aus der Zeit kennt man allerdings noch nicht und das ist ein Problem. In dem Paper gehen die Wissenschaftler davon aus, dass es sich um ein Ausprobieren der Technik gehandelt hat, das dann wieder verschwand.
Aber es gibt noch eine Möglichkeit. Vor 23000 Jahren war der Höhepunkt der Eiszeit. Die Meeresspiegel lagen über 120m unter dem heutigen Stand. (Über die genauen Werte gibt es einige Unsicherheit, aber wenigstens 120m waren es.) In den folgenden Jahrtausenden wurden große Landflächen überschwemmt. Wenn sich die Leute der damaligen Zeit vor allem in relativer Nähe des Meeres angesiedelt haben sollten (auch einige zig Kilometer weiter im Inland), dann wären die Spuren heute weit unter der Meeresoberfläche.
Jedenfalls zeigt die Geschichte, dass keine Revolution über Nacht geschieht. Es gibt immer Vorläufer bei denen zumindest bestimmte Aspekte einer Idee ausprobiert werden, bevor sie sich verbreitet. Bei der landwirtschaftlichen Revolution genauso wie bei der industriellen Revolution.
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