Es ist wieder soweit. Eine Abstimmung brachte ein Ergebnis. Es galt zu entscheiden, ob sich Hamburg für die Austragung der Olympischen Spiele 2024 bewerben sollte oder nicht. 50,1% der Wahlberechtigten gingen zur Wahl. Von ihnen stimmten 51,6% mit Nein und 48,4% mit Ja.
Das interessanteste an dem Vorgang ist, dass er funktioniert. Die Entscheidung wird von einer Abstimmung abhängig gemacht. Es wurde abgestimmt. Die Abstimmung wird akzeptiert. Das letzte ist übrigens der unabdingbare Kern der Demokratie. Keine Abstimmung nützt irgendetwas, wenn die daraus abgeleitete Entscheidung nicht akzeptiert wird.
Aber wenn ich mir das Triumpfgeheul der überlegenen Seite anschaue, sieht es nicht so aus, als wäre das den Beteiligten klar. Nicht nur bei dieser Abstimmung. Eine Abstimmung ist in einer Beziehung wie Geld: Sie ist eine reine Formalität der an sich überhaupt nichts verbindliches innewohnt. Die Verbindlichkeit ergibt sich erst im Zusammenspiel mit der Gesellschaft.
Das erlebt man immer dann, wenn in einem Land wie etwa Libyen Wahlen durchgeführt werden und die Regierungsmacht der einen oder anderen Partei schlicht nicht anerkannt wird. Das Wesen der Demokratie besteht nicht in der Wahl, sondern in der Anerkennung der Wahl. Diese Anerkennung ist keine Selbstverständlichkeit. Nur Gesellschaften die beständig für die Anerkennbarkeit solche Entscheidungen arbeiten können bestand haben.
Aber die “Gewinner” einer solchen Wahl bekommen heute nicht nur ihren Willen, sondern sprechen der unterlegenen Seite zusätzlich noch jede Legitimität ab. Ist diesem Ziel der Erhaltung der Demokratie gedient, wenn Repräsentanten jener 51,6% die mit Nein abgestimmt haben (oder hätten), den anderen 48,4% der Abstimmenden jede Legitimität absprechen? Dafür gibt es einen einfachen Lackmustest: Wird es für die Unterlegenen leichter oder schwerer das Ergebnis anzuerkennen?
Die Antwort ist offensichtlich. (Es hilft auch nicht, dass die überlegene Seite hier tatsächlich nur etwa Einen von Vier Wahlberechtigten repräsentiert.)
Wenn die überlegene Seite (mit ihren 25,8%) ihren Willen bekommt, dann sollte sie allein damit hochzufrieden sein. Aber sie hat keinen Grund mit stolzgeschwellter Brust den 24,2% der Ja-Stimmer ihre Legitimität abzusprechen. Ganz im Gegenteil.
Sie kommen nun schon in den Genuss der Tatsache, dass sie ihren Willen gegen den Willen der anderen durchgesetzt haben. Als Profiteure der demokratischen Abstimmung sollten sie sich jetzt erst einmal um die Erhaltung der Demokratie kümmern. Dazu gehört, dass man die Legitimität des Standpunkts der Gegenseite anerkennt. Zur Akzeptanz der Mehrheit durch die Minderheit gehört die Akzeptanz der Minderheit durch die Mehrheit. Dafür braucht es aber das genaue Gegenteil der allgegenwärtigen Siegerpose.
Nun ist es zum Glück so, dass der Mensch ein Gewohnheitstier ist. Nicht jeder missglückte Umgang mit einem Wahlergebnis führt gleich zum Ende der Demokratie. Aber wenn Delegitimation jeder von der Mehrheit abweichenden Meinung zum Ritual wird, und kaum mehr anders gedacht werden kann, dann unterhöhlt das die Akzeptanz der Abstimmungen und damit die eigentliche Grundlage der Demokratie.
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