Herzlich Willkommen auf meinem Blog “Zeittaucher”. Dieser beschäftigt sich ab sofort mit aktuellen Themen zur Zeitgeschichte/historischen Gegenwart und wird auch immer wieder Gastautoren zu Wort kommen lassen.
Der zerstörte Heidelberg mit Schloss in der Flugschrift „Kurtze Beschreibung der uralten Chur-Pfältzischen Residentz-Stadt Heydelberg” von 1693. (Repro: CJ)
Für die historische Detektivarbeit rund um den pfälzischen Erbfolgekrieg von 1688 bis 1697 bringt Roland Vetter die besten Voraussetzungen mit. Denn die Mutter des 62-jährigen gebürtigen Ludwigshafeners ist bekennende Pfälzerin und Mundartdichterin, seine Frau Französin. Schon vor 20 Jahren veröffentlichte der Oberstudienrat für Englisch und Geografie am Eberbacher Hohenstaufen-Gymnasium das Buch „Heidelberga deleta”. In diesem beschäftigte er sich mit der fast vollständigen Zerstörung der Residenzstadt Heidelberg durch französische Truppen im Jahre 1693. Nach viermonatiger Besetzung sprengten die Franzosen im September 1693 das Heidelberger Schloss. Dieses wurde zwar teilweise instand gesetzt, im Juni 1764 aber durch Blitzschlag und Brand erheblich zerstört. Die Pläne Carl Theodors, die Ruine wenigstens für den Sommeraufenthalt auszubauen, wurden dadurch hinfällig.
Seit der ersten erfolgreichen Veröffentlichung grub Vetter, der alte französische Handschriften liebt und diese auch entziffern kann, bei Recherchen über das Schicksal Mannheims in jenen Jahren im französischen Kriegsarchiv von Vincennes weitere 25 bisher unbekannte Dokumente über Heidelberg auf. Diese lassen die Verwüstung der Kurpfalz durch französische Truppen unter dem Oberbefehl von „Sonnenkönig” Ludwig XIV. in einem neuen Licht erscheinen. Entstanden ist ein trotz zahlreicher Quellenabdrucke in gesondertem Anhang sehr lesenswerter und äußerst spannend geschriebener Band: Durch die neuen, nun teilweise ins Deutsche übersetzten Quellen, darunter viele Briefe von Generälen und eine Belagerungskarte der Stadt, kann Roland Vetter nun noch besser nachvollziehen, weshalb Heidelberg innerhalb von wenigen Jahren zweimal zerstört wurde.
Das Heidelberger Schloss zwischen der Einnahme der Stadt durch die Franzosen am 22. Mai 1693 und der Sprengung am 6. September 1693. Die Zeichnung aus unbekannter Hand zeigt die teilweise Zerstörung des Schlosses, die an den fehlenden Dachstühlen einiger Türme und des Friedrichsbaus deutlich wird. (Repro: CJ)
Im Kampf gegen den deutschen Kaiser und Habsburger Leopold I. (1640-1705) und das Reich hatten die Franzosen nach einem erfolgreichen Blitzkrieg 1688/89 in Süddeutschland keinen sofortigen Friedensschluss zu ihren Bedingungen erreichen können. „Die angeblichen territorialen Ansprüche von Ludwigs Schwägerin Elisabeth-Charlotte von Orléans (‚Liselotte von der Pfalz’) an das pfälzische Erbe lieferten in diesem Konflikt nur den willkommenen Zündstoff”, sagt der Buchautor. „Damals lösten die Franzosen die vor Wien 1683 geschlagenen Türken als universellen Feind ab”.
Auf Seiten des Reiches wurde nach den ersten französischen Verwüstungen, die in weiten Teilen der Kurpfalz schlimmer waren als während der Wirren des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648), endlich der erfolgreiche Türkenbekämpfer und badische Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden-Baden, genannt der „Türkenlouis”, an den Oberrhein geschickt. Mitte Mai 1693 sammelte er rund um Heilbronn ein den Franzosen zahlenmäßig unterlegenes Heer. In der Folge wartete er defensiv ab, ob die Franzosen, von Philippsburg in den Oberrheingraben trotz massiven Rheinhochwassers strömend, in den Hügeln des Kraichgaus oder im Frankenland die Entscheidungsschlacht suchen würden. Doch knapp ein Drittel der französischen Soldaten bezog nicht vor den Ausgängen des Kraichgaus Position, sondern marschierte unter dem Oberbefehl von Generalleutnant Graf Noël Bouton von Chamilly nach Heidelberg. „Die Strategen hatten erkannt, dass die Residenzstadt am Neckar mit einer Besatzung von nur 1100 Soldaten aus zwei schlecht ausgerüsteten und undisziplinierten sachsen-gothaischen Mietregimentern rasch eingenommen werden könne”, beschreibt Vetter den Anfang vom Ende Heidelbergs.
