Es gibt gute Gründe, trotz immer neuer Verdachtsfälle von Schweinegrippe und bestätigter Erkrankungen auch hierzulande nicht in Panik zu verfallen: Die Grippesaison ist vorbei und wir sind gut vorbereitet. Die aktuelle Impfung gegen Grippe ist jedoch wahrscheinlich unwirksam, wie ein Sequenzvergleich zeigt.
Es geht weiter mit Schweinegrippe-News, die es nirgendwo sonst zu lesen gibt.
Im ersten, derzeit meistgelesenen Artikel auf den ScienceBlogs, ging es um Hintergrundinformationen zur Schweinegrippe inclusive einer ständig aktualisierten Karte mit aktuellen Verdachtsfällen in Europa.
Im zweiten Artikel war das aktuelle Grippevirus Influenza A/H1N1 und sein Stammbaum Thema. Eine phylogenetische Einordnung der mittlerweile publizierten Sequenzdaten hat gezeigt, dass es sich, entgegen verbreiteter Spekulationen, genetisch eindeutig um ein Schweinevirus handelt.
Es kommt hin und wieder vor, dass Schweineinfluenzaviren Menschen befallen. Neu ist bei diesem Virus, dass es von Mensch zu Mensch übertragen werden kann. Seit ein paar Tagen sind die ersten Fälle von Schweinegerippe auch in Europa aufgetreten, seit gestern gibt es auch bestätigte Fälle in Deutschland und in Österreich. Ich denke dennoch nicht, dass sich die Schweinegrippe hierzulande zur tödlichen Pandemie ausweitet.
Hier einige Gründe, die dagegen sprechen:
Die Grippesaison ist vorbei
Influenza tritt beim Menschen saisonal abhängig auf. Grippewellen finden in den allermeisten Fällen im Winter statt. Während die Grippesaison in Europa und Nordamerika vorbei ist, fängt sie in Südamerika und Australien gerade an. Dort ist demnach auch mit einer deutlich höheren Zahl an Infektionen zu rechenen.
Es ist noch nicht vollständig klar, warum Grippe saisonal auftritt. Es hat wohl mit drei Faktoren zu tun:
- Erstens überlebt das Influenzavirus unter kalten, trockenen Bedingungen besser. Tierversuche haben zum Beispiel gezeigt, dass sich Meerschweinchen bei 5°C leicht mit Grippe anstecken, wohingegen bei 30°C keine Ansteckung zu beobachten war.
- Zweitens sind die Atemwege im Winter durch kalte Außenluft und trockene Heizungsluft häufiger gereizt, und können dadurch leichter von Viren befallen werden.
- Drittens verbringen wir im Winter mehr Zeit zusammen in geschlossenen Räumen, was zu einer leichteren Übertragung der Viren führt.
Hier in der Abbildung wird die saisonale Verteilung der Influenzafälle in Deutschland deutlich. Wir befinden uns momentan in Kalenderwoche 18. Eingezeichnet sind die Grippefälle der letzten drei Jahre in unterschiedlichen Farben.
Die Mortalität ist niedriger als gedacht
Während anfängliche Zahlen aus Mexiko eine erschreckend hohe Letalität (also die Anzahl der Toten pro Anzahl der Infizierten) der Schweinegrippe suggierten, zeigt sich momentan, dass es bei weitem nicht die vorerst errechneten 5.5% sind.
Zur Begriffsklärung: Morbidität bezeichnet die Wahrscheinlichkeit eines Individuums an der Grippe zu erkranken, Mortalität bezeichnet die Todesrate, also Tote pro Gesamtbevölkerung. Die Letalität der Grippe ist die Zahl der Todesfälle pro der Zahl der Infizierten.
Die geringe Morbidität und Mortalität haben mehrere Gründe:
Die Medien warnen
Dadurch, dass die Grippe nicht unentdeckt bliebt, sondern weltweit ein gewaltiges Medienecho hervorruft, sind die Menschen aufmerksamer. Wer Grippesymptome bei sich feststellt, wird eher zum Arzt gehen, und eher adäquat behandelt.
