Eine der (für mich) faszinierendsten Vorlesungsreihen die man auf Youtube finden kann, sind die Vorlesungen zur Weltgeschichte von Richard Bulliet. Das liegt vor allem daran, dass sie nicht primär dazu dienen die Weltgeschichte zu erklären, sondern sein eigenes Lehrbuch zu kritisieren. Er hielt die Vorlesung in seinem letzten Jahr als aktiver Professor und konnte sich so gewisse Freiheiten erlauben.
Einige Teile dieser Vorlesung haben sich wirklich in mein Gedächtnis eingegraben und dazu gehört eine Geschichte über die alten Mesopotamier. (Sie beginnt ungefähr ab der 30. Minute) Die kommen deswegen zur Sprache, weil sich der Professor hier Auswirkungen der sehr gut bekannten und einflussreichen Geschichte der Bibel auf die Lehrbücher beschreibt. Das alles, obwohl unser Wissen über die Israeliten im Grunde stark beschränkt ist. Würde man die Schriften der alten Sumerer oder Ägypter aus der gleichen Zeit die in der Bibel beschrieben wird zusammen nehmen, hätte man einen sehr viel größeren Textfundus, als es die Bibel jemals hergab. Trotzdem wird den biblischen Geschichten ein größerer Raum gegeben, als andernfalls angemessen erscheint. (Wobei es mit den Ägyptern ein ganz ähnliches Problem gibt, weil diese im Vergleich zu anderen Völkern sehr viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Ja doch. Es gab zu Zeiten der Ägypter noch andere Völker, in den gerade einmal 2000 Jahren nach dem Bau der Pyramiden, bis zur Eroberung Ägyptens durch Alexander den Großen.)
Aber es ist nicht nur ein quantitatives Problem, auch ein qualitatives. Denn die Geschichte der biblischen Völker wird hauptsächlich deswegen erzählt, weil sie bis heute einen wichtigen Einfluss haben. Und dieser Einfluss hat natürlich auch große Auswirkungen auf die Art in der man auf die Geschichte schaut. Als Gegenbeispiel nennt er ein Buch über das alte Babylon von Leo Oppenheim. Ancient Mesopotamia – Portrait of a dead civilization. (Mir ist jetzt erst aufgefallen, dass die Universität von Chicago dieses Buch als pdf ins Internet gestellt hat. Ich werde es mir wohl demnächst näher anschauen, wollte den Link aber nicht vorenthalten.)
Darin schreibt der Autor, dass er über die Mesopotamier als eine tote Zivilisation reden wird. Er kümmert sich nicht darum, welchen Einfluss sie heute vielleicht haben könnten und was wir von der Erzählung über Mesopotamien erwarten würden. Erwarten würde man zum Beispiel eine breite Diskussion über den Epos von Gilgamesh, der aus der Gegend stammt. Aber tatsächlich kennt man den nur von sehr wenigen Texten. Dagegen kennt man tausende Texte die sich damit beschäftigen, wie man die Zukunft mit Hilfe von Schafslebern vorhersagen kann. Das geht weit über die Texte hinaus. Es gab auch Modelle von Schafslebern aus gebrannten Lehm, die zeigen sollten, welche Form der Leber auf welche Ereignisse hindeuten würden.
Allein aufgrund der Menge des gefundenen Texte zu dem Thema kann man zumindest den Verdacht haben, dass den Mesopotamiern die Genauigkeit der Vorhersagen aus Schafsleben deutlich wichtiger waren, als der Epos von Gilgamesh. Der Unterschied ist, dass wir heute noch von Gilgamesh und Enkidu reden, aber die Sache mit den Schafslebern nicht mehr tun.
Es zeigt jedenfalls, dass die alten Völker in einigen Dingen wohl sehr viel merkwürdiger waren, als gemeinhin zu vermuten ist. Manchmal liegt es nicht einmal an dem geschichtlichen Wissen das wir über sie (nicht) haben, sondern an den Geschichten über sie, die wir als wichtig erachten.
Genau deswegen ist die Vorlesungsreihe auch so faszinierend für mich, dass ich sie nicht zum ersten Mal angeschaut habe. Sie zeigt einen Blick hinter die Kulissen der Geschichte, wie Geschichte und Geschichtsbücher gemacht werden.
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