Die erste Welle der Empörung über die Studie “Long term toxicity of a Roundup herbicide and a Roundup-tolerant genetically modified maize” von Gilles-Eric Séralinie und Kollegen ist abgeebbt. Empört waren kritische Verbraucher und Anti-GMO Aktivisten ob der vermeintlich verheimlichten kanzerogenen Wirkung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln und ob der kollektiven Verantwortungslosigkeit eines suspekten, von Monopolisten dominierten Industriezweigs, deren Profitstreben auf dem Rücken von Konsumenten, Produzenten und der Umwelt ausgetragen zu werden scheint.
Empört waren auch viele Wissenschaftler, allerdings aus anderen Gründen: Die Séralini-Studie war schlecht designt und mangelhaft statistisch ausgewertet. Weiter werden von den Autoren Rohdaten zurück gehalten und vorab wurden nur ausgewählte Journalisten informiert, um damit die öffentliche Meinung selektiv zu beeinflussen. Thematisiert wurde die Studie und die Reaktionen schon in meinem Artikel Ende September
Nature News hat Ende letzter Woche einen Ausschnitt aus dem Non-Disclosure-Agreement publiziert, das die ausgewählten Journalisten unterschreiben sollten:
A refund of the cost of the study of several million euros would be considered damages if the premature disclosure questioned the release of the study.
Das ist, um es milde zu sagen und um bei den Worten von Nature zu bleiben, höchst ungewöhnlich. Im dem Artikel wird weiter bestätigt, dass die Zahl der Ratten (10 pro Gruppe) nicht ausreichend waren. Um belastbare Aussagen bei Karzinogenizitätstests dieser Dauer zu gewinnen, würden mindestens 50 Ratten pro Gruppe empfohlen.
Das Single Study Syndrom
Hier retrospektiv noch ein paar weitere Gedanken und Beobachtungen zu Genmaisgate. Joachim Müller-Jung beschreibt in der FAZ ein Phänomen, dass in der New York Times “Single Study Syndrome” getauft wurde: Einzelne Veröffentlichungen, die vermeintlich den wissenschaftlichen Status Quo eines Forschungsgebiets in Frage stellen, werden in der öffentlichen Berichterstattung über Gebühr gehypt. Ob die publizierten Daten tatsächlich die revolutionären Rückschlüsse erlauben wird zur Nebensache – zumindest wenn es der eigenen Agenda dient.
Das Seralini Paper passt in dieses Raster, ebenso wie die Veröffentlichung von Felisa “Iron Lisa” Wolfe-Simon letztes Jahr in Science, in der ein Bakterium präsentiert wurde, dass anstatt Phosphor, mutmaßlich Arsen in die DNA verbaut. Oder die Debatte um Squalen als Adjuvans in Grippeimpfstoffen (Golfkriegssyndrom).
Müller-Jung schlägt vor, Publikationen, die von unabhängiger Seite noch nicht verifizierte Daten enthalten, als solche zu kennzeichnen. Eine Folge könnte ihm zu Folge sein, dass weniger sensationalistisch über Wissenschaft berichtet würde. Sein Vorschlag ist wenig praktikabel, denn alle neuen Publikationen enthalten Daten, die noch nicht von unabhängiger Seite reproduziert wurden. Oder würde die mediale Berichterstattung über Wissenschaft in Deutschland auf Papers beschränkt, deren Daten zwar unabhängig bestätigt wurden, die aber schon Jahre alt sind? Wohl kaum.
Die Ursachen von Genmaisgate
Es sind in erster Linie zwei Faktoren, die allgemein für das Single Study Syndrome und im besonderen für Genmaisgate verantwortlich sind. Zum einen ist es ein punktuelles Versagen des Gutachtersystems. Wäre bereits von den Reviewern angemerkt worden, dass die Séralini-Studie eklatante Mängel aufweist, wäre sie nie in dieser Form publiziert worden. Hätten die Gutachter die passenden Kontrollexperimente zu den Arsenbakterien gefordert, hätte sich schon vor der Veröffentlichung herausgestellt, dass die Autoren Artefakte gemessen haben.
In zweiter Linie ist es schlechter Journalismus. Zugegeben, der hohe Pulsschlag des Internet verleiten zu schnellen, knackigen Statements. Gehört es nicht dennoch zum journalistischen Handwerkszeug zu recherchieren und – gerade bei vermeintlich sensationellen Nachrichten – auch kritische Expertenmeinungen einzuholen und zu bewerten? Das werden sicher alle bestätigen, nur in der Praxis sieht es offenbar manchmal anders aus, sei es aus Zeitdruck oder weil eine bestimmte Aussage der eigenen Agenda dient.
Letztlich kommt noch ein dritter Faktor hinzu, den ich in meinem Artikel gestern bereits angesprochen habe: Die wissenschaftliche Alphabetisierung. Hier zwei Zitate aus der Kommentarspalte zu Müller-Jungs Artikel in der FAZ:
Mit Viren wird Erbgut in pflanzliche Zellkerne verpflanzt. Die Carrier können aber auch wieder aus den Zellkernen mit Ihren DNA-Gebilden wieder austreten und Magenzelle und/oder Darmzellen von Schweinen und Kühen und Vegetariern befallen.
Das hat der Mann nun anhand von Ratten bewiesen.Wer meint dass Gene durchs Kochen deaktiviert werden hat Recht. Die Genfragmente, die dabei freigesetzt werden, können aber von Körperzellen aufgenommen und reaktiviert werden.
So lange solche Sätze auftauchen, ist noch nicht genug zum Thema gesagt, geschrieben und gezeigt worden. Oder, um es in den Worten von Kommentator nuckythompson zu meinem Artikel Ende September zu sagen:
Es ist aber so, dass grüne Biotechnologie ihren Schrecken verliert, wenn man sich mehr als oberflächlich damit auseinandersetzt.
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