Außerdem achtet der einzelne eher auf Hygienemaßnahmen, die eine Ausbreitung des Virus verhindern. Also: Häufiges Händewaschen, und andererseits direkten Körperkontakt und Menschenmengen vermeiden. So ist Augenzeugenberichten zur Folge der U-Bahn Verkehr in Mexiko-Stadt deutlich zurück gegangen, Universitäten sind geschlossen, und zur Begrüßung wird sich nicht mehr die Hand gereicht.
Vorsorgeimpfungen und Grippemittel
Wer sich mit einem Influenza-Virus infiziert und an dessen Folgen stirbt, stirbt normalerweise nicht unmittelbar durch die Viren, sondern an einer Sekundärinfektion, beispielsweise einer von Pneumokokken hervorgerufen Lungenentzündung. Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt die Pneumokokkenimpfung allen Kleinkindern zwischen 2 Monaten und 2 Jahren und allen Menschen über 60.
Wie im letzten Artikel erklärt, wirken gegen den aktuellen Schweinegrippestamm wahrscheinlich Neuraminidasehemmer wie Tamiflu und Relenza.
Weiter gibt es selbstverständlich die Grippeimpfung, die jedes Jahr im Herbst mit dem aktuellen Impfserum aufgefrischt werden muss. Zur Herstellung und Zusammensetzung des Impfstoffs hier ein Link zur Wikipedia. Die jährliche Auffrischung ist nötig, da Influenzaviren, wie in dem vorherigen Beitrag erklärt, schnell mutieren, und dadurch vorhandenen Antikörper die Viren nicht mehr erkennen. Eine Frage, die es zunächst zu klären gilt, ist:
Wirkt die aktuelle Grippeimpfung gegen Schweinegrippe?
Da es sich beim dem aktuellen Virus tatsächlich um ein Schweinevirus handelt, dass auf den Menschen übergesprungen ist, scheint es sehr unwahrscheinlich, dass aktuelle Impfseren die Viren-Antigene erkennen. Klarheit schafft nur ein genauer Sequenzvergleich der Viren-Antigene, Also des Hemagglutinins (HA) und der Neuraminidase (NA). Ich habe zuerst die Proteinsequenzen der Antigene in den Impfseren der letzten drei Jahre vergleichen. Benutzt habe ich das Programm T-Coffee.
Zur Erklärung: Je höher der Aligment-Score ist, desto ähnlicher sind sich die Proteine. Bei 100 Stimmen sie überein. Sternchen unter den Aminosäuren zeigen an, dass sie identisch sind bei den verglichenen Proteinen. Die Aligmentdateien sind als Textdateien hinter den jeweiligen Scores hinterlegt.
Die drei HA Proteine der Impfseren der letzten drei Jahre haben einen Alignment-Score von
. Trotz der Ähnlichkeit muss man sich jedes Jahr erneut impfen lassen. Der Vergleich zwischen HA Protein im aktuellen Impfserum und HA Protein aus dem Erreger der Schweinegrippe ergibt einen Score von
, also doch deutlich weniger.
Der Vergleich der NA Proteine fällt noch deutlicher aus. Während der Vergleich der Proteine in den letzten drei Impfseren einen Aligment-Score von
ergibt, zeigt der direkte Vergleich zwischen der NA des Schweinegrippevirus und der des letztjährigen Impfserums nur einen Score von
(Siehe Abbildung oben).
Es erscheint also doch recht unwahrscheinlich, dass aktuelle Impfseren auch bei der Schweinegrippe wirken.
Zuletzt noch der Hinweis, dass dieser Artikel so nur für Mitteleuropa gilt. Auf der Südhalbkugel beginnt gerade die Grippesaison, die Impfung gegen Pneumokokken ist lange nicht so weit verbreitet, und die medizinische Betreuung bei einer Grippe lange nicht so gut. Es wird mit Sicherheit noch weitere Tote geben.
Ich hoffe dennoch, ich behalte mit meinen optimistischen Prognosen Recht, was die Ausbreitung und Gefährlichkeit der Grippe betrifft, und ich wünsche allen Lesern ein symptomfreies erstes Maiwochenende.
Bild oben via Arbeitsgemeinschaft Influenza
Zusammensetzung der Grippeimpfstoffe via Wikipedia
Sequenzen von ncbi
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