Dieser Tage macht ein Bericht die Runde, dass angeblich die Schwere eines Zwischenfalls im AKW Fessenheim vom 9. April 2014 vertuscht worden wäre. Dieser Bericht ist falsch. Eine Bescheibung des Zwischenfalls, mit allen Aspekten die angeblich erst jetzt ans Licht gekommen sein sollen, ist bereits seit dem 24. April 2014 öffentlich einsehbar – und zwar in der dafür vorgesehenen Internetseite der Französischen Atom-Aufsichtsbehörde ASN.
Dazu habe ich mich heute mit Christopher unterhalten (mit dem ich auch den Countdown Podcast aufnehme), weil wir zur gleichen Zeit am gleichen Ort waren und noch Zeit blieb, bis mein Zug abfuhr. Hier könnt ihr rein hören.
Inzwischen habe ich auch nachgelesen, woher das Wasser kam (was ich zum Zeitpunkt des Gesprächs noch nicht wusste). Beim Füllen eines Kühlwassersystems für Geräte im nicht-nuklearen Teil war eine Leitung verstopft, wodurch sich ein Überlaufventil öffnete und das Wasser ausfloss – dabei war auch einer von zwei Schaltkasten für die Reaktorkontrolle betroffen, in der Werte vom Reaktor (Temperatur, Druck, Position von Steuerstäben etc) überwacht werden und auch automatische Notfallmaßnahmen eingeleitet werden. Der Schaltkasten meldete wegen dem Wasser Kurzschlüsse. Nachdem nicht mehr sicher gesagt werden konnte, ob die angeschlossenen Steuerstäbe normal funktionierten entschlossen sich die Betreiber den Reaktor herunterzufahren. Weil ein Notfallsystem betroffen war, wurde der Zwischenfall mit INES 1 bewertet.
Zum Herunterfahren hat man dabei die Reaktivitätskontrolle mit Borsäure benutzt. In älteren Druckwasserreaktoren ist so ein System absolut üblich, um Reaktivitätsüberschüsse auszugleichen – insbesondere bei frischen Brennstäben, in denen noch kein spaltbares Material verbraucht wurden und keine Neutronen durch Spaltprodukte absorbiert werden. Im Laufe des Betriebs wird dann die Konzentration von Borsäure im Kühlwasser immer weiter abgesenkt. Modernere Reaktoren benutzen stattdessen fest eingebaute “burnable poisons”, Absorber (z.B. Gadolinium) die im gleichen Maß verbraucht werden, wie die Reaktivität der Brennstäbe sinkt. Dadurch ist das System mit Borsäure im Normalfall nicht mehr nötig.
Ein ganz ähnliches System, auch mit Borsäure, kann aber auch als Notfallsystem benutzt werden – in denen wird der Reaktor mit großen Mengen Borsäure geflutet. Das war in dem Zwischenfall nicht nötig.
Es wurde aber das reguläre System mit Borsäure benutzt, um den Reaktor langsam herunter zu fahren. In dem Brief der Aufsichtsbehörde an den Betreiber wird auch eine genauere Erklärung verlangt, weshalb dieses System zum Herunterfahren des Reaktors benutzt wurde, denn das ist ein möglicher, aber kein üblicher Vorgang.
Die bloße Tatsache, dass die Aufsichtbehörde einen Tag nach dem Vorfall eine genauere Erklärung zu dem Vorgang überhaupt verlangen kann, heißt aber auch, dass sie zuvor vom Betreiber davon unterrichtet wurde. Es kann also keine Vertuschung jedweder Art gegeben haben. Es wäre eine merkwürdige Art von Vertuschung, bei der die Aufsichtsbehörde schon am nächsten Tag von allem wusste, das heute als angeblich vertuscht bezeichnet wird, und die Öffentlichkeit davon auf der Webseite der Aufsichtsbehörde lesen konnte.
Der Schaden ist natürlich angerichtet. Wieder einmal wurde eine falsche Behauptung in die Welt gesetzt, nach der in Fessenheim Zwischenfälle angeblich vertuscht werden. Eine Gegendarstellung ist aller Erfahrung nach nicht zu erwarten.
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