Das Ende von Traditionen hat im Go Tradition
Aber auch früher hat es schon Revolutionen im Go gegeben. Das gilt besonders für die Eröffnung. Nachdem der Vorteil des ersten Zugs durch die Einführung der Komi-Punkte ausgeglichen worden war, musste der Spieler mit den schwarzen Steinen nun einen Vorsprung erkämpfen, anstatt nur seinen Vorteil zu verwalten. Im 19. Jahrhundert wurde der Japaner Honinbo Shusaku so gut darin, dass er mit den schwarzen Steinen als unbesiegbar galt.
Die klassische Eröffnungstheorie war zwar damit eigentlich veraltet, dennoch hielten die Spieler Japans an ihr fest. Bis ein Chinese names Wu Qingyuan zum Go-Unterricht nach Japan gebracht wurde. Dort wurde er berühmt als Go Seigen – die japanische Aussprache seines Namens. Zusammen mit Kitani Minoru entwickelte er in seiner Jugend die Shinfuseki, die neuen Eröffnungen. Es folgten experimentelle Spiele, in denen zuerst um das Zentrum gekämpft wurde. Eröffnungszüge, die bis dahin als zu schlecht bekannt gewesen waren, wurden zum neuen Standard, weil sie sich bewährt hatten.
1933 traf der 19-jährige Go Seigen auf den 60-jährigen Honinbo Shusai. Schon die Eröffnung, mit Steinen auf den Sternpunkten und in der Mitte (Tengen), war ein Bruch mit alten Traditionen, die der Honinbo als Beleidigung durch den jungen Spieler auffasste. In einem Spiel, das über drei Monate dauerte, wurde Go Seigen zwar mit 2 Punkten Rückstand besiegt, aber der Honinbo missbrauchte sein Recht, das Spiel jederzeit zu unterbrechen und später fortzusetzen. Er beriet sich in den Pausen mit den anderen Spielern seines Hauses. Es wurde als das Spiel des Jahrhunderts bekannt und kam einer Zeitenwende gleich.
Das Haus Honinbo stammte noch aus dem 17. Jahrhundert, als das Go-Spiel in Japan erstmals professionalisiert wurde. Spieler wurden dafür bezahlt, sich ganz dem Go zu widmen und Spiele zur Unterhaltung des Shoguns zu spielen. Konkurrierende Häuser suchten und förderten die besten Spieler des Landes, es gab sogar den Posten des Go-Ministers. Das berühmteste Haus war das Haus Honinbo, dessen stärkster Spieler in die Familie Honinbo adoptiert wurde und ihren Namen tragen durfte. Drei Jahre nach dem Spiel zwischen Go Seigen und Honinbo Shusai wurde das Haus aufgelöst und der “Honinbo” nur noch als Titel eines Turniergewinners verliehen.
Alpha Go macht neue Theorien unausweichlich
Die Professionalisierung war auch der Ausgangspunkt für die Entwicklung einer formalen Eröffnungs- und Spieltheorie im Go, seit man im Japan des 14. Jahrhunderts erstmals Spiele regulär auf einem leeren Brett begann, um sich von den damals von Mongolen beherrschten Chinesen abzugrenzen.
Im 17. Jahrhundert führte Honinbo Dosaku dazu eine Reihe von Werkzeugen ein. Er erfand die “Tewari”-Zuganalyse, bei der Spielzüge in unterschiedlichen Reihenfolgen gespielt und bewertet werden. Wenn eine andere Zugreihenfolge so aussieht, als hätte ein Spieler einen groben Fehler gemacht, dann gibt es wahrscheinlich eine effizientere Sequenz aus anderen Zügen. Er hat auch die Eröffnung auf die Formel gebracht, dass zuerst um Territorium in den Ecken, dann an den Seiten und erst am Ende im Zentrum gekämpft wird.
Nachdem schon die Shinfuseki diese Theorie infrage stellten, dürften die letzten fünf Spiele von Alpha Go nun endgültig dazu führen, dass diese Formel nach über drei Jahrhunderten neu formuliert werden muss. Lee Sedol macht sich darüber jedenfalls jetzt schon Gedanken.
Deep Mind kann mehr als nur Go spielen
Für die weitere Entwicklung des Go-Spielens dürfte Alpha Go kein Hindernis darstellen, ganz im Gegenteil. Wenn die Entwicklung des Schachs seit Deep Blue ein Vorbild für die Entwicklung von Go in den nächsten Jahren ist, dann haben die Spieler nicht viel zu befürchten. Auch 20 Jahre nach der ersten Niederlage eines Schachgroßmeisters gegen einen Computer wird die Schachweltmeisterschaft ausgetragen und ein Preisgeld von etwa einer Million Euro ausgeschüttet. Es wird nichts daran ändern, dass Go weiter in Turnieren gespielt wird und Menschen gegen Menschen antreten.
Viel wichtiger wird die Wirkung aber außerhalb von allen Denkspielen sein. Alpha Go wurde von Deep Mind mit generischen Algorithmen programmiert, die überall zur Lösung hochspezialisierter Probleme zum Einsatz kommen können – vor allem in der Medizin und Wissenschaft. Auch das ist nichts Neues. Selbst Computerchips können nicht mehr ohne Computerhilfe entworfen werden. Fast die gesamte Wissenschaft ist von Computeralgorithmen abhängig, Wettervorhersagen konnten erst so die heutige Zuverlässigkeit erreichen.
Deep Learning steht erst am Anfang
Nach ihren eigenen Aussagen sind die Deep-Learning-Algorithmen von Deep Mind vielversprechend, aber die Arbeit steht noch am Anfang. Auf der Pressekonferenz nach dem letzten Spiel von Alpha Go wurde vor allem die ethische Verantwortung betont, neuronale Netze richtig zu erstellen und sie für die richtigen Zwecke einzusetzen. Die Einrichtung eines “ethics board” war eine der Grundvoraussetzungen bei der Übernahme von Deepmind durch Google.
Wie bei allen Technologien gehen die Chancen mit einer Verantwortung einher. Dazu gehört aber nicht nur die Verantwortung, mit möglichen Risiken umzugehen, sondern auch die Verantwortung, die Chancen zu nutzen, der Menschheit nutzen können und sie ihr nicht vorzuenthalten.
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