Der Eberbacher Historiker und Oberstudienrat Dr. Roland Vetter hat ein neues Buch mit vielen bisher unbekannten Quellen über die Verwüstung der Kurpfalz und die Zerstörung Heidelbergs um das Jahr 1693 veröffentlicht. (Foto: CJ)
Die Verteidiger der Stadt unter dem Kommando des „mehr als unfähigen” Stadtkommandanten, Deutschordensritters und fränkischen Feldmarschallleutnants Georg Eberhard Freiherr von Heddersdorf bekamen ihre Montur, Ausrüstung und Munition erst wenige Stunden per Schiff geliefert, als die Franzosen schon im Anmarsch waren. Die gemieteten Soldaten wurden noch durch 700 Bürger und Studenten verstärkt, während der Kommandant sein Vermögen per Schiff rettete. Da die Einnahme Heidelbergs rasch voranschritt, flüchteten immer mehr Verteidiger in das Schloss, zumal 400 Männer überhaupt kein Gewehr „zur Franzosenabwehr” bekommen hatten. In seiner Not versuchte Heddersdorf sogar, 300 Mann aus Neckargemünd sowie 400 Soldaten aus Neckarsteinach und Schönau in die belagerte Stadt zu bringen, was allerdings misslang. Am 21. Mai 1693 war Heidelberg schließlich vollständig eingeschlossen. Einen Tag später war die Stadt gestürmt und ging in Flammen auf.
Die Universitätsstadt wurde nach den Forschungen Vetters vor allem deshalb angegriffen, weil die Franzosen einen raschen Kriegserfolg brauchten, der allerdings auch den Keim zum späteren Misserfolg der Kampagne legte. Denn in den untersuchten Quellen wird offenbar, dass die Disziplin der vom Neckar bis tief nach Württemberg vorrückenden Franzosen sowie ihre Versorgung mit Kriegsgerät und Nachschub zu wünschen übrig ließ. Außerdem entwickelte sich im Umfeld der teilweise unkontrolliert umherschweifenden Heeresteile eine kriegsspezifische Kriminalität von desertierten und marodierenden Soldaten, die den Hass in der Bevölkerung steigerte, Lynchaktionen provozierte und die französische Sache enorm schädigte. Nach der Niederbrennung der französischen Heeresbäckerei in Vaihingen war die Versorgung der kämpfenden Truppe nicht mehr gewährleistet, weshalb sich die Franzosen im Spätherbst 1693 wieder über den Rhein zurückzogen, zuvor jedoch noch das Heidelberger Schloss sprengten, aber in der Folge bei ihren Streifzügen zumindest in Heidelberg nicht mehr einfielen.
Das zerstörte Schloss aber stellte bis in die 1960er-Jahre und bis zur Ausrufung der deutsch-französischen Freundschaft durch Bundeskanzler Konrad Adenauer und den französischen Präsidenten Charles de Gaulle für viele Pfälzer immer noch ein „sichtbares Zeugnis französischer Feindseligkeit” dar. Nach Darstellung Vetters diente es im kollektiven Gedächtnis der Bevölkerung durch die romantische Ruinenverklärung des 19. Jahrhunderts als Symbol auch für die erst „in der Gegenwart überwundene Erbfeindthese”.
Vetter, Roland: „Die ganze Stadt ist abgebrannt”. Heidelbergs zweite Zerstörung im Pfälzischen Erbfolgekrieg 1693, 3. völlig überarbeitete und vermehrte Auflage von „Heidelberga deleta”, G. Braun Buchverlag, Karlsruhe 2009, ISBN 978-3-7650-8517-8, Preis: 19,90 €.
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