Vergangenen Samstag ist Christian de Duve im Alter von 95 Jahren gestorben. Er war ein Pionier der Zellbiologie. De Duve hat bei Experimenten zur Aktivität von Enzymen in Zellextrakten zufällig die Lysosomen und die Peroxysomen entdeckt. Beides sind Zellkompartimente, die bei Abbaureaktionen eine zentrale Rolle spielen und die sich durch geeignete Zentrifugationsmethoden aus Zellextrakten isolieren lassen. Er hat einen epochalen Beitrag zum Verständnis des Aufbaus und der Struktur der eukaryontischen Zelle geleistet, also auch von menschlichen Körperzellen. Er ist dafür 1974 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden.
De Duves Entdeckungen erleben aktuell eine Renaissance durch die Aufklärung der molekularen Mechanismen und Wirkungsweisen der Autophagie, also eines zellulären Selbstreinigungsmechanismus, bei dem das Lysosom eine zentrale Rolle spielt. Das de-Duve-Institut in Brüssel hat anlässlich seines neunzigsten Geburtstags einen Artikel abgedruckt, der sein Leben und Wirken gut zusammenfasst (pdf).
Ich habe de Duve 2011, also mit 93 Jahren, in Lindau beim Nobelpreisträgertreffen als Redner erlebt. Meine Mitschrift seines Vortrags von damals gebe ich hier leicht verändert wieder. De Duves Vortrag handelte nicht von seiner außerordentlichen Leistung als Forscher. Er präsentierte ein Sieben-Punkte-Programm zur Rettung der Welt. Er war der einzige Laureat, der mit Standing Ovations bedacht wurde.
De Duve nutze seinen Gehstock an Stelle eines Laserpointers um auf Details seiner insgesamt vier Folien umfassenden Präsentation hinzuweisen. Das war egal, sein Vortag war einfach zu verstehen, seine Botschaft war klar: Was macht uns Menschen anders und was müssen wir tun, um weiter existieren zu können?
Er zeigte auf, wie erfolgreich der Mensch ist. Mit gerade mal dem Vierfachen an Gehirnmasse eines Schimpansen beherrschen wir die Welt mit der Folge, dass wir sie heillos überbevölkern. Über sechs Milliarden von uns leben derzeit auf der Erde, mit einem rasanten Anstieg in den letzten 200 Jahren. Die Überbevölkerung geht mit Problemen einher:
- Die Rohstoffresourcen gehen zur Neige
- Die Biodiversität geht zurück
- Wälder gehen zurück und Wüsten breiten sich aus
- Der Klimawandel
- Die Energiekrise
- Umweltverschmutzung
- Übervolle Ballungsräume
- Konflikte und Krieg.
De Duve mahnte nicht nur, er bot Lösungsvorschläge an. Ein Sieben-Punkte-Programm zur Rettung der Welt mit ansteigender Wahrscheinlichkeit, dass die Vorschläge zur Lösung der Probleme beitragen:
- Nichts tun. Laut de Duve keine Lösung, wir sollten unser Schicksal nicht den Darwinschen Mechanismen überlassen.
- Menschen genetisch optimieren. Derzeit keine Option, da dies zum einen ein ethisches Dilemma aufwirft und zum anderen technisch nicht realisierbar ist.
- Die Plastizität des Gehirns ausnützen und neu “verdrahten”. Das dadurch bessere Menschen geschaffen werden ist unwahrscheinlich, technisch jedoch möglicherweise machbar.
- Die Religionen aufrufen zum Wandel beizutragen. De Duve sieht hier großes Potential. Es gebe immerhin rund eine Milliarde Katholiken, das Wort der Religionsführer hätte Gewicht. Er mahnte, Religionen sollten sich weniger mit dem Leben nach dem Tod beschäftigen als damit, was jetzt aktuell auf der Erde passiert. Zwischenapplaus aus dem Publikum.
- Umweltschutz. Er betonte, es sei wichtig, die Umwelt nicht zu verschmutzen, kritisierte jedoch gleichzeitig, dass die Umweltbewegung religiöse Züge trüge mit der Natur als der heiligen Kuh. De Duve ist anderer Meinung: Nature is not good, nature is not bad, nature is indifferent.
- Chancengleichheit für Frauen. De Duve betonte, er habe keine feministische Agenda, jedoch seien Frauen gesellschaftlich benachteiligt und das müsse sich ändern. Er stellte Wichtigkeit der Frauen auf die frühkindliche Erziehung heraus. Auch dieser Punkt wurde mit Zwischenapplaus bedacht.
- Bevölkerungskontrolle. “Wir sind zu viele Menschen auf der Erde, also muss die Zahl verringert werden. Er wog ab, wie das zu erreichen sei, der zivilisiertere Weg wäre Geburtenkontrolle anstatt Menschen zu töten. Da kann man ihm nur beipflichten.
Wir werden alle das Phänomen kennen, mit zunehmendem Alter eine andere Perspektive auf die Zeit zu bekommen. Als Kleinkind hat man kein Konzept für Zeit. In der Grundschule dauern Wochen Monate und die Sommerferien scheinen endlos. Später wird in Semestern gedacht, dann in Jahren und die Zeit scheint zu verfliegen. Ich kann mir gut vorstellen, das man mit 93 wieder einen anderen Blickwinkel auf die Zeit hat. Einen noch größeren Rahmen. De Duve ist ein alter Mann, er wirkte jedoch weise.
De Duve hat in Belgien im Kreis seiner Familie Sterbehilfe in Anspruch genommen. Dort ist das legal. In Deutschland hingegen klafft hier eine gesetzliche Lücke, die Oliver Tolmein in seinem Biopolitik Blog der FAZ über Jahre dokumentiert und mit konservativem Tenor kommentiert hat. Das Blog ist leider inzwischen geschlossen.
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