In den letzten Tagen sorgte ein Studie aus Japan für Nachrichten. “Elevated Thyroid Cancer Incidence Seen in Children Near Fukushima Nuclear Plant” Sie besagt, dass bei Kindern der Provinz Fukushima nach 2011 mehr Krebsfälle diagnostiziert wurden als zuvor. Das ist unbestreitbar, die Diagnosen und die darauf folgenden Behandlungen hat es gegeben.
Ich habe zu diesem Thema bisher mit Absicht nichts geschrieben. Ich bin kein Mediziner und die Ergebnisse wirkten suspekt. Beides zusammen ist ein Warnsignal dafür, dass man Schnellschüsse besser unterlassen sollte. Nach näherer Beschäftigung mit dem Thema habe ich mich nun doch entschlossen, einen Artikel darüber zu schreiben. Der erste Teil über die veröffentlichte Studie selbst und der zweite Teil über eine Auswertung von Details dieser Studie durch andere Wissenschaftler.
Die Diagnosen wurden im Rahmen der Ultraschalluntersuchung von fast 300.000 Schilddrüsen gestellt. Davon wurden 2067 positive Fälle durch weitere Untersuchungen mit “fine needle aspiration cytology (FNAC)” untersucht und 110 Fälle als Krebs diagnostiziert. 87 davon wurden operiert und 86 stellten sich den Untersuchungen zufolge als Krebs heraus.
Über die Zuverlässigkeit der FNAC gibt es wissenschaftliche Untersuchungen. Zitat:
FNAC is inexpensive, widely available and easy to perform, and is therefore regarded as a part of the initial investigation for a thyroid nodule. Acute complications are rare and there is no reported case of cutaneous implantation of malignant cells following FNAC of thyroid nodule [18]. It has a pre-operative predictive accuracy of more than 90% [18] and aids the surgeon in selecting the most appropriate procedure prior to surgery. It has reduced the cost of work-up compared with either ultrasound or scintigraphy [9]. However, the utility of FNAC depends on the skill of the person performing the procedure and on the experience of the cytopathologists [18]. FNAC has an overall false negative rate of between 0.5% and 11.8% (pooled rate of 2.4%) and a false positive rate of 0%–7.1% (pooled rate of 1.2%) [9, 24]. The false negative rates can be reduced by better sampling techniques, meticulous follow-up and serial FNAC examinations [18].
Die Zuverlässigkeit der Methode hängt von den allgemeinen Fähigkeiten (“skill”) und der Erfahrung des Untersuchenden ab. Die Rate der falsch-positiven Diagnosen läge damit je nach diesen Umständen zwischen 0 und 7%. Wenn Mediziner 2000 gesunde Schilddrüsen mit FNAC untersuchen, dann muss man nach diesen Ergebnissen bis zu 142 falsch diagnostizierte Krebsfälle gesunder Patienten erwarten. Man sollte anmerken, dass für Reihenunterschungen von hunderttausenden Patienten wahrscheinlich weder ausgesucht gute und erfahrenen Mediziner zur Verfügung standen, noch wenigstens durchschnittlich gute. Das ist kein Vorwurf an die Mediziner, sondern eine schlichte Beschreibung der Situation in Anbetracht der Größe der untersuchten Bevölkerung.
Trotzdem geben die Autoren zu Protokoll:
“The investigators noted that the approximately 30-fold overall increase in thyroid cancer incidence might be the result of a screening effect, meaning there could be silent thyroid cancer cases among children in the unscreened parts of Japan. They conclude, however, that the magnitude of the IRRs is too large to be explained by such an effect.”
Man habe herausgefunden, dass ein Screening Effekt das Ergebnis nicht erklären könne. Aber hier hat man, die Möglichkeit falsch-positiver Diagnosen aus dem Begriff “screening effect” herausdefiniert hat.
Jeder Schüler oder Student lernt eine Beschreibung dieses Effekts in jeder Einführung zur Statistik kennen, noch dazu genau in dieser Konstellation. Man untersucht eine große Gruppe von Menschen mit einer seltenen Krankheit, mit Hilfe eines Tests in einer gewissen Zahl der Fälle auch bei gesunden Menschen eine Krankheit angibt. Es ist das, was man im englischen ein sprichwörtliches “textbook example” nennt. Den Autoren kann diese Tatsache also auf gar keinen Fall entgangen sein. Trotzdem wird die Möglichkeit falsch-positiver Diagnosen im gesamten Bericht nicht erwähnt oder gar auf Häufigkeit untersucht.
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