Ich glaube, sie wird gewinnen!
Schon wenig später zeigte sich der neue Charakter von Alpha Go: Aus passiv wurde aggressiv. In der Folge eines Zugs von Alpha Go nach Zug 24 wurde einer von Lee Sedols schwarzen Steinen in der oberen rechten Ecke vollkommen abgeschnitten und eine weitere Gruppe zwischen weißen Steinen eingeklemmt. Der Koreaner war zum ersten Mal merklich angespannt. Er verlor nun deutlich an Einfluss entlang des oberen linken Bretts.
Als hervorragender Spieler erkannte Lee Sedol, dass die große Gruppe invadierende Steine dennoch angreifbar war, während er seine eigenen Steine schon abgesichert hatte. So gelang es ihm im Anschluss seinerseits, starken Einfluss im unteren linken Viertel des Bretts aufzubauen. Die Beobachter und Kommentatoren sahen zu diesem Zeitpunkt einen klaren Vorsprung für Lee Sedol. Kim erwartete allerdings schon bei Zug 91 Komplikationen durch Alpha Go, weil die Situation für Schwarz zu bequem war.
Lee Sedol in Bedrängnis
Das bewahrheitete sich bei Zug 102 mit einer gewagten Invasion mit einem weißen Stein auf der rechten Seite – “der schlechtestmögliche Moment für Schwarz”, kommentierte Kim. Der Versuch, das Territorium auf der rechten Seite zu reduzieren, war durchaus erwartet. Zuvor hatten die Spieler noch um die untere linke Ecke gekämpft. Wer auch immer sich zuerst aus diesem Kampf lösen würde, hätte die Wahl, den Gegner anzugreifen. Es war ein sehr gut gewählter Zug.
“Alpha Go könnte stärker werden als ich”, kommentierte Kim zu dem Zeitpunkt. “Ich denke, sie ist vielleicht schon stärker als ich. Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, dass Lee Sedol gewinnt.” Schon bei der Auswertung der Spiele gegen Fan Hui hatten sich Andrew und Kim auf die weibliche Anrede für Alpha Go geeinigt.
Das Computerprogramm wagt und gewinnt
Überraschend war die Fortsetzung der Invasion. Statt den schwarzen Stein vom Zug 107 abzuschneiden und möglichst nach außen anzubinden oder zumindest damit zu drohen, um anderswo Schwächen auszunutzen, sprang Alpha Go mit einem weißen Stein von Zug 108 noch tiefer in das schwarze Territorium.
Es war ein gewagter Zug, der normaler Intuition widerspricht. Der Schnitt bringt mehr Möglichkeiten mit sich, die Invasion erfolgreich durchzuführen, und das Resultat wäre durchaus gut gewesen. Der Sprung nach innen käme für einen professionellen Spieler nur infrage, wenn er sehr genau weiß, wie die damit verbundenen Spielvariationen ausgehen. Die professionellen Kommentatoren wussten es nicht.
Alpha Go besaß die notwendige Sicherheit, um so einen Zug zu spielen. Kim schlussfolgerte, sie wisse wohl sehr genau, wie die Spielvariationen in dieser Situation verlaufen würden und dass der Zug 108 auf S12 statt des Schnitts bei p8 zu einem noch besseren Resultat führen werde. “Sie spielt wie eine Göttin, ich glaube, sie wird gewinnen!”
Einige Züge später hatte Alpha Go den Rückstand ausgeglichen und einen leichten Vorsprung aufgebaut, den das Programm nicht mehr abgab. Nach über 3 Stunden Spielzeit und 184 Zügen gab Lee Sedol das Spiel auf. Die nächste Partie steht am Freitag an. Bis dahin werden sicher auch die ersten Statements von Lee Sedol und tiefergehende Analysen des Spiels vorliegen.